Grundsteuerreform: „Viele haben sich mit dem Thema noch nicht auseinandergesetzt“

Grundsteuerreform: Der Fiskus verlangt 2022 Daten von 36 Millionen Immobilien. Kanzleien sind überfordert – ebenso wie viele Eigentümer.
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Die Grundsteuer wird neu berechnet – doch die genauen Modalitäten sind immer noch unklar.Foto: Hauke-Christian Dittrich/dpa/dpa
Von 12. April 2022

Nachdem das Bundesverfassungsgericht die Berechnung der Grundsteuer bereits 2018 für verfassungswidrig erklärt hatte, werden nun Millionen Immobilien und Grundstücke neu bewertet. Aufgrund veralteter Werte aus dem Jahr 1935 in Ostdeutschland und 1964 in Westdeutschland wurden vergleichbare Objekte bisher teilweise komplett unterschiedlich bewertet, was zu großen Abweichungen bei der Höhe des Steuersatzes führt.

Dies, so urteilte das Bundesverfassungsgericht, verstößt gegen das Gleichheitsprinzip und forderte eine gesetzliche Neuregelung der Grundsteuer. Dem ist der Gesetzgeber nachgekommen und hat im November 2019 das Grundsteuer-Reformgesetz verabschiedet. Einige Länder haben zusätzlich von der Möglichkeit abweichender landesgesetzlicher Regelungen Gebrauch gemacht.

Immobilienbesitzer müssen ihre Aufgabe in diesem Jahr innerhalb weniger Monate erledigen, während das Finanzamt sich mit der Neubewertung bis 2025 Zeit lassen kann. Die Grundsteuer ist eine wichtige Einnahmequelle der Gemeinden. Im Jahre 2020 kassierte der Fiskus bundesweit rund 14 Milliarden Euro.

Was das für Immobilienbesitzer und Steuerkanzleien bedeutet, erläutert der Steuerberater Markus Schierz aus dem hessischen Eppertshausen im folgenden Interview.

36 Millionen Grundstücke (24 Mill. Immobilien) sollen deutschlandweit neu bewertet werden. Was erwartet da zunächst die Eigentümer?

Die Grundsteuer ist in Deutschland eine Steuer auf das Eigentum an Grundstücken und deren Bebauung. Hauseigentümer schulden sie der Kommune, Mieter zahlen sie als Teil der Nebenkosten. 
Für die Neubewertung der Immobilien benötigt das Finanzamt eine „Erklärung
 zur Feststellung des Grundstückwerts“.

Die Erklärung soll frühestens ab dem
 1. Juli 2022 und bis spätestens 31. Oktober 2022 elektronisch per ELSTER
 übermittelt werden. Wenn der Eigentümer die angeforderten Daten für die
 neue Grundsteuer fristgerecht einreichen möchte, sollte er frühzeitig mit dem
 Sammeln und Zusammenstellen der erforderlichen Informationen beginnen.

Viele Betroffene haben sich jedoch bislang mit dieser Thematik noch gar nicht
 auseinandergesetzt. In der deutschen Bevölkerung ist bislang nicht
 angekommen, dass in diesem Jahr eine Erklärung zur Feststellung der
 Grundsteuerwerte abgegeben werden soll und hierfür zahlreiche 
Immobiliendaten benötigt werden. Teilweise sind die erforderlichen Angaben
gar nicht so einfach zu ermitteln.

Viele Menschen werden überfordert sein, wenn sie ihre Erklärung zur Festsetzung der neuen Grundsteuer digital abgeben müssen.

Und was kommt auf die Steuerberater zu?

Los ging es im März 2022 mit der Veröffentlichung der Allgemeinverfügung im Bundessteuerblatt. Danach werden die Steuerpflichtigen allmählich von den Finanzverwaltungen über das Vorhaben informiert – allerdings nicht in allen Bundesländern und wenn überhaupt, dann jeweils zu unterschiedlichen Terminen.

