Was Experten zum Tankstellen-Mord sagen – Spahn spricht von „Pandemieextremismus“

Der Mord an einem Tankstellen-Kassierer in Idar-Oberstein beschäftigt Deutschland in der letzten Woche vor der Bundestagswahl.
Von 22. September 2021

Die Bundesregierung hat die Tötung eines Tankstellenkassierers in Idar-Oberstein scharf verurteilt. Der Auslöser der Tat war ersten Erkenntnissen zufolge ein Streit um das Tragen einer Corona-Maske. Die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer sprach am Mittwoch von „tiefer Bestürzung über die grausame Tat“. Diese sei „unerträglich“. Es sei zugleich „verstörend“, dass die Tat in sozialen Netzwerken zum Anlass genommen werde, zu Gewalt aufzurufen. „Das muss aufhören.“

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach in Berlin von „Pandemieextremismus“, gegen den jede Bürgerin und jeder Bürger eintreten müsse. „Ich kann nur sehr dafür werben, dass wir alle miteinander genau aufpassen, wie wir Worte wägen, wie wir umgehen mit Verschwörungstheorien.“ Die Tat von Idar-Oberstein bezeichnete Spahn als „kaltblütigen Mord“.

Vizeregierungssprecherin Demmer stellte sich hinter die Forderung von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), wonach „sich unser Rechtsstaat gewaltbereiten Corona-Leugnern mit allen Mitteln entgegenstellen muss“. Durch Hetze und Aufrufe zur Gewalt würden Menschen konkret gefährdet, warnte die Vizeregierungssprecherin weiter.

Unterdessen werden die möglichen Motive des Täters weiter untersucht. Erfahrene Kriminalpsychologen warnen auch davor, voreilige Schlüsse aus den ersten Aussagen des Täters bei der Polizei zu ziehen.

Was Kriminalpsychologen dazu sagen

Ein allseits anerkannter Kriminalpsychologe, Rudolf Egg, langjähriger ehemaliger Direktor der Kriminologischen Zentralstelle (KrimZ) des Bundes und der Länder in Deutschland, deutete gegenüber der Nachrichtenagentur dpa die Wichtigkeit der Auswertung des Aggressionspotenzials des Täters an: „Man muss bei einer Tat immer unterscheiden zwischen dem unmittelbaren Anlass und dem eigentlichen Grund.“

Es sei noch völlig unklar, was da „wirklich an diesem Tag und an diesem Abend war, worüber er sich noch geärgert hat“, so der Verbrechensexperte. Möglicherweise habe der Verdächtige ganz andere Gründe als die Coronaauflage gehabt. Bei der Maskenfrage als Motiv für die Tat hat Egg seine Bedenken: „Niemand, der auch nur halbwegs vernünftigen Verstandes ist, wird einen ihm völlig unbekannten jungen Mann einfach deshalb erschießen, weil er sagt: ‚Du musst jetzt eine Maske aufsetzen!‘“, so Egg, laut „Focus“. Das sei kriminalpsychologischer Nonsens.

Auch die Kölner Kriminalpsychologin Lydia Benecke mahnt zur Geduld: „Auch, wenn viele Menschen sich nun eine schnelle Antwort auf die Frage wünschen, warum eine solche Tat begangen wurde: Diese ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich.“ Wie RTL berichtet, sagte Benecke, dass eine derartige Tat ganz unterschiedliche Hintergründe haben könne und rät, die „akuten Belastungen im Vorfeld“ zu untersuchen: „Gab es berufliche oder private Probleme? Geldsorgen? Eine Trennungssituation? Längerfristige Streitereien mit relevanten Personen?“, nennt die Expertin als Beispiele.

Der Ablauf

Der Polizei nach hatte der spätere Täter, laut „Spiegel“ der 49-jährige Software-Entwickler Mario N.,  gegen 19:45 Uhr in der Tankstelle zwei Sixpacks Bier kaufen wollen. Da er aber keine Maske dabei hatte, wies ihn der Kassierer auf die herrschende Maskenpflicht hin. Es kam zu einer Diskussion. Anschließend verließ der Mann die Tankstelle wieder und drohte dem Kassierer beim Hinausgehen noch mit erhobener Hand. Gegen 21:25 Uhr kam er zurück, nahm ein Sixpack Bier aus dem Regal und ging zur Kasse. Diesmal hatte er eine Maske aufgesetzt, die er aber am Kassentresen abnahm. Ein Wortwechsel. Ein Schuss.

Die von zahlreichen Polizeikräften der Polizeidirektion Trier, Spezialkräften und einem Hubschrauber geführte Fahndung nach dem zu Fuß geflüchteten Täter blieb in dieser Nacht zunächst erfolglos. Am Sonntagmorgen, gegen 8:40 Uhr, erschien der 49-jährige Deutsche in Begleitung einer Frau vor der Polizeidienststelle in Idar-Oberstein, wo er festgenommen wurde. Friedel Durben, der Polizeipräsident von Trier, sagte: „Wir gehen davon aus, dass er sich stellen wollte.“

Ein „Zeichen“ setzen?

