Wenn nach der Lohnerhöhung weniger Geld übrig ist

Gehaltserhöhungen führen nicht zwangsläufig zu mehr Geld in den Taschen. Ursache sind die Grenzwerte der Steuerklassen. Eine Analyse.
Wenn nach der Lohnerhöhung weniger Geld übrig ist
Der Staat verdient an jeder Lohnerhöhung mit.Foto: iStock
Von 22. August 2022

Angesichts der hohen Inflation in Deutschland und den hierauf einsetzenden Forderungen zu Lohnerhöhungen unter den Gewerkschaften (es besteht die Gefahr des möglichen Entstehens einer sogenannten Lohn-Preis-Spirale) ist es in den Medien in den vergangenen Wochen auch vermehrt zu Diskussionen über die kalte Progression gekommen.

Viele Menschen können sich unter diesem Begriff wenig bis überhaupt nichts vorstellen, weshalb eingehender darauf eingegangen werden soll.

Mehreinnahmen des Staates wachsen

Wenn Gewerkschaften, wie jüngst im Bereich des Bodenpersonals der Fluglinie Lufthansa geschehen, beachtliche Gehaltserhöhungen für ihre Mitarbeiter durchsetzen, muss dies noch lange nicht bedeuten, dass die hiervon betroffenen Mitarbeiter am Ende auch tatsächlich deutlich mehr Geld in der Tasche haben.

Denn immer mehr Bürger zahlen in Deutschland mittlerweile den Spitzensteuersatz. Das Handelsblatt berichtete im Jahr 2020 darüber, dass zum damaligen Zeitpunkt mehr als 3,5 Millionen deutsche Arbeitnehmer den für Topverdiener vorgesehenen Spitzensteuersatz in Höhe von 42 Prozent gezahlt haben.

Unter Berücksichtigung der sprudelnden Mehrwert- und Mineralölsteuereinnahmen dürfte auch dieser Punkt dazu beigetragen haben, dass der deutsche Staat über beständig wachsende Finanzmittel verfügt. Andererseits müssen diese zunehmenden Finanzmittel und Steuereinnahmen jedoch auch irgendwo herkommen, und selbstverständlich stammen diese Mehreinnahmen aus den Taschen von Bürgern und Unternehmen.

Um auf die kalte Progression zurückzukommen, bedeutet das, dass Gehaltserhöhungen häufig nicht den Effekt hervorrufen, sich finanziell mehr leisten zu können.

Toms 3.500 Euro und eine Lohnerhöhung

Auch der Anstieg der Inflation – insbesondere die Preisteuerung im Energie- und Lebensmittelbereich – wird nicht komplett ausgeglichen. Aufgrund eines Aufstiegs in eine andere Steuerklasse verbleibt am Ende (manchmal weit) weniger Geld als zuvor erhofft im Geldbeutel der Betroffenen.

Auf der Seite von finanzensteuern.de wird ein Beispiel zur Wirkung der Kalten Progression geliefert. Dort wird eine fiktive Person namens Tom zur Grundlage der Betrachtung gemacht. Tom ist ledig und in Steuerklasse I veranlagt.

Als abhängig beschäftigter Arbeitnehmer verdient Tom 3.500 Euro pro Monat brutto. Seine guten Arbeitsleistungen versüßt ihm sein Arbeitgeber mittels einer Gehaltserhöhung von 3 Prozent, also 105 Euro pro Monat.

Von dieser Gehaltserhöhung bleibt netto allerdings nur ein Betrag von 74,40 Euro übrig. Grund hierfür ist, da Tom mit seinem neuen monatlichen Bruttoeinkommen in Höhe von 3.605 Euro einen höheren Steuersatz an den Staat entrichten muss. Resultat der Tom gewährten Gehaltserhöhung ist es, dass der individuelle Steuersatz von 25,3 auf 25,8 Prozent erhöht worden ist.