Sorge bereitet den Steuerberatungskanzleien vor allem der knappe
Bearbeitungszeitraum von vier Monaten. Die Steuerberatungsbranche ist
 aktuell sowieso schon überlastet durch das umfangreiche Tagesgeschäft und
 die Zusatzaufgaben in Bezug auf Kurzarbeit und Corona-Hilfsanträge sowie
die erforderliche Mehrberatung.

Dementsprechend kritisch sehen die Steuerberaterkammern und der Bundessteuerberaterverband das Projekt Grundsteuerreform. Sie konnten allerdings trotz dringender Appelle noch keine Erleichterungen erzielen. So blieb die Forderung der Kammer, dass den Berufskollegen ein Online-Zugriff auf steuererhebliche Grundstücksdaten ihrer Mandanten via Kataster-, Vermessungs- und Grundbuchamt eingeräumt wird, bisher unerfüllt. Auch eine Fristverlängerungsoption ist derzeit nicht in Sicht.

Inwieweit sind die Steuerberater bisher auf diese Aufgabe vorbereitet worden? Gab es Schulungen oder sind Sie mit passender Software ausgestattet worden?

Die Steuerberater haben organisatorisch schon Einiges in die Wege geleitet.
In einem ersten Schritt werden Infomails an die Mandantschaft versendet.
 Der Aufklärungsbedarf ist hoch. Wir haben zahlreiche Mandanten, die in selbstgenutzten Häusern und Wohnungen leben und/oder auch
 Ferienwohnungen besitzen. Formal tauchen diese Liegenschaften in den
 Steuererklärungen nicht auf.

In den nächsten Monaten wird es weitere Infoschreiben geben, um die Mandanten nachhaltig für ihre Pflichten und die ehrgeizigen Fristen zu sensibilisieren und vor allem Verständnis dafür zu schaffen, dass bereits jetzt Handlungsbedarf besteht, obwohl die neue Grundsteuer 2025 erst erhoben wird. Das ist dringend nötig. 
Mittlerweile haben diverse Software-Anbieter Lösungen zur Umsetzung der
Grundsteuerreform in Kanzleien ausgearbeitet.

Digitale Unterstützung ist also 
in Sicht, wenn auch häufig noch nicht als lauffähige Endversion. Neue digitale
Prozesse brauchen stets eine gewisse Anlaufphase, bis alles implementiert ist
 und man routiniert damit arbeiten kann. Diese Phase wird angesichts des 
knappen Terminplans denkbar kurz ausfallen.

Ist diese Aufgabe mit den vorhandenen Mitarbeitern zu bewältigen?

Nein. Im Zuge der Novellierung der Grundsteuer sollen circa 36 Millionen 
Grundstücke in Deutschland neu bewertet werden. Selbstverständlich unterstützen die Steuerberater ihre Mandanten bei der Einreichung der Feststellungserklärung. Allerdings stellt dies eine weitere zusätzliche Aufgabe für den Berufsstand dar.

Die Steuerberatungskanzleien arbeiten seit Beginn der Corona-Pandemie am absoluten Limit. Über einen Zeitraum von rund 1,5 Jahren wurden Anträge für Corona-Wirtschaftshilfen, Kurzarbeitergeld etc. gestellt. 
Darum mussten originäre Aufgaben aufgeschoben werden, weshalb die
Kanzleien vielfach um mehr als ein halbes Jahr hierbei in Verzug sind.

Inmitten dieser angespannten Situation steht dem Berufsstand nun eine
 weitere Zusatzaufgabe ungeahnten Ausmaßes bevor. Trotz aller Vorbereitung bleibt ein gewisses Maß an Skepsis, ob das Grundsteuer-Vorhaben so wie gedacht auch wirklich reibungslos realisierbar ist. Wir sind damit beschäftigt einen riesigen Berg an Daten aus unterschiedlichen Informationsquellen zusammenzutragen. Teilweise liegen die für die Feststellungserklärungen benötigten Infos weder digital noch
analog vor.

Fehler können Eigentümer unter Umständen teuer zu stehen kommen. Hilft das Finanzamt bei Unklarheiten oder wird es offensichtliche Fehler zuungunsten des Grundstückbesitzers korrigieren?

Bisher gibt es dazu keine Erfahrungen. Die deutschen Steuerberater und die Wirtschaft drängen auf Änderungen an 
der geplanten Reform der Grundsteuer. Die Bürger und Unternehmen dürfen 
in puncto Bürokratie und Belastung nicht die Leidtragenden der Reform sein.

Die Angaben müssen bis Ende Oktober beim Finanzamt abgegeben werden. Ist das genug Zeit?

Ein klares Nein. Die derzeitig vorgesehene Überlegung, die Feststellungserklärungen von insgesamt circa 36 Millionen wirtschaftlichen Einheiten in einem Zeitfenster von vier Monaten einzureichen, halten wir für nicht umsetzbar, weshalb es einer Fristverlängerung bedarf.

Die Notwendigkeit gründet einerseits auf der Komplexität der Neubewertung
 der wirtschaftlichen Einheiten, denn mangels eines bundeseinheitlichen
 Grundsteuermodells wird der Berufsstand mit unterschiedlichen Ländermodellen und divergierenden grundsteuerrelevanten Angaben in den
jeweiligen Bundesländern konfrontiert.

Andererseits muss der zeitliche Mehraufwand für die Beschaffung der steuer-
erheblichen Daten angesichts der Masse der neu zu bewertenden
 Grundstücke sowie der bisher nicht vorhandenen Zugriffsmöglichkeiten auf
 grundstücksrelevante Datenbanken berücksichtigt werden.

Wie kooperieren die Steuerberater mit den Finanzämtern? Gibt es extra eingerichtete Abteilungen?

Die den Steuerberatern gewährte Zeit zur Einreichung der
 Feststellungserklärung steht in einem groben Missverhältnis zu dem der
 Finanzverwaltung für die Feststellung der Grundstückswerte und die 
Veranlagung der Grundsteuermessbeträge verbleibende Zeitraum von mehr
 als zwei Jahren bis Ende 2024.

Eine Fristverlängerung um mindestens sechs Monate ist aus unserer Sicht darum
 dringend geboten. Zudem darf eine verspätete Einreichung nicht zu
 Verspätungszuschlägen oder sonstigen Sanktionen führen. Darüber hinaus
 sollte der Steuerpflichtige bei nicht fristgerechter Einreichung der
 Feststellungserklärung durch einen zwei- bis dreimaligen Erinnerungslauf
 verwaltungsseitig auf die Abgabe der Feststellungserklärung aufmerksam
 gemacht werden. Dies erscheint insbesondere bei nicht flächendeckender
 Versendung von Informationsschreiben unentbehrlich.

Noch steht nicht final fest, wie die Finanzämter damit umgehen, wenn
 Eigentümer ihre Daten nicht bis Ende Oktober 2022 abliefern. Das zuständige
 Finanzamt kann Verspätungszuschläge festsetzen. Im schlimmsten Fall
 können sogar bis zu 25.000 Euro Zwangsgeld fällig werden, und das
 Finanzamt kann die Schätzung der Daten vornehmen, die zuungunsten der
Eigentümer ausfallen könnten.

Wie hoch Ihre Grundsteuerbelastung in Zukunft tatsächlich ausfallen wird, kann im Moment noch niemand wirklich sagen, weil weder die Grundstücksbewertung endgültig abgeschlossen ist, noch die Hebesätze ab dem Jahr 2025 feststehen. Die am 8. November 2019 verabschiedete Neuregelung der Grundsteuer sieht grundsätzlich vor, dass die grundsätzliche Struktur und das Aufkommen der Grundsteuer erhalten bleibt.

Die ms+ Steuerberatungskanzlei Markus Schierz wurde im April 2006 von Markus Schierz – Steuerberater, Diplom-Betriebswirt (FH) und Fachberater für Unternehmensnachfolge (DStV e.V.) – gegründet und ist eine mittelständische Steuerberatungskanzlei in Eppertshausen.



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