Außerirdische Neutrinos und der heilige Gral der Physik

Ein Team der Universität Kopenhagen beteiligt sich an einem groß angelegten Experiment in der Antarktis, mit dem herausgefunden werden soll, ob die Schwerkraft auch auf der Quantenebene existiert, die sogenannte Quantengravitation. Ein außergewöhnliches Teilchen, das sich ungestört durch den Raum bewegen kann, scheint die Antwort zu sein.
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Kommunikationseinrichtung im ewigen Eis (Symbolbild).Foto: iStock
Von 11. April 2024

5.000 Sensoren, verteilt auf einen Kubikkilometer Eis in der Nähe des Südpols, sollen eine der großen offenen Fragen der Physik beantworten: Gibt es Quantengravitation? Die Sensoren überwachen Neutrinos – Teilchen ohne elektrische Ladung und fast ohne Masse –, die aus dem Weltraum am Nordpol auf die Erde treffen.

Der eisige Forschungsstandort nutzt dabei ein Phänomen der winzigen Teilchen: Sie gehen praktisch ungestört durch die gesamte Erde hindurch, während andere Teilchen gestoppt werden. Indem man die Forschung auf die andere Seite der Erde verlagert, sinken demnach die Störsignale.

Ein Team des Niels-Bohr-Instituts (NBI) der Universität Kopenhagen hat an der Entwicklung der Methode mitgewirkt, die Neutrinodaten nutzt, um die Existenz der Quantengravitation zu ermitteln. Nun sei es Zeit für den nächsten Schritt, erklärten die Forscher.

Wissenschaftler suchen Quantengravitation am Südpol

„Wenn wir annehmen, dass die Quantengravitation tatsächlich existiert, wird dies dazu beitragen, die beiden derzeitigen Welten der Physik zu vereinen. Heute beschreibt die klassische Physik die Phänomene in unserer normalen Umgebung, wie zum Beispiel die Schwerkraft, während die atomare Welt nur mithilfe der Quantenmechanik beschrieben werden kann“, so Tom Stuttard, Assistenzprofessor am NBI. Weiter sagte er:

Die Vereinheitlichung von Quantentheorie und Gravitation ist nach wie vor eine der größten Herausforderungen in der Grundlagenphysik. Es wäre sehr erfreulich, wenn wir dazu beitragen könnten.“

Darstellung der IceCube-Neutrino-Detektoren im Eis der Antarktis.

Darstellung der IceCube-Neutrino-Detektoren im Eis der Antarktis. Foto: IceCube/NSF

Stuttard ist Mitautor eines wissenschaftlichen Artikels, der Ende März in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Physics“ veröffentlicht wurde. Darin beschrieben er und Kollegen die Ergebnisse einer großen Studie unter Beteiligung des NBI, in der mehr als 300.000 Neutrinos untersucht wurden. Dabei handelt es sich jedoch nicht um die interessantesten Neutrinos, die aus Quellen im tiefen Weltraum stammen. Die Neutrinos in dieser Studie entstanden in der Erdatmosphäre, als hochenergetische Teilchen aus dem Weltraum mit Stickstoff oder anderen irdischen Molekülen zusammenstießen.

„Die Untersuchung von Neutrinos, die aus der Erdatmosphäre stammen, hat den praktischen Vorteil, dass sie weitaus häufiger vorkommen als ihre Geschwister aus dem Weltraum. Wir brauchten Daten von vielen Neutrinos, um unsere Methodik zu validieren. Das haben wir jetzt geschafft. Damit sind wir bereit, in die nächste Phase einzutreten, in der wir Neutrinos aus dem tiefen Weltraum untersuchen werden“, sagte Stuttard.

Ungestört durch die Erde reisen

Das sogenannte IceCube-Neutrino-Observatorium befindet sich neben der Amundsen-Scott-Südpolstation in der Antarktis. Im Gegensatz zu den meisten anderen astronomischen und astrophysikalischen Einrichtungen eignet sich IceCube am besten für die Beobachtung des Weltraums auf der gegenüberliegenden Seite der Erde – in diesem Fall also jenem Teil über der Nordhalbkugel.

Denn während das Neutrino durchaus in der Lage ist, unseren Planeten – und sogar seinen heißen, dichten Kern – zu durchdringen, werden andere Teilchen aufgehalten, sodass das Signal für Neutrinos, die von der nördlichen Hemisphäre kommen, viel sauberer ist.

