NDR: Journalisten werfen eigenen Kollegen „Hofberichterstattung“ vor

Die Spaltung der Redaktion des NDR in Schleswig-Holstein geht offenbar noch tiefer als zuvor angenommen. In einem Brief an den Intendanten hat sich ein Teil des Teams offen gegen Kollegen gewandt, die zuvor eine zu große Nähe zu Ministerpräsident Günther beklagt hatten.
Das Landesfunkhaus Schleswig-Holstein des NDR ist in Verruf geraten.
Das Landesfunkhaus Schleswig-Holstein des NDR ist in Verruf geraten.Foto: Axel Heimken/dpa
Von 7. September 2022

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Der öffentlich-rechtliche Rundfunk in Deutschland kommt weiterhin nicht aus den Negativschlagzeilen. Nachdem in den vergangenen Wochen bereits der „RBB“ wegen des Vorwurfs undurchsichtigen Finanzgebarens ins Gerede gekommen war, zeigt sich nun auch die Redaktion des „NDR“ in Schleswig-Holstein tief gespalten. Wie die „Berliner Zeitung“ diesen Dienstag berichtete, ist nun auch ein Brief mehrerer Redakteure vom Oktober 2021 aufgetaucht, der unterstreiche, wie tief gespalten das Gremium sei.

Interview mit Günther-Kritiker abgesagt

In einem Schreiben, das Kritiker als „Ergebenheitsadresse“ titulieren, hatten sich einige Redakteure des Ressorts „Politik und Recherche“ an NDR-Intendant Joachim Knuth gewandt und sich von Kollegen distanziert, die im Jahr zuvor den Redaktionsausschuss angerufen hatten.

Grund für das Vorgehen war eine Weisung der Redaktionsleitung im Zusammenhang mit einem Konflikt innerhalb der Landesregierung. Im Frühjahr 2020 zwang Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) seinen Innenminister und Parteikollegen Hans-Joachim Grote zum Rücktritt infolge eines „zerstörten Vertrauensverhältnisses“. Günther waren Aktenteile eines Ermittlungsverfahrens gegen einen früheren Vizechef der Polizeigewerkschaft übermittelt worden, aus denen hervorging, dass Grote dem Beschuldigten interne Informationen weitergereicht hätte.

Strafrechtliche Konsequenzen gab es für Grote keine, seine politische Karriere war jedoch zu Ende. Als er gegenüber dem NDR Kritik am Vorgehen des Ministerpräsidenten übte und NDR-Autoren dies in einen Beitrag einbauen wollten, ließ Abteilungsleiterin Julia Stein das entsprechende Zitat kurz vor Ausstrahlung aus dem Beitrag nehmen. In weiterer Folge veranlasste die Redaktionsleitung außerdem die Absage eines Interviews mit Grote, das dieser der Redaktion im Vorfeld bereits zugesagt hatte.

Die Redaktionsleitung hatte dies unter anderem mit der Einschätzung begründet, dass eine weitere Vertiefung des Themas keinen entscheidenden Mehrwert versprochen hätte. Grote habe zudem in ausreichendem Maße Gelegenheit gehabt, seinen Standpunkt zu erläutern. In seinem Bericht vom September 2021 kam der Redaktionsausschuss hingegen zu der Einschätzung, das Interview hätte geführt werden müssen. Der NDR habe die Chance verstreichen lassen, kritische Fragen an beide Konfliktparteien zu richten.

Klima der Angst und Zensur im NDR?

Noch weniger zurückhaltend äußerte sich jüngst ein Redaktionsmitglied gegenüber dem „Stern“. Was die Redaktionsleitung an der Waterkant vollziehe, grenze „schon an Hofberichterstattung“. Sein Eindruck sei, Inhalte würden „gefiltert“, die Redaktionsspitze sei „nicht mehr objektiv“.

Erst jüngst hatten 72 Mitarbeiter des Landesfunkhauses in Kiel eine „lückenlose und transparente Aufarbeitung aller Vorwürfe“ gefordert, die im Zusammenhang mit einem Enthüllungsbericht des „Business Insider“ von vor zwei Wochen laut geworden waren.

