„Wir werden als reiches Land nicht verhungern“

Die landwirtschaftliche Produktion in der Ukraine und Russland liegt teilweise am Boden. Was bedeutet das für die Ernährungssicherheit der Menschen in Deutschland? Im Gespräch mit Dr. Willi Kremer-Schillings.
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Maisfeld in der Ukraine. Symbolbild.Foto: iStock
Von 10. März 2022

Ukrainische Bauern fahren Panzer statt Traktor, die Frühjahrsaussaat bei Sonnenblumen, Soja, Sommergetreide ist in Gefahr. Zudem sind Silos und Verladeeinrichtungen in den Häfen zerstört oder blockiert. Ganz davon abgesehen, dass Ersatzteile für Landmaschinen kaum zu bekommen sind.

Was bedeutet das für Deutschland? Wir fragten Dr. Willi Kremer-Schillings, besser bekannt als „Bauer Willi“, danach. Er bewirtschaftet einen 40-ha-Ackerbaubetrieb im Rheinland. Zwischen Zuckerrüben, Raps und Getreide, Dünger bestellen und Rasen mähen findet er als Vorruheständler auch etwas Zeit, zu schreiben und sein Wissen weiterzugeben. Der Agraringenieur promovierte im Fachbereich Pflanzenbau und war bis 2014 in einem Familienunternehmen in der Zuckerbranche tätig. Die Fragen stellte Kathrin Sumpf.

Wie bewerten Sie die Ernährungssicherheit in Deutschland?

Wir werden als reiches Land nicht verhungern. Bei einigen Grundnahrungsmitteln haben wir einen hohen Selbstversorgungsgrad (Fleisch, Kartoffeln, Getreide, Milch). Bei Obst und Gemüse sind wir stark von Importen abhängig. Ich gehe davon aus, dass das Sortiment, das wir in den Supermärkten gewohnt sind, demnächst Lücken aufweist. Russland und die Ukraine sind die weltgrößten Produzenten von Sonnenblumen und damit Sonnenblumenöl. Das wird wohl bald knapp werden, lässt sich aber teilweise durch andere Öle ersetzen. Die werden dann natürlich teurer. Wenn Speiseöle knapp werden, macht es Sinn, auf Beimischungen von Biodiesel aus nachwachsenden Rohstoffen im Benzin zu verzichten.

Wie sehen Sie die geplanten Flächenstilllegungen von 4-10 Prozent ab 2023 aufgrund der nun veränderten Rahmenbedingungen?

Wir reden bei einem Ausfall der Exporte von Getreide/Mais aus der Ukraine und teilweise auch aus Russland von einer Größenordnung von ca. 100 Mio. Tonnen Getreide. Jetzt im März und April werden viele Sommerkulturen wie zum Beispiel Zuckerrüben, Mais, Soja, Sonnenblumen und Sommergetreide (Braugerste) ausgesät. Ich sehe nicht, dass das in diesem Jahr in der Ukraine der Fall sein wird. 

Die Männer, die normalerweise die Maschinen in den landwirtschaftlichen Betrieben fahren, sind im Krieg. Zudem fehlt fast überall der Diesel, mit dem die Traktoren fahren. Eine halbwegs normale Ernte ist nur zu erwarten, wenn bis Mitte April die Saat erfolgt ist. In der Ukraine steht viel Wintergetreide, das muss jetzt gedüngt werden, sofern Dünger vorhanden ist. Anfang Mai wird Pflanzenschutz betrieben. Fehlt das, sind die Erträge geringer. Das sind die Fakten, die uns die Natur vorgibt.

Zu den geplanten Flächenstilllegungen: Ich höre Signale aus Brüssel, dass man verstanden hat, dass man die jetzt entstehende Lücke nicht noch größer werden lassen darf. Es wird wohl darauf hinauslaufen, dass wir Bauern 100 Prozent unserer Ackerflächen nutzen dürfen. Alles andere wäre auch zynisch den Menschen gegenüber, die auf die Importe der kriegsführenden Länder angewiesen sind. Das ist vor allem Nordafrika und der arabische Raum.

