An deutschen Universitäten
Wachsender Widerstand gegen Gendern und Cancel Culture – Deutscher Hochschulverband: „Eine Toleranz anderer Auffassungen ist nicht mehr gegeben“
Weil er nicht genderte, wurde ein Student an der Uni Kassel schlechter benotet. Damit steht er aber nicht alleine da: Der Druck, sich politisch korrekt zu verhalten, wird an vielen Hochschulen größer. An Universitäten herrscht mittlerweile eine Atmosphäre von Konformität und Intoleranz – sogar von Sprechverboten ist die Rede. Nun formiert sich eine Gegenbewegung.

Universität. Symbolbild.
Foto: iStock
Lukas Honemann, Lehramtsstudent an der Universität Kassel, hatte in seiner wissenschaftlichen Arbeit zwar fachlich sauber gearbeitet, bekam aber dennoch einen Punkteabzug, weil er das generische Maskulinum verwendet und nicht gegendert hatte.
An seiner Uni wird konsequent gegendert – Lehrkräfte können Verstöße mit schlechten Noten „bestrafen“. Honemann habe sich dem gebeugt und gendert nun korrekt. „Ich will keinen Punkteabzug riskieren.“
Er sei ja für Gleichberechtigung, allerdings habe er den Eindruck, dass „die Leute auf eine Linie eingeschossen werden“. Er kritisiert das bevormundende Verhalten der Lehrkörper scharf. Gendern sollte freiwillig sein: „Politische Akte dürfen nicht benotet werden.“
Aber wie die „Welt“ am 13. April berichtete, geht der Druck, sich politisch korrekt zu verhalten, sogar weit über die Vorschrift zur Verwendung von Sprache hinaus.
Gespräche mit Professoren und Studenten hätten ergeben, wie sich ein „Klima der Meinungskonformität“ in den Hörsälen ausbreite. Es werde nicht nur eine zunehmende Intoleranz gegenüber anderen Meinungen deutlich, es gebe sogar schon Sprechverbote.
„Wir erleben, dass Veranstaltungen gestürmt werden, weil Gastredner politisch nicht opportun erscheinen“, sagt Tabea Gandelheidt, Vorsitzende vom Bundesverband Liberaler Hochschulgruppen der „Welt“. Sie betrachtet diese Entwicklung mit großer Sorge.
„Wir hören von Studierenden, die angefeindet werden, weil sie nicht gendern.“ Einigen werde sogar regelrecht verboten, sich zu gewissen Themen zu äußern, weil sie männlich oder weiß seien. Dies sei „eine extrem gefährliche Tendenz“, so Gandelheidt weiter.
Eine Verschließung der Debattenkultur beklagt auch der Deutsche Hochschulverband. „Die Unversöhnlichkeit und die Polarisierung nehmen zu“, sagt der Geschäftsführer Michael Hartmer. „Wir verzeichnen massive Beschwerden von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, weil wir zu viel gendern, und ebensolche von Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen, weil wir zu wenig gendern.“ Eine Toleranz und Akzeptanz anderer Auffassungen sei nicht mehr gegeben.
Der Althistoriker Sven Günther, der an der Uni Kassel lehrt, sieht in der Entwicklung sogar eine Gefahr für die Freiheit der Forschung.
Gewisse Themenfelder seien mittlerweile so stark durch politische Korrektheit vermint, dass Dozenten und Studenten ihnen aus dem Weg gehen würden. „Es wird zunehmend schwieriger, sachlich über Gleichberechtigung, Diskriminierung oder umstrittene Persönlichkeiten zu sprechen. Meinungen und Haltungen werden oft verabsolutiert“, erklärt Günther.
„Es sind an Universitäten vor allem Menschen aus linken und linksliberalen Blasen, die diese Denkvorschriften, oft lautstark und einflussreich, vorgeben“, führt er weiter aus.
Das sei „fatal für Lehre und Forschung“, denn diese könne man mit einer „Vorabschere im Kopf und Denkverboten“ nicht vorantreiben.
Gegenbewegung
Inzwischen wächst der Widerstand gegen die Cancel Culture. Nur wenige wagten bisher, ihre Meinung zu den Vorgaben zur gendergerechten Sprache mitzuteilen. Viele Lehrende wollen nicht als Sexist, Rassist oder einfach nur als unmodern abgestempelt werden.
Die Studenten bilden Netzwerke, schreiben offene Briefe und reichen in vereinzelten Fällen sogar Klagen gegen Gendernoten ein. Der Verein Deutsche Sprache e.V. unterstützt Studenten in diesen Belangen. „Wir bereiten derzeit vier Klagen vor“, sagt Holger Klatte, Geschäftsführer des Vereins.
„An unserer Universität sollen die Studierenden ausschließlich nach fachlich korrekter Leistung bewertet werden“, wird vonseiten der Kasseler Studenten gefordert. Niemand dürfe gezwungen werden, „Sprachkonstruktionen zu verwenden, die der Rat für deutsche Rechtschreibung für falsch hält“.
Der Gegenbewegung gehe es dabei nicht um das Zurückfallen in alte Denkmuster, Handlungsweisen und Sprachformen, sondern darum, den Diskurs am Leben zu halten.
Auch der Mainzer Historiker Andreas Rödder sorgt sich um den öffentlichen Gedankenaustausch an deutschen Hochschulen. Mit einem im Februar zusammen mit 70 Forscherkollegen gegründeten „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit“ setzt er sich für ein „freiheitliches Wissenschaftsklima“ ein.
Ihr Anliegen sei es, die Freiheit von Forschung und Lehre gegen ideologisch motivierte Einschränkungen zu verteidigen und zur Stärkung eines freiheitlichen Wissenschaftsklimas beizutragen, heißt es im Manifest des Netzwerks.
„Der größte Wert des Netzwerks ist, dass wir überhaupt da sind. Personen, die anderen den Mund verbieten wollen, können mit einer Gegenhaltung rechnen,“ so Rödder.
Es habe zwar schon vor Jahren Aktivisten gegeben, die Vorlesungen störten oder anderen den Mund verbieten wollten, sagte der Historiker, neu sei aber „die moralisierende Aufladung einer breiten Öffentlichkeit“. Diese führe dazu, dass auch die breite Gesellschaft eine Zensur der Meinungs- und Redefreiheit befürworte und sogar unterstütze.
„Das hängt mit der Radikalisierung der Identitätspolitik zusammen, die man in den letzten Jahren erleben konnte.“ (aa)
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