Wird nun die Wehrpflicht in Deutschland wieder eingeführt?

Es wird wieder einmal über die Rückkehr zum Wehrdienst debattiert. FDP-Chef Lindner nennt es eine „Gespensterdiskussion“ und seine Parteikollegin Strack-Zimmermann warnt vor weitreichenden Folgen.
Wehrpflicht
Zwei deutsche Soldaten bei der Bundeswehr. Die Debatte über eine Rückkehr der Wehrpflicht steht wieder im Raum.Foto: iStock
Von 1. Februar 2023

FDP-Chef Christian Lindner hat jeder Diskussion um eine Rückkehr zur Wehrpflicht eine Absage erteilt. „Die Wehrpflicht steht für die FDP überhaupt nicht zur Debatte. Das ist eine Gespensterdiskussion. Alle Kraft muss darauf konzentriert werden, die Bundeswehr als hochprofessionelle Armee zu stärken“, teilte Lindner über Twitter mit.

Die junge Generation habe durch die Pandemie zudem „so viel verloren, dass jetzt nicht noch über eine neue Dienstpflicht spekuliert werden sollte“. Lindner verwies auch auf den Fachkräftemangel in allen Bereichen. Er sagte: „Einen ganzen Jahrgang von Ausbildung und Beruf abzuhalten, würde großen Schaden verursachen.“

Zuvor hatte schon die FDP-Verteidigungspolitikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann für den Fall einer Rückkehr zum Wehrdienst auf weitreichende Folgen für Wirtschaft und Gesellschaft hingewiesen. Die öffentliche Diskussion um diese Frage verlaufe „teilweise nicht seriös“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Die Verschärfung des Fachkräftemangels sei dabei nur ein Punkt.

Strack-Zimmermann bedauert Aussetzung der Wehrpflicht

„Grundsätzlich gilt das Ende der Dienstpflicht ausschließlich in Friedenszeiten. Im Spannungs- oder Verteidigungsfall kann sie wieder aktiviert werden“, sagte Strack-Zimmermann der „Süddeutschen Zeitung“. Dabei orientiert sie sich an Paragraf 2 des Wehrpflichtgesetzes.

Noch vor einem Jahr sei sie strikt dagegen gewesen. Mittlerweile findet sie: „Ein einfaches Ja oder Nein ist zu kurz gesprungen.“ Angesichts der Lage im Ukraine-Krieg und der Sicherheitslage für ganz Europa könne man die Aussetzung der Wehrpflicht bedauern, zitierte sie die „Süddeutsche Zeitung“.

Erheblicher Aufwand

Gleichzeitig verwies sie auf den erheblichen Aufwand, der bei einer Rückkehr zur Wehrpflicht nötig sei. So gehöre es zur Ehrlichkeit dazu, den Menschen in Deutschland zu erklären, „was das konkret bedeuten würde, würde man die Wehrpflicht wieder aktivieren“, sagte die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Es gebe zu wenig Kasernen für die Unterbringung. „Angesichts der Abgabe vieler Bundeswehrstandorte an Kommunen, die den Raum für Wohnungsbau genutzt haben, ist das heute schon eine riesige Herausforderung.“

Bisher gilt nach Artikel 12a des Grundgesetzes, dass bei einer Wiedereinsetzung jeder männliche deutsche Staatsbürger „vom vollendeten achtzehnten Lebensjahr an zum Dienst in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz oder in einem Zivilschutzverband verpflichtet werden“ kann. Aber die FDP-Politikerin ist sich sicher, dass das heute auch für Frauen gelten müsse. Frauen vom Dienst zu befreien, würde vor keinem Gericht standhalten, sagte sie.

Zudem fehle das militärische Equipment. Die Bundeswehr könne dies so kurzfristig auch nicht beschaffen, „um circa 2,4 Millionen junge Wehrpflichtige im Alter von 18 bis 20 Jahren mehr oder weniger zeitgleich entsprechend ausbilden zu können“. Das Ganze würde nicht nur sehr viel Zeit kosten, „sondern auch zweistellige Milliarden-Beträge“. Von Pistorius forderte sie, „konkret Ross und Reiter zu nennen“. Die Debatte müsse in Gesellschaft und Bundestag geführt werden.

Militärexperte: „Wiedereinführung ist unrealistisch“

In der vergangenen Woche hatte der neue Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) die Aussetzung der Wehrpflicht durch die schwarz-gelbe Bundesregierung im Jahr 2011 als Fehler bezeichnet. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hatte sich laut „Business Insider“ bereits für die Wiedereinführung der Wehrpflicht ausgesprochen.

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Johannes Vogel schrieb auf Twitter, die Wehrpflicht ließe sich mit Blick auf die Lage nicht rechtfertigen. „Und sie stünde absehbar der Modernisierung unserer Streitkräfte und ihrer Verteidigungsfähigkeit sogar im Weg“, fügte Vogel hinzu.

Auch der Militärexperte Carlo Masala sagte, eine Wiedereinführung sei unrealistisch, es brauche vor allem hoch spezialisierte Berufssoldaten. Wenn man das machen wollte, „würde das irrsinnig viel Geld kosten“. Und zudem müsse man dann über eine Wehrpflicht von zwölf bis 18 Monaten reden, weil: „In vielen Einheiten ist das militärische Gerät so komplex, dass sie das in einer so kurzen Zeit von acht, neun oder zehn Monaten überhaupt nicht hinbekommen“.

Linke: „Wehrpflicht-Aussetzung kein Fehler gewesen“

Die Wehrbeauftragte Eva Högl (SPD) teilte der SZ mit, dass der aktuell geltende freiwillige Wehrdienst nicht ausreiche, um den benötigten Nachwuchs für die Bundeswehr zu generieren. Dass Pistorius nun diese Debatte aufgreife, begrüße sie. „Zwischen Freiwilligkeit und Verpflichtung kann es viele Optionen geben“, sagte Högl. Sie räumte ein: „Momentan sehe ich keine politische Mehrheit für einen verpflichtenden Dienst.“

Die Linke kritisierte die Diskussionen um die Wehrpflicht. „Es vergeht kein Tag, an dem sich nicht irgendein Vertreter von SPD, FDP, Grünen oder Union findet, der mit einem neuen Eskalationsvorschlag um die Ecke kommt: Panzerlieferungen, Kampfjets, jetzt die Wiedereinführung der Wehrpflicht“, sagte der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte. Die Wehrpflicht auszusetzen, sei kein Fehler gewesen, sondern ein zivilisatorischer Fortschritt.

Unterdessen sprach sich der Reservistenverband für eine Wiedereinführung der Wehrpflicht aus. „Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht zu verteidigen, wenn es denn sein müsste, wenn wir keine Wehrpflicht haben“, sagte der Verbandspräsident Patrick Sensburg dem TV-Sender „Welt“. Rund 200.000 Soldaten und 100.000 Reservisten reichten für den Ernstfall nicht aus.

Insgesamt leisten rund 183.000 Soldaten (Stand: November 2022) ihren Dienst bei der Bundeswehr, bestehend aus Berufssoldaten, Zeitsoldaten und rund 9.200 freiwilligen Wehrdienstleisten. Zum Vergleich: Im Jahr 2010 waren insgesamt knapp 60.000 junge Männer zum Wehrdienst eingezogen.

(Mit Material von dpa und dts)



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