Der zuvor nicht polizeilich auffällige Mann aus Idar-Oberstein hatte sich der Aussage von Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann am Montag darüber geärgert, dass der Mitarbeiter ihm wegen des fehlenden Mund-Nasen-Schutzes kein Bier verkaufen wollte. Gegenüber den Ermittlern hatte der Mann nach seiner Festnahme angegeben, dass er sich in die Ecke gedrängt gefühlt und „keinen anderen Ausweg gesehen“ habe, als ein „Zeichen“ zu setzen, so Staatsanwaltssprecher Fuhrmann von der zuständigen Behörde in Bad Kreuznach. Laut Polizeibericht hatte er zudem „in seiner Vernehmung angegeben, die Corona-Schutzmaßnahmen abzulehnen“. Dem „Spiegel“ nach sei aus Ermittlerkreisen zu vernehmen, dass der Mann in den Theorien der Corona-Leugner „bewandert“ gewesen sei.

Als „Corona-Leugner“ werden Menschen bezeichnet, die behaupten, dass der erstmals in Wuhan, China, ausgebrochene SARS-CoV-2-Erreger gar nicht existiere und nur eine Erfindung der Regierung sei. Allerdings wird heute auch gern Menschen dieses Etikett angehängt, die weder die Pandemie noch die Existenz des Virus leugnen, sondern mit den repressiven Maßnahmen der Regierung unter dem Argument der Pandemiebekämpfung nicht einverstanden sind und auf die Einhaltung des Grundgesetzes bestehen.

Vor-pandemische Gewaltphantasien

Im Fall des Täters von der Tankstelle in Idar-Oberstein wurden jedoch nach Recherchen des „Spiegels“ Äußerungen des Mannes vor zwei Jahren in seinem Twitter-Profil gefunden – also noch vor der Pandemie –, die die Journalisten als „nebulöse Gewaltfantasien“ klassifizierten. Demnach habe der Software-Entwickler im September 2019 geschrieben: „Ich freue mich auf den nächsten Krieg. Ja, das mag sich jetzt destruktiv anhören, aber wir kommen aus dieser Spirale einfach nicht raus“. Einen Monat später schrieb er, es sei sein letzter Tweet auf dem Profil gewesen: „Meine Muskeln sind gespannt, mein Geist geschärft. Gnade denen, welche diese Situation heraufbeschworen haben. Oder nein, Gnade wäre unrecht“, zitiert das Magazin.

Tatsächlich scheint der Mann gewisse Probleme gehabt zu haben. Aufbrausend sei er gewesen, aggressiv, häufig sei er auch verbal auf sie losgegangen, hätte sie zutiefst vulgär beleidigt, erklärte Pia K., seine Nachbarin und Inhaberin eines Kosmetikstudios, gegenüber RTL. „Es ging um die Parkerei, ich habe alle Kunden gebrieft, dass sie bloß nicht zu nah an dieser Garage von ihm parken. Damit das hier nicht noch in einem Fiasko endet.“ Als die Frau dann das Fahndungsfoto der Polizei nach dem Mord in der Tankstelle sah, habe sie sofort gedacht: „Das ist er! Es war eine Frage der Zeit, bis der so eskaliert.“

Das RND geht auf die Suche

Wie der „Spiegel“, der sich mit Fachkräften des „auf Verschwörungsideologien spezialisierten Thinktanks CeMAS“ auf die Suche nach dem Hintergrund und den Vorlieben des Software-Entwicklers Mario N. machte, so nutzte auch das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) unter anderem diese Quelle bei der Auswertung der Interessenfelder des Täters in den sozialen Medien: „Ein von dem mutmaßlichen Täter genutztes Twitter-Profil, das der Extremismusexperte Miro Dittrich vom Center für Monitoring, Analyse und Strategie am Dienstag identifiziert hat, gibt nun Einblicke in die Gedankenwelt des Mannes.“

Das RND fand heraus, dass sich Mario N. nicht nur auf seinem bis 2019 genutzten Twitter-Account als AfD-Fan zu erkennen gegeben habe, sondern auch als „Klimawandelleugner“. Auch sei er insgesamt 26 Twitter-Accounts gefolgt, wie etwa dem des ehemaligen Bundesverfassungsschutzpräsidenten und heutigen Bundestagskandidaten Hans-Georg Maaßen (CDU) oder der ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten (bis 2017) Erika Steinbach, langjährige Präsidentin des Bundes der Vertriebenen und heute Vorsitzende der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung.

Ebenso sei Mario N. auf Twitter mehreren AfD-Politikern gefolgt und nach Einschätzung des RND auch „mehreren rechten, zumeist jedoch nicht rechtsextremen Journalistinnen und Journalisten und Medienportalen“. Als Beispiele wurden der Journalist und ehemalige Moskauer „Focus“-Büroleiter Boris Reitschuster genannt, sowie „Tichys Einblick“ und der „Deutschlandkurier“.

Doch das RND, welches zum Verlagshaus Madsack, Hannover, gehört, dessen größter Gesellschafter die SPD-Medienbeteiligungsgesellschaft Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH ist, ging noch weiter. Wo der ehemalige Amadeu-Antonio-Projektleiter Miro Dittrich vom CeMAS schon nichts Verdächtiges mehr fand, wollte der RND-Reporter noch etwas finden: In seinem Profil auf der beruflichen Social-Media-Plattform Linkedin hatte der 49-Jährige vor vier Monaten noch etwas getan: Er hatte „dort einen Beitrag der Seite ‚Epoch Times‘ über die geringe Auslastung eines Corona-Notfallkrankenhauses mit ‚Gefällt mir‘“ markiert.



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