Darin war unter anderem davon die Rede, dass es innerhalb der Redaktion ein „Klima der Angst“ gebe und die Berichterstattung – auch abseits der Grote-Affäre – von „politischen Filtern“ und „Zensur“ geprägt sei. Mehrfach stand der Vorwurf der „Hofberichterstattung“ zugunsten des Ministerpräsidenten im Raum.

Im Laufe der vergangenen Jahre hätten sich mehrere Redakteure an den Redaktionsausschuss gewandt und ihren obersten Vorgesetzten Julia Stein, Norbert Lorentzen und Volker Thörmählen vorgeworfen, „Berichterstattung […] teilweise verhindert und kritische Informationen heruntergespielt“ zu haben.

Politik-Chefin Stein und Fernsehchef Lorentzen hätten Autoren abgezogen und „Beiträge in den Abnahmen massiv verändert“. Die Führungskräfte würden wie „Pressesprecher der Ministerien“ agieren, die kritischen Themen frühzeitig die Relevanz absprechen.

„Bisher nicht gekanntes Maß an Servilität“

In der „Ergebenheitsadresse“ hingegen, die vom bekennenden ehemaligen Aktivisten der Jungen Union, Stefan Böhnke, initiiert worden sei, wandten sich mehrere Kollegen gegen „anonyme, schwerwiegende Vorwürfe gegen nicht näher genannte Redaktionsmitglieder“, die „unsere Arbeit in Misskredit bringen, ohne dass der Redaktionsausschuss ausführlich mit möglichst vielen Mitgliedern der Redaktion gesprochen hat, um sich ein tatsächliches Bild der Lage zu verschaffen“.

Tatsächlich sei der „Berliner Zeitung“ zufolge aber durchaus ein konkreter Fall mit Nennung der Namen aller Beteiligten geschildert worden. Die Redakteure, die den Brief unterzeichnet hatten, wiesen die Vorwürfe politischer Einseitigkeit und zu großer Nähe „entschieden zurück“. Vielmehr sei es eine „Ermessensfrage“ gewesen, das Grote-Interview abzusagen oder nicht. Die Kritiker der Entscheidung wurden demnach als Unruhestifter gebrandmarkt.

Aus deren Reihen wiederum ist die Rede von einem „bisher nicht gekannten Maß an Servilität“, das den Brief an die Redaktionsleitung kennzeichne. Eine Sekretärin habe sich dem Druck nicht gebeugt, der von den Verfassern auf Kollegen ausgeübt worden sei. Viele Redakteure hätten sich „ihrer Unterschrift durch Dreharbeiten oder Krankheit entzogen“. In Summe hätten weniger als die Hälfte das Schreiben unterschrieben.

Redaktionelle Funktionen bis auf Weiteres zurückgelegt

Mittlerweile hat der unabhängige Landesrundfunkrat Schleswig-Holstein als Reaktion auf den „Brandbrief“ der 72 Mitarbeiter, über den der „Stern“ berichtet hatte, eine Prüfung eingeleitet. Im Interesse der „Reputation des Senders“ fordere man die „lückenlose Aufklärung“ der Vorwürfe.

Wie das „T-Online“-Portal berichtet, haben Lorentzen und Stein zu Beginn der Vorwoche Landesfunkhaus-Direktor Volker Thormählen gebeten, sie „bis auf Weiteres von ihren bisherigen Aufgaben im Landesfunkhaus Schleswig-Holstein zu entbinden“. Thormählen habe diesem Ansinnen entsprochen.

Die Redakteure würden keine journalistischen Beiträge mehr abnehmen, in denen es um die Vorwürfe gegen den NDR in Kiel gehe, äußerte Thormählen gegenüber dem „Stern“ und fügte hinzu: „Ich möchte der guten Ordnung halber daran erinnern, dass die Unschuldsvermutung gilt.“



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