Maueropfer Peter Fechter – ein Drama ohne Ende?

Am 13. August 1961 wurde Deutschland durch den Bau der innerdeutschen Grenze gewaltsam geteilt, was unzähliges Leid über das deutsche Volk brachte. Untrennbar damit verbunden sind die vielen Maueropfer durch das SED-Regime der DDR. Leider gibt es auch nach 61 Jahren in der Hauptstadt keine Straße, die an das bekannteste Maueropfer Peter Fechter erinnert.
Titelbild
Ein Bergungskommando aus Volkspolizisten und DDR-Grenzsoldaten der NVA tragen den durch Schüsse von DDR-Seite getöteten Flüchtling Peter Fechter (18) weg.Foto: Mit freundlicher Genehmigung des Mauermuseums – Museum Haus am Checkpoint Charlie
Von 17. August 2023

Am 17. August 1962 verblutete der damals 18-jährige Peter Fechter buchstäblich unter den Augen der Weltöffentlichkeit unmittelbar vor der Mauer in der Kreuzberger Zimmerstraße nahe dem alliierten Grenzübergang Checkpoint Charlie.

Dass sein qualvoller Tod zum weltweiten Synonym für den Mord an der Mauer wurde, war zwei Männern vor Ort zu verdanken: dem Westberliner Kameramann Herbert Ernst (1939–2019), der – eher zufällig in der Nähe des Geschehens – die Bergung und den Abtransport Fechters für alle Zeiten auf Zelluloid festhielt. Sein Film wurde 2010 von der