Da das Neutrino keine elektrische Ladung hat und nahezu masselos ist, wird es von den elektromagnetischen und starken Kernkräften nicht gestört, sodass es in seinem ursprünglichen Zustand Milliarden Lichtjahre durch das Universum reisen kann. Die entscheidende Frage ist, ob die Eigenschaften des Neutrinos auf seiner Reise über große Entfernungen tatsächlich völlig unverändert bleiben oder ob sich doch winzige Veränderungen bemerkbar machen.

Wenn das Neutrino die subtilen Veränderungen erfährt, die wir vermuten, wäre dies der erste starke Beweis für die Quantengravitation“, sagt Tom Stuttard.

Die IceCube-Anlage wird von der Universität von Wisconsin-Madison, USA, betrieben. Weltweit sind jedoch mehr als 300 Wissenschaftler beteiligt. Die Universität Kopenhagen ist eine von mehr als 50 Universitäten, die ein IceCube-Zentrum für Neutrinostudien betreiben.

Ein Neutrino-Sensor wird in die Eisdecke des Südpols hinabgelassen.

Ein Neutrinosensor wird in die Eisdecke des Südpols hinabgelassen. Foto: IceCube/NSF

Neutrinos in drei Geschmacksrichtungen

Um zu verstehen, nach welchen Veränderungen der Neutrinoeigenschaften das Team sucht, sind einige Hintergrundinformationen erforderlich. Während wir es als Teilchen bezeichnen, handelt es sich bei dem, was wir als Neutrino beobachten, in Wirklichkeit um drei zusammen erzeugte Teilchen, die in der Quantenmechanik als Superposition bekannt sind.

Das Neutrino kann demnach drei fundamentale Konfigurationen annehmen, nämlich Elektron, Myon und Tau. Welche dieser Konfigurationen wir beobachten, ändert sich auf der Reise des Neutrinos – ein wirklich seltsames Phänomen, das als Neutrinooszillationen bekannt ist. Dieses Quantenverhalten wird über Tausende Kilometer oder mehr aufrechterhalten, was man wiederum als Quantenkohärenz bezeichnet.

„In den meisten Experimenten wird die Kohärenz schnell gebrochen. Es wird jedoch nicht angenommen, dass dies auf die Quantengravitation zurückzuführen ist. Es ist einfach sehr schwierig, in einem Labor perfekte Bedingungen zu schaffen. Man will ein perfektes Vakuum, aber irgendwie schaffen es ein paar Moleküle, sich einzuschleichen und so weiter“, erklärt Tom Stuttard.

Im Gegensatz dazu seien Neutrinos insofern etwas Besonderes, als sie von der sie umgebenden Materie „einfach nicht beeinflusst werden“. Aus diesem Grund wissen die Forscher, dass „eine Unterbrechung der Kohärenz nicht auf Unzulänglichkeiten in der von Menschen geschaffenen Versuchsanordnung zurückzuführen ist.“

Viele Kollegen waren skeptisch – IceCube-Forscher sind zuversichtlich

Auf die Frage, ob die Ergebnisse der in „Nature Physics“ veröffentlichten Studie den Erwartungen entsprachen, antwortete Stuttard:

„Wir befinden uns in einer seltenen Kategorie wissenschaftlicher Projekte, nämlich in Experimenten, für die es keinen etablierten theoretischen Rahmen gibt. Wir wussten also nicht, was wir zu erwarten hatten. Jedoch wussten wir, dass wir nach einigen der allgemeinen Eigenschaften suchen konnten, die wir von einer Quantentheorie der Schwerkraft erwarten würden.“

Zwar hatten die Forscher die Hoffnung, Veränderungen im Zusammenhang mit der Quantengravitation zu sehen. Die Tatsache, „dass wir sie nicht gesehen haben“, schließe aber keineswegs aus, dass sie real sind.

Dazu erklärte der NBI-Professor: „Wenn ein atmosphärisches Neutrino in der antarktischen Anlage entdeckt wird, hat es normalerweise die Erde durchquert. Das sind etwa 12.700 km – eine sehr kurze Strecke im Vergleich zu Neutrinos, die aus dem fernen Universum stammen. Offensichtlich ist eine viel größere Entfernung erforderlich, damit die Quantengravitation, wenn sie denn existiert, zum Tragen kommt.“

In diesem Zusammenhang merkte Stuttard auch an, dass das Hauptziel der bisherigen Studie darin bestand, die Methodik zu ermitteln. Weiter sagte er:

„Viele Physiker haben jahrelang bezweifelt, dass Experimente jemals die Quantengravitation testen können. Unsere Analyse zeigt, dass es tatsächlich möglich ist, und mit zukünftigen Messungen mit astrophysikalischen Neutrinos sowie präziseren Detektoren, die im kommenden Jahrzehnt gebaut werden, hoffen wir, diese fundamentale Frage endlich beantworten zu können.“



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