Deutschland schlittert in die Rezession: Wirtschaftliche Spaltung vertieft sich

Die Meinungen über die Zukunftsaussichten der deutschen Wirtschaft gehen auseinander. Während einige Experten ein verhaltenes Wachstum prognostizieren, gibt es auch skeptische Stimmen. Die Spaltung zwischen Dienstleistungssektor und Industrie hat sich verschärft, was düstere Aussichten für die Industrieunternehmen mit sich bringt.
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Die deutsche Industrie befindet sich seit einiger Zeit in einem starken Abschwung.Foto: iStock
Von 26. Mai 2023

Die Spaltung der Wirtschaft in Deutschland geht weiter. Experten gehen laut der „Tagesschau“  davon aus, dass die Wirtschaft in den kommenden Monaten leicht wachsen dürfte. Die Schere zwischen dem Dienstleistungssektor und der Industrie öffnet sich aber weiter.

Die Rezession hat Deutschland erreicht

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal dieses Jahres im Vergleich zum letzten Quartal 2022 preis-, saison- und kalenderbereinigt um 0,3 Prozent gesunken. Das meldete gestern das Statistische Bundesamt (Destatis). Es revidierte damit seine ursprüngliche Schätzung von Ende April, die noch eine Stagnation ergeben hatte. Bei zwei Minus-Quartalen in Folge wird von einer technischen Rezession gesprochen. Im vierten Quartal 2022 war die Wirtschaftsleistung um 0,5 Prozent gesunken. „Nachdem das BIP bereits zum Jahresende 2022 ins Minus gerutscht war, verzeichnete die deutsche Wirtschaft damit zwei negative Quartale in Folge“, sagt Ruth Brand, Präsidentin des Statistischen Bundesamtes.

Grund für den BIP-Rückgang seien die hohen Preissteigerungen gewesen, die die Wirtschaft belasten. Im ersten Quartal 2023 gab aus diesem Grund einen deutlichen Rückgang der privaten Konsumausgaben, der sich in verschiedenen Bereichen bemerkbar machte.

Nach Bereinigung von Preisen, Saison- und Kalendereffekten sanken die Ausgaben um 1,2 Prozent. Die privaten Haushalte zeigten eine Zurückhaltung beim Kauf von Nahrungsmitteln, Getränken, Bekleidung, Schuhen und Einrichtungsgegenständen im Vergleich zum vorherigen Quartal (nach Bereinigung von Preisen, Saison- und Kalendereffekten). Darüber hinaus wurden von privaten Haushalten weniger Neuwagen gekauft, was möglicherweise auf den Wegfall von Prämien für Plug-in-Hybride und die Reduzierung der Prämien für Elektrofahrzeuge zu Beginn des Jahres 2023 zurückzuführen ist. Auch die staatlichen Konsumausgaben nahmen im Vergleich zum Vorquartal deutlich um 4,9 Prozent ab.

Experten prognostizierten ursprünglich ein verhaltenes Wachstum

Dass Experten noch Anfang der Woche ein verhaltenes Wachstum annahmen, wurde mit dem am Dienstag veröffentlichten Einkaufsmanagerindex in der Eurozone begründet, der mit einem leichten Anstieg von 0,1 auf 54,2 Prozent den höchsten Stand seit mehr als einem Jahr erreichte. Zugleich lag der viel beachtete Frühindikator den vierten Monat in Folge über der Schwelle von 50 Punkten, was auf ein künftiges Wachstum hindeutet.

Allerdings schauen von den rund 800 befragten Managern nicht alle Wirtschaftszweige zuversichtlich in die Zukunft. Die Wachstumsaussichten der deutschen Wirtschaft werden ausschließlich von Dienstleistungsunternehmen getragen. Der Einkaufsmanagerindex stieg hier um 1,8 auf 57,8 Punkte an, was den höchsten Stand seit fast zwei Jahren darstellt. Im Gegensatz dazu trübten sich die Aussichten im verarbeitenden Gewerbe weiter ein. Das entsprechende Barometer fiel um 1,6 auf 42,9 Punkte, den niedrigsten Stand seit drei Jahren.

Für die Industrieunternehmen in Deutschland sind das also düstere Aussichten. Sie bewegen sich tief im Bereich der Rezession. Dass die deutsche Wirtschaft beim Einkaufsmanagerindex nicht in der Gesamtheit in die Rezession abgleitet, verdankt sie Branchen wie Handel, Beratung oder Logistik. Die Spaltung der deutschen Wirtschaft, die sich bereits seit Herbst letzten Jahres abzeichnet, hat sich damit deutlich verschärft.

Insofern könnten schon die gestern veröffentlichten BIP-Zahlen den Wachstumshoffnungen einen kräftigen Dämpfer verpassen. Der Rückblick auf das erste Quartal 2023 muss nicht zwangsläufig ein negatives Gesamtjahr bedeuten. Gegenwärtig gibt es aber wenig Lichtblicke, die auf Wachstum zeigen. Der Internationale Währungsfonds geht in seiner Prognose davon aus, dass sich das Wirtschaftswachstum in der Nähe der Nulllinie bewegen wird.

Alle wichtigen Frühindikatoren weisen nach unten

Ein entscheidender Faktor hierfür dürfte die hohe Inflationsrate sein, die in Deutschland im April immer noch bei 7,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat lag. „Die stark gestiegenen Energiepreise haben im Winterhalbjahr ihren Tribut gefordert. Leider ist keine grundlegende Besserung in Sicht, da nach dem kürzlichen Rückgang des ifo-Geschäftsklimas nun alle wichtigen Frühindikatoren im verarbeitenden Gewerbe rückläufig sind“, kommentierte laut „Tagesschau“ Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank, die Daten.

Auf Twitter gibt sich Krämer dann auch deutlich verhaltener gegenüber der Aufschwundtheorie einiger seiner Kollegen. Er schreibt:

Nach dem deutlichen Rückgang des Ifo-Geschäftsklimas weisen nun alle wichtigen Frühindikatoren für die Industrie (Ifo, PMI, Auftragseingänge) nach unten. Ich verstehe nicht, warum die meisten Volkswirte für die zweite Jahreshälfte noch immer einen Aufschwung erwarten.“

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Die Situation nicht länger schönreden

In Anbetracht der schwachen Wirtschaftsdaten äußerte Bundesfinanzminister Christian Lindner laut der „Tagesschau“: „Das ist ein Weckruf an die Politik.“ Deutschland droht auf den Abstiegsrang abzurutschen. Um dem entgegenzuwirken, wird die Regierung die Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigen und versuchen, mehr Fachkräfte anzulocken. Bundeskanzler Olaf Scholz wirbt für Optimismus: „Die Aussichten für die deutsche Wirtschaft sind sehr positiv.“ Wirtschaftsminister Robert Habeck betont, dass die derzeitige Lage vor allem auf die starke Abhängigkeit von Russland in Bezug auf Energie zurückzuführen ist. „Wir werden uns aus dieser Krise herauskämpfen“, sagte der Politiker der Grünen.

Die Opposition kritisiert die Wirtschaftspolitik der Ampelregierung. „Der Bundeskanzler sollte aufwachen“, sagte der Vorsitzende der CDU, Friedrich Merz. „Viele Unternehmen zweifeln aufgrund der Arbeitsweise seiner Ampel-Regierung an der Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland.“ Von der „Konzertierten Aktion“ des Bundeskanzlers mit den Sozialpartnern zur Bekämpfung der Inflation höre man „seit Monaten“ nichts mehr. „Hohe Energiepreise und fehlende klare Linien in der Wirtschaftspolitik verunsichern sowohl Unternehmer als auch Arbeitnehmer“, so Merz. „Jetzt sollte die Ampel aufhören, die Situation schönzureden“, twitterte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Jens Spahn. „Das Wirtschaftswunder wird nicht vom Himmel fallen.“



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