Wenn die Inflation beißt

Im Fall der Inflation handelt es sich um ein kreditbasiertes Phänomen, in dessen Zuge die Kaufkraft – und damit der sogenannte intrinsische Wert des Geldes – beständig abnimmt. Da Deutschland in seiner jüngeren Historie das ein oder andere Mal seine Erfahrungen mit einer wohlstandsvernichtenden Inflation gemacht hat, handelt es sich insbesondere hierzulande um ein sehr sensibles Thema.

Schatten der Vergangenheit werden wach. Die Furcht unter vielen abhängig Beschäftigten, die eigenen Leistungen oder über viele Jahre eigens angespartes Vermögen ein weiteres Mal durch Kaufkraftentzug entwertet oder auf kalte Weise enteignet zu bekommen, nimmt in diesen Tagen beständig zu.

Letzten Endes hängt alles zusammen mit unserem bestehenden Geldsystem, das eine uneingeschränkte elektronische Erzeugung von durch nichts gedeckten Geldeinheiten durch die Zentralbanken samt Kreditschöpfung durch die Banken erlaubt.

Ein System ohne gesetzte Grenzen

Einem System, dem keinerlei Grenzen gesetzt werden, fällt es im Zeitablauf immer schwerer, sich selbst zu regulieren. Ganz im Gegenteil verleitet die bestehende Option zur unentwegten Gelderzeugung durch Zentralbanken die (geld)politischen Entscheider dazu, einfach diesen Pfad weiter zu beschreiten – und zwar so lange, bis die damit in Verbindung stehenden Probleme für jedermann in der Gesellschaft offen zutage treten. Dann ist es allerdings meist schon zu spät.

Der deutsche Staat hat ein Steuermodell entworfen, in dem der individuell an das Finanzamt zu entrichtende Steuersatz samt Sozialabgaben umso höher ist, desto höher das Gehalt eines abhängig beschäftigten Mitarbeiters in Deutschland ausfällt.

Über die kalte Progression schöpft der Staat zusätzlich Einkommen ab. Gehaltserhöhungen kommen bei den Bürgern nicht brutto für netto an. Ganz im Gegenteil: Der Staat verdient an unternehmerisch gewährten Gehaltserhöhungen fürstlich mit.

In den meisten Fällen wächst die an den Staat zu entrichtende Steuerbelastung prozentual stärker als das Bruttoeinkommen. Oder anders ausgedrückt: Durch die Steuerprogression wächst das Nettogehalt nach einer Gehaltsanhebung weniger stark an als das Bruttogehalt.

Wird die momentan offiziell ausgewiesene Inflationsrate um die acht Prozent in Deutschland zur Grundlage gemacht, lässt sich nachvollziehen, dass selbst Gehaltsanhebungen von fünf Prozent gähnende Leere im Geldbeutel von abhängig beschäftigten Arbeitnehmern zurücklassen.

Kein vollständiger Inflationsausgleich

Selbst im Fall eines kompletten Inflationsausgleichs durch den Arbeitgeber hätten abhängig Beschäftigte aufgrund der Kalten Progression keinen vollen Inflationsausgleich im Geldbeutel. Grund ist, da der Staat steuerlich mitverdient, indem das Nettogehalt nach Abzug von gestiegenen Einkommenssteuern niedriger ausfällt als der durch den Arbeitgeber gewährte Inflationsausgleich.

Über einen Zeitraum von mehreren Jahren entsteht den meisten Arbeitnehmern auf diese Weise ein realer Verlust von Einkommen und Kaufkraft. Denn das Nettoeinkommen wächst langsamer als die Inflation.

Es versteht sich aus diesem Blickwinkel fast von selbst, dass die kalte Progression es insbesondere in Wahlkampfzeiten immer wieder in das Themenpotpourri der Parteien zurückschafft, ohne dass es bis heute in diesem Bereich zu großartigen – oder überhaupt irgendwelchen – Änderungen gekommen wäre.

Es erweckt aus diesem Grund den Eindruck, als ob den großen Parteien in Deutschland nicht allzu viel daran gelegen zu sein scheint, auf diesem Gebiet tatsächlich Änderungen und Reformen auf den Weg zu bringen, um für mehr Steuergerechtigkeit in der Gesellschaft zu sorgen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 58, vom 20. August 2022.



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