Ist das Ziel von 30 Prozent Ökolandbau bis 2030 angesichts der dann geringeren Ernteerträge noch tragfähig?

Hier gilt das Gleiche wie bei den geplanten Flächenstilllegungen. Die EU und Deutschland wären gut beraten, angesichts der fehlenden Mengen „auf Sicht zu fahren“. Nicht nur in der Energiepolitik, auch in der Ernährungspolitik ist ja seit dem Beginn des Krieges nichts mehr wie vorher. 

Ich bin mir sicher, dass die Politik spätestens dann reagiert, wenn die ersten Versorgungsengpässe auftreten. Sorge macht mir da weniger Deutschland, sondern primär die Versorgung anderer Importländer. Wenn Nordafrika den Weizen nicht mehr bezahlen kann, was passiert dann? Ich denke, die Antwort kann sich jeder selbst geben.

Landwirte fordern das Staatsziel „Ernährungssicherung“. Wie sehen Sie das?

Dazu verweise ich auf den § 39 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dort steht, dass [es das Ziel der gemeinsamen Agrarpolitik sei], „auf diese Weise der landwirtschaftlichen Bevölkerung, insbesondere durch Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens der in der Landwirtschaft tätigen Personen, eine angemessene Lebenshaltung zu gewährleisten ist; die Märkte zu stabilisieren; die Versorgung sicherzustellen; für die Belieferung der Verbraucher zu angemessenen Preisen Sorge zu tragen.“

Damit ist doch eigentlich alles gesagt. Nur scheint das im Laufe der Zeit vergessen worden zu sein. Als Landwirt fordere ich persönlich kein Staatsziel „Ernährungssicherung“, weil ich meine vierköpfige Familie immer ernähren kann. Die anderen 140 Personen, die jeder Landwirt in Deutschland auch noch ernährt, müssten eigentlich diese Forderung aufstellen.

Wie schätzen Sie die Akzeptanz für höhere Preise für Nahrungsmittel bei den Verbrauchern ein?

Wer findet höhere Preise gut? Heute kostete der Diesel an der Tankstelle über 2 €/l und ich musste einen 100-Euro-Schein rüberreichen. Die Lebensmittel sind schon teurer geworden, aber das ist erst der Anfang. Ich sehe die Preissteigerungen in den nächsten Monaten deutlich im zweistelligen Bereich.

Das bedeutet aber nicht, dass wir Landwirte davon profitieren würden. Wie schon gesagt ist der Diesel heute fast doppelt so teuer, Dünger ist teilweise um das Vierfache im Preis gestiegen und auch weitere Betriebsmittel werden von der Teuerung nicht verschont bleiben.

Wenn ich jetzt den doppelten Preis für meinen Weizen bekomme, muss das so sein, weil die Kosten auch explodiert sind. Aber für das Brötchen macht das nicht viel aus. Vor einem Jahr war in einem Brötchen Weizen im Wert von 0,8 Cent. Jetzt sind es 1,6 Cent. Wenn das Brötchen teurer wird, liegt das also nicht am Rohstoff, sondern an den Energiepreisen, höheren Löhnen oder anderen Faktoren in der Verarbeitung meines Weizens.

Was mir aber auch hier wieder Sorgen macht: Wenn der Warenkorb an Lebensmitteln demnächst zum Beispiel 150 € pro Monat teurer wird, kann das der Bürger mit einem Durchschnittseinkommen noch irgendwie wegstecken. Er kann sich dann zwar einiges nicht mehr so leisten, wie er es gewohnt war, aber das werden wir verkraften. Für denjenigen, der aber den Euro zweimal umdrehen muss, wird es ein existenzielles Problem. Was passiert dann? Darüber sollten wir uns bald Gedanken machen.



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