Klage stattgegeben: EuGH verurteilt Deutschland wegen zu schmutziger Luft in Städten – Umwelthilfe erfreut

Die seit 2010 gültigen EU-Grenzwerte für das gesundheitsschädliche NO2 wurden jahrelang in Deutschland gebrochen. Der Vorwurf lautete, dass keine geeigneten Maßnahmen ergriffen worden seien, um die Zeiträume, in denen die Grenzwerte überschritten werden, so kurz wie möglich zu halten
Epoch Times3. Juni 2021

Der Europäische Gerichtshof hat Deutschland verurteilt, weil jahrelang in vielen Städten die Grenzwerte für den Luftschadstoff Stickstoffdioxid erheblich überschritten wurden.

Die Bundesrepublik habe damit EU-Recht gebrochen, entschieden die höchsten EU-Richter heute in Luxemburg. Hintergrund ist eine Klage der EU-Kommission. Sie bezieht sich auf die Jahre 2010 bis 2016. (Rechtssache C-635/18)

Klage wurde 2018 eingereicht

Die EU-Kommission hatte die Klage gegen Deutschland 2018 beim obersten EU-Gericht eingereicht. Sie begründete dies damals damit, dass die seit 2010 in der EU gültigen Jahresgrenzwerte für Stickstoffdioxid in 26 Gebieten systematisch und fortdauernd überschritten worden seien. Dazu gehörten Berlin, Hamburg, München und Stuttgart. In zwei Gebieten seien auch Stundengrenzwerte nicht eingehalten worden.

Konkret gab es danach anhaltende Überschreitungen in den Ballungsräumen Berlin, Stuttgart, Freiburg, Mannheim/Heidelberg, München, Nürnberg/Fürth/Erlangen, Hamburg, Rhein-Main und Kassel, insgesamt in Mittel- und Nordhessen, den Regierungsbezirken Tübingen und Karlsruhe, ländlichen Gebieten in Nordrhein-Westfalen sowie den Städten und Regionen Grevenbroich (Rheinisches Braunkohlerevier), Köln, Düsseldorf, Essen, Duisburg/Oberhausen/Mülheim, Hagen, Dortmund, Wuppertal, Aachen, Mainz, Worms/Frankenthal/Ludwigshafen und Koblenz/Neuwied.

Den Argumenten folgte der EuGH jetzt. Deutschland habe dadurch gegen seine Verpflichtungen aus der Luftreinhalterichtlinie verstoßen, „dass keine geeigneten Maßnahmen ergriffen wurden, um ab dem 11. Juni 2010 in allen Gebieten die Einhaltung der Grenzwerte für NO2 zu gewährleisten“, erklärte das Gericht.

Stellt der EuGH eine Vertragsverletzung fest, kann die Kommission Zwangsgelder beantragen, sofern Deutschland die Stickoxid-Grenzwerte weiter nicht einhält.

Streit um die Typengenehmigung von Dieselfahrzeugen

Ohne Erfolg hatte Deutschland versucht, einen Teil der Verantwortung an die EU-Kommission zurückzugeben. Diese sei bei der Typengenehmigung von Dieselfahrzeugen insbesondere der Abgasnorm Euro 5 nachlässig gewesen. Zu dieser Normgruppe gehört auch der wichtigste vom Dieselskandal betroffene VW-Motor EA 189.

Der EuGH betonte, dass die Typengenehmigung für bestimmte Kraftfahrzeuge nicht von der Einhaltung der Stickoxid-Grenzwerte befreien kann. Ohnehin gehe die Stickoxid-Belastung nicht nur von Autos aus. Stellt der EuGH nun eine Vertragsverletzung fest, kann die Kommission Zwangsgelder beantragen, sofern Deutschland die Stickoxid-Grenzwerte weiter nicht einhält.

Klage der Deutschen Umwelthilfe

Die Deutsche Umwelthilfe hat das EuGH-Urteil gegen Deutschland wegen zu schmutziger Luft in den Städten begrüßt. „Für uns heißt das Urteil, dass jetzt eben noch mehr gemacht werden muss, um betrügerische Dieselfahrzeuge aus dem Verkehr zu ziehen oder nachzurüsten“, sagte DUH-Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch der „Welt“. Das Ziel sei, dass „diese Fahrzeuge zukünftig nicht mehr die Luft in unseren Städten verpesten“.

