Manche sind für immer weg: Winter im Ahrtal

Die schweren Zeiten für die Menschen im Ahrtal gehen in der kalten Jahreszeit weiter. Die, die geblieben sind, arbeiten unermüdlich an ihren Häusern. Ein Besuch in Dernau.
Titelbild
Das Haus der Familie Bertram. "Aufgeben ist keine Option", steht auf der Fassade. Innen ist noch viel zu tun.Foto: Matthias Kehrein
Von 11. Dezember 2021
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Auf den höher gelegenen Hängen des Ahrtals hat es letzte Nacht geschneit und der Schnee ist liegen geblieben. Ein paar Sonnenstrahlen scheinen auf das von Weinbergen umgebene Dernau, einem jener Orte, der das Juli-Hochwasser stark zugesetzt hat. Es ist kalt und ich gehe der Frage nach, ob Bewohner mangels funktionierender Heizungen in ihren Wohnungen frieren. Und was ist mit Weihnachten?

Ende November erklärte der Obermeister der Innung Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik (SHK) im Kreis Ahrweiler, Frank Wershofen, laut dpa: „Natürlich haben wir Kunden, die frieren – die haben keine funktionierende Heizung“. Von mehreren Tausend Haushalten ohne Heizungen war in verschiedenen Quellen die Rede. Ein Grund dafür: die weitgehend zerstörte Gasinfrastruktur. Diese Woche hatte der Energieversorger EVM Positives zu vermelden: Es sei gelungen, „insgesamt 133 Kilometer Gasleitungen, die vom Hochwasser betroffen und teilweise zerstört waren, neu zu bauen oder wieder instand zu setzen“, erklärt der Vorstandsvorsitzende der Energieversorgung Mittelrhein, Josef Rönz. Funktionierende Anlagen könnten wieder in Betrieb genommen werden. Die EVM versorgt Dernau, ist jedoch nicht für das ganze Tal zuständig.

Dernau: Großteil der Häuser stand am 15. Juli unter Wasser. Foto: Matthias Kehrein

Mein Eindruck in Dernau: Diejenigen, deren Wohnungen ein Wohnen zulassen und die es geschafft haben, sich eine Wärmequelle zu beschaffen, leben dort, wenn auch unter Komforteinbußen. Die es nicht geschafft haben, haben sich andere Unterkünfte gesucht. Ganz ist aber nicht auszuschließen, dass es Leute gibt, denen das nicht gelungen ist. Ein Dernauer schätzt, dass mindestens 50 Prozent der 1.700 Einwohner nicht mehr da sind, ein anderer geht von 80 Prozent aus. Manche haben dem Ort für immer den Rücken gekehrt.

Ein Mitarbeiter der Johanniter sagt: „Hier friert im Winter niemand.“ Man habe Bedarfe in den Haushalten ermittelt und durch Kontakte zu den Innungen vieles möglich gemacht. Dennoch könne es zu Problemen mit dem noch nicht wieder ganz hergestellten Elektronetz kommen, wenn zu viele Elektroheizungen gleichzeitig laufen. Einige der provisorischen Elektroheizungen – sogenannte durch Spenden finanzierte Klimageräte – sieht man außen an die Häuserwände montiert.

Eine zu hohe Stromrechnung müsse man nicht befürchten, der Strom sei kostenlos – durch Spendengelder gedeckt. Es gibt aber auch Brennholz-, Briketts- und Benzinspenden für die Bürger.

Ein neu aufgestelltes „Tiny House“. Foto: Matthias Kehrein

Endlich wieder „eigene“ vier Wände

Die Hilfsorganisation hat auch einige der neu aufgestellten Tiny Houses angeschafft. Jene rund 17 Quadratmeter großen Unterkünfte mit Sofa, Ess-, Küchen- und Schlafbereich, Toilette und Dusche. – Ähnlich einem Wohnwagen, nur nicht so funktionell gestylt. In einem lebt seit zwei Tagen Jana Sebastian. Nachdem es das Haus, in dem sie wohnte, nicht mehr gab, hatte sie eine Odyssee durch verschiedene Unterkünfte. Ihr Hab und Gut hat sie monatelang „mit dem Auto spazierengefahren“. Die junge Frau freut sich mit ihrem „Häuschen“ wieder „eigene“ vier Wände um sich zu haben und zur Ruhe kommen zu können. Im Frühjahr möchte sie im Ort den Versuch unternehmen, eine Wohnung zu finden.

Ob dann auch wieder mehr Menschen nach Dernau zurückkommen, hängt nicht zuletzt von der Auszahlung der Bundeshilfen ab. Nach übereinstimmenden Angaben von Bewohnern und dem Bürgerbüro Dernau haben die Bürger zunächst eher Anträge für den Hausrat gestellt. Anträge für Gebäude seien schwieriger auszufüllen und bedürften eines Gutachters. Darüber hinaus gibt es auch knifflige Fragestellungen, etwa, ob in neu ausgewiesenen Hochwassergebieten wieder aufgebaut werden darf und ob in Eigenleistung erbrachte Handwerkerleistung vom Bund erstattet wird. Das Ausfüllen dieser Anträge wird als nicht einfach beschrieben. Vor allem für ältere, nicht technikaffine Bürger, stellt das Ausfüllen des Internetformulars ein Problem dar.

Eine Anfrage der Epoch Times bei der Investitions- und Strukturbank Rheinland-Pfalz (ISB) über die Zahl der bislang eingegangenen und bewilligten Anträge für die Bundeshilfen ergibt folgende Zahlen: Mit Stand 08.12.2021 wurden im Bereich der Wiederaufbauhilfe für Privathaushalte und Unternehmen rund 9.000 Anträge aus den betroffenen Gebieten in Rheinland-Pfalz bei der ISB eingereicht. Rund 6.500 Anträge haben insgesamt das Verfahren bereits komplett durchlaufen, d.h. die Anträge liegen vollständig vor und die Antragsteller haben sich legitimiert. Rund 3.700 Anträge auf Hausrat mit einem Volumen in Höhe von rund 48 Millionen Euro wurden bewilligt und sind in der Auszahlung.

Hier verlief die Ahrtalbahn. Sie wurde völlig zerstört. Foto: Matthias Kehrein

„Aufgeben ist keine Option“

Ein bisschen was von Bronx hat der Hinterhof von Patrik Bertram, in den man durch einen mit Stützen abgesicherten Eingang gelangt. Hier brennen Holzscheite in einer Tonne, daneben ein mit bunten Kugeln geschmückter Weihnachtsbaum. Die vielen Handwerker in dem Geburtshaus väterlicherseits scheinen die Wärme aber nicht zu brauchen, alle sind in Bewegung und schwer beschäftigt. Die Wände und die Böden sind abgestemmt, sehen aus wie abgeschält. Elektriker und Heizungsmonteure sind da.

Auf der Fassade des Hauses steht in großen bunten Lettern: „Aufgeben ist keine Option“. – Eine Aktion seiner Frau Edyta gemeinsam mit der 17-jährigen Tochter Luisa, um den Menschen Hoffnung zu geben und die „triste Stimmung aufzulockern“.

Noch ist das Haus nicht bewohnbar. Mit seiner Familie wohnt er in einem Ort in der Nähe, der 90-jährige Vater musste in einem Pflegeheim untergebracht werden.

Wehmut und Erinnerungen: Patrik Bertram im Elternhaus seiner Mutter. Ein halber Meter Heizöl im Keller verseuchte die Wände. Das Haus wird abgerissen. Foto: Matthias Kehrein

Trist ist der Blick auf das Haus, das sich auf der linken Seite direkt anschließt. Es ist das Elternhaus mütterlicherseits: Hier steht nur noch das Erdgeschoss. Die Treppe endet nach oben im Nichts, Schutt in den Zimmern und auf der Straße. Die Wände tief getränkt mit Heizöl. Es stinkt, hier ist nichts mehr zu machen. Es muss abgerissen werden. Glücklicherweise war das Gebäude versichert. Der Neubau zum Festpreis ist mit der Versicherung schon abgemacht. Das neue Haus soll mit Erdwärme beheizt werden. Lediglich die Baulastanfrage bei der Kreisverwaltung Ahrweiler, könnte zügiger bearbeitet werden, auf die wartet er schon seit zwei Monaten. Was bleibt, ist die Wehmut, die Erinnerungen, sagt Bertram.

Aber auch die schmerzlichen Erinnerungen an jene Unglücksnacht im Juli, als er seine Tochter in dem Haus alleine zurücklassen musste, während die anderen Familienmitglieder sich in dem Haus seines Vaters in Sicherheit brachten. Das Wasser stieg einfach zu schnell, bis auf 4,50 Meter Höhe. Keine Chance mehr, sie zu sich zu holen. Nur noch der Hund war bei ihr. „Geschrei überall“, erinnert er sich. Kommunikation von Haus zu Haus. – So nah und doch so fern. Sie überlebte in der obersten Etage, jedoch seien manche Nachbarn gestorben, auch jene Nachbarin, die ein Mutterersatz für ihn war.

„Man kann nicht oft genug Danke sagen“, erklärt er. Viele Spenden seien eingegangen und viele Helfer hätten unermüdlich geholfen. Beispielsweise die Fangemeinschaften vom FC Augsburg und den Würzburger Kickers und Mitglieder vom Deutschen Alpenverein. Sie kämen nach wie vor zum Helfen.

An die Zukunft gedacht: Hans-Georg und Petra Schreiner lassen das zerstörte Erdgeschoss altersgerecht neu aufbauen. Im Altbau gibt es auch noch genug zu tun. Foto: Matthias Kehrein

Aus der Not eine Tugend gemacht

Aus der Not eine Tugend gemacht haben Hans-Georg und Petra Schreiner. Den völlig überfluteten Anbau ihres Hauses haben sie abgerissen und an der Stelle neu gebaut. Das Fundament und die ersten Mauern stehen schon. Hier im Erdgeschoss wollen sie altersgerecht wohnen und später die Wohnung im ersten Geschoss vermieten.

Die neuen Baubestimmungen sind nicht nach dem Geschmack der beiden: Fenster im Erdgeschoss dürfen ab sofort nicht mehr bis zum Boden reichen – etwas, das sie eigentlich geplant hatten. Das Gemeinderatsmitglied will das wieder ändern lassen. Als „Touristendorf“ müsse man auf die Optik achten und könne nicht einfach mal etwas neu regeln, ohne es bedacht zu haben, erklärt er.

Die beiden gebürtigen Dernauer, die bei ihrer Tochter wohnen und nach wie vor täglich zu ihrem Haus kommen, um daran zu arbeiten, freuen sich, dass der Estrich drin ist. Aber die Vorstellung, bald die gesamte Inneneinrichtung neu einkaufen zu müssen, löst keine Freude aus. „Das macht keinen Spaß“, sagt sie.

Ramona Richter (rechts) bringt weihnachtliche Stimmung in den Ort. Foto: Matthias Kehrein

Weihnachten in Dernau

Dass in Dernau auch ein wenig Weihnachtsstimmung aufkommt, haben die Dernauer zu großen Teilen Ramona Richter zu verdanken. Die junge Frau aus Essen stampfte mit Helfern den „WintAhrzauber“ im großen Zirkuszelt aus dem Boden. Per Spendenaufruf in den Sozialen Medien sammelte sie alles, was zum Feiern dazugehört: von Adventskränzen über Baumschmuck bis hin zu Weihnachtsbäumen, das ganze Zelt war voll mit Spenden. Fast alles ist mittlerweile an die Frau und den Mann gebracht worden. Für diesen Samstag plant sie noch ein großes Weihnachtsfest mit Glühwein, Essensständen, Zauberer für die Kinder und Musik. Dabei seien die Reaktionen der Dernauer anfänglich etwas reserviert gewesen – alle seien in ihrem Arbeitstrott gewesen. Das habe sich aber schnell geändert.

Es ist beeindruckend zu sehen, was Einzelne zu leisten in der Lage sind, über sich hinauswachsen – ob gezwungenermaßen oder wie bei ihr aus freien Stücken. Stemmen habe sie gelernt und trotz des Muskelkaters weitergemacht. Warum sie schließlich in Dernau gelandet ist, weiß sie nicht. „Ich bin hier hängen geblieben“, sagt sie. „Irgendetwas zieht mich hierher.“

Der Artikel erschien zuerst in der gedruckten Epoch Times Wochenausgabe am 11. Dezember.



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