Krisenstäbe, Notfallpläne und „Wärmeinseln“

Nord Stream 1 schweigt – wegen Wartungsarbeiten. Ob das Gas anschließend zurückkommt, weiß keiner. Was aber sicher kommt, ist der Winter. Deutschlands Städte bereiten sich auf eine Notlage vor.
Im nächsten Winter: Krisenstäbe, Notfallpläne und „Wärmeinseln“
Wer friert, wer nicht?Foto: iStock
Von 16. Juli 2022

Seit dem 11. Juli ist die russische Gaslieferung über Nord Stream 1 eingestellt. Wartungsarbeiten an Gasleitungen seien üblich und es könnten auch häufig vorübergehende Komplettabschaltungen stattfinden, erklärt Niko Bosnjak von Open Grid Europe in Essen nach ARD-Angaben.

„Bei uns läuft das alles sehr geräuschlos ab, und in normalen Jahren interessiert sich auch die breite Öffentlichkeit im Grunde für die Wartung unserer Leistung überhaupt nicht mehr“, so der Spezialist von Europas größtem Ferngasnetzbetreiber, der 12.000 Kilometer Rohrstrecke zu überwachen hat. Gasturbinen der Pipeline werden derzeit in Kanada repariert. Aufgrund der Sanktionen gegen Russland gab es Probleme, die nun durch die kanadische Regierung gelöst worden sind.

Kanada erteilte am 9. Juli „eine zeitlich begrenzte und widerrufbare Genehmigung“ zur Rücksendung der „reparierten Nord-Stream-1-Turbinen nach Deutschland“. Der zuständige Minister, Jonathan Wilkinson, sagte: „Ohne die notwendige Versorgung mit Erdgas wird die deutsche Wirtschaft sehr große Schwierigkeiten haben, und die Deutschen selbst laufen Gefahr, dass sie ihre Häuser im bevorstehenden Winter nicht heizen können.“

„Ehrlich gesagt, es weiß keiner“

Für Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur, bleibt unklar, wie sich Russland nach der zehntägigen Frist weiter verhalten werde. Müller sprach im ZDF-„Morgenmagazin“ von „ganz unterschiedlichen Signalen“ aus Russland: „Ehrlich gesagt, es weiß keiner.“ Müller plädierte aber für Maßnahmen zum Gassparen, auch privat. „Wenn das 40 Millionen Menschen machen würden, dann haben wir auch einen signifikanten Effekt für Deutschland.“

Doch noch ist Sommer. Vielerorts ist es heiß und trocken. Die Gedanken an kalte Winternächte gehören nicht unbedingt zu den akuten Überlegungen der Menschen – zumal die Preise für Heizöl und Erdgas stabil hoch sind.

Der Winter kommt bestimmt

Im Kreislauf der Natur ist jedoch alles nur eine Frage der Zeit und der Winter kommt gewiss.

1931 hieß es: „Um die gröbste leibliche Not zu lindern, unterhalten die verschiedenen Berliner Stadtbezirke und auch private Wohltäter Wärmehallen, die vom Oktober bis April in Betrieb sind. Der Gedanke an ihr Vorhandensein mag gerade denen zum Trost gereichen, die in Gegenden mit Zentralheizung wohnen. Übrigens funktionieren noch nicht einmal alle Zentralheizungen richtig; was vermutlich mit dem Zwang zum Sparen und der allgemeinen Verarmung zusammenhängt. Zum Glück werden wir in Bälde ein prächtiges Rundfunkhaus besitzen.“ Dieser Textauszug stammt aus dem Artikel „Städtische Wärmehallen“ in der 46. Ausgabe der „Frankfurter Zeitung“ vom 18. Januar 1931 und wurde auf der Website des Berliner Sozialwissenschaftlers Dr. Stefan Schneider veröffentlicht.

Heute, 89 Jahre später, könnten diese Worte jedoch auch passen.

Krisenstäbe, Notfallpläne und Wärmehallen für den Winter

Eine Empfehlung des Deutschen Städtetages an die Städte ist aktuell: „Da niemand genau sagen kann, wie dramatisch die Entwicklung sein wird, sollte auch überlegt werden, Wärmeinseln oder Wärmeräume vorzusehen, wo sich insbesondere ältere Menschen auch bei einem sehr kalten Winter aufhalten können“, sagte Städtetag-Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg gegenüber der „Bild am Sonntag“.

Die „B.Z.“ aus Berlin schreibt, dass immer mehr Städte in Deutschland derzeit Krisenstäbe bildeten und Notfallpläne entwickelten. Als Beispiel wurden Ludwigshafen genannt, wo man Wärmehallen zum Aufwärmen der Bürger plane, die sich Heizen nicht mehr leisten könnten. „Wir bereiten uns aktuell mit Blick auf den Herbst und Winter auf alle Notfallszenarien vor“, erklärte SPD-Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck. Auch in anderen Städten in Rheinland-Pfalz plane man Orte für das Aufwärmen der Menschen: etwa in Neustadt, Frankenthal und Landau. Der moderne Begriff: „Wärmeinseln“.

„Heidelberg24“ berichtet von Vorsorgemaßnahmen in der Universitätsstadt am Neckar und von einem Notfallplan, der für einen möglichen Gasmangel erarbeitet werde. Mit angemieteten „mobilen Heizzentralen“ wolle man beispielsweise Turnhallen als behelfsmäßige „Wärmeräume“ beheizen.

Die Stadt mietet ab 1. August für neun Monate fünf dieser Anlagen zu Kosten von 292.500 Euro – ohne die schwer kalkulierbaren Heizölkosten. Nach Stadtangaben könnten diese relativ problemlos an die bestehenden Gas-basierenden Heizkreisläufe angeschlossen werden: „Wir befinden uns in einer Phase, in der wir uns auf den möglichen Fall vorbereiten“, sagte ein Stadtsprecher dem Newsportal.

Dieser Fall könnte für 24.000 Gaskunden eintreten, denn nach jüngsten Berechnungen des Bundeswirtschaftsministeriums und der Bundesnetzagentur sei die reguläre Gasversorgung in Deutschland nur bis Dezember gesichert, „im günstigsten Fall bis Februar 2023“.

Auch in Tuttlingen, im Süden Baden-Württembergs, bereitet man sich auf den Notfall und große Probleme bei der Gasversorgung vor: „Wir müssen mit einer Situation rechnen, die niemand von uns je erlebt hat“, schwört dort Oberbürgermeister Michael Beck (CDU) die Bürger auf Kommendes ein.

„Keine Vollkasko-Gesellschaft“

Im Landkreis Ludwigsburg sorgt man bereits vor: Feldbetten, Schlafsäcke und Hygieneartikel stünden in Lagern bereit. Welche Hallen man verwenden könne, werde derzeit noch geprüft, meinte Ludwigsburgs Kreisbrandmeister Andy Dorroch laut SWR.

In einem Videostatement an die Hörer des SWR wollte der Kreisbrandmeister noch mit einem Irrtum aufräumen, den „der eine oder andere Bürger“ offenbar noch habe, nämlich, dass er in einer „Vollkasko-Gesellschaft“ lebe. Dorroch: „Das ist nicht der Fall.“ Der Staat könne nicht für alles aufkommen und sich um alles kümmern.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 53, vom 16. Juli 2022.



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