Resch forderte für Städte eine „Verlagerung“ im Straßenverkehr: „Wir brauchen mehr Platz für das Fahrrad, wir brauchen eine attraktivere Ausgestaltung der Angebote von Bahn, Bus, Straßenbahn.“ Nach dem Urteil müsse „jetzt wirklich gehandelt“ werden.

Die Deutsche Umwelthilfe hatte gegen neun Bundesländer für bessere Luft in insgesamt 40 Städten geklagt und wo nötig auch Fahrverbote für Diesel-Pkw gefordert. Die Länder hatten dies meist als überzogen abgewiesen.

Erst im Februar 2018, keine drei Monate vor der Vertragsverletzungsklage der EU-Kommission, hatte das Bundesverwaltungsgericht in Urteilen zu Stuttgart und Düsseldorf klargestellt, dass die Luftreinhaltepläne auch Fahrverbote für Diesel-Pkw vorsehen müssen, wenn anders die europarechtlichen Grenzwerte nicht zeitnah eingehalten werden können.

Neue Auflagen für Diesel?

Neue Auflagen zum Beispiel für Dieselfahrzeuge sind im Einzelfall nicht ausgeschlossen. Allerdings hat sich die Luftqualität in deutschen Städten zuletzt verbessert. Das Umweltbundesamt berichtete im Februar, 2020 seien in deutlich weniger als zehn deutschen Städten NO2-Grenzwerte überschritten worden – statt 25 im Jahr davor. Betroffen waren 2020 unter anderen München und Hamburg.

Die Grenzwerte für Stickoxide wurden 2008 beschlossen und sind seit 2010 verbindlich. Danach darf das Jahresmittel für Stickoxide an keiner Messstelle über 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen, und das Stundenmittel darf höchstens 18-mal im Jahr die Schwelle von 200 Mikrogramm überschreiten.

Stickstoffdioxide entstehen vor allem bei Verbrennungsprozessen sowohl in Motoren als auch in Öfen für Kohle, Öl, Gas, Holz und Abfälle. Sie gelten unter anderem für Asthmatiker als schädlich.

Kritik an Verkehrsminister Scheuer

„Verkehrsminister Scheuer drohen bei dem Urteil hohe Geldstrafen, weil die Bundesregierung über zehn Jahre beim Gesundheitsschutz der Bürger weggeschaut hat“, sagte Grünen-Verkehrsexperte Oliver Krischer den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Die CSU-Verkehrsminister hätten gewusst, dass die Autokonzerne billige und nicht funktionierende Abgastechnik verbauen. „Sie haben es aber nicht als nötig erachtet, dass gesetzliche Vorschriften eingehalten werden.“

Minister Scheuer hatte kürzlich die jüngsten Verbesserungen bei der Luftqualität für sich reklamiert. Von über 90 Städten im Jahr 2016 überschritten 2019 nur noch 25 Städte die Höchstwerte für Stickoxid. Das Sofortprogramm „Saubere Luft“ wirke.

Grünen-Verkehrsexperte Krischer kritisiert, dass der Abruf der Mittel aus dem Sofortprogramm nach vier Jahren immer noch katastrophal sei: „Von den zwei Milliarden Euro im Topf ist nur ein kleiner Betrag abgerufen.“ Nur die Nachrüstung der Diesel-Busse klappe. Krischer: „Das Sofortprogramm wird mit der Geschwindigkeit einer Schnecke umgesetzt, auch weil Minister Scheuer bei bürokratischen Vorschriften ordentlich zugelangt hat.“

Auch bei den Stickoxid-Werten könne es noch keine Entwarnung geben. „Wie es um die Stickoxidbelastung in den Innenstädten steht, werden wir erst in den nächsten Monaten sehen, wenn es weniger Home-Office geben wird und die Leute wieder stärker auch in der Freizeit unterwegs sind“, sagte der Grünen-Verkehrsexperte.

Oliver Luksic, Verkehrsexperte der FDP im Bundestag, sagte den Funke-Zeitungen, er setze bei der Verbesserung der Luftqualität auf technischen Fortschritt. Die Einhaltung der Grenzwerte sei durch den kontinuierlichen Flottenaustausch hin zu neuen, sauberen Motoren vorangekommen.

Ineffektive Verbote und teure Förderprogramme aus Steuergeld seien „ungleich weniger hilfreich“. Luksic: „Statt Dieselfahrer auszusperren, braucht es daher jetzt mehr intelligente Verkehrslenkung und stabile Bedingungen für den weiteren Flottentausch.“ (dpa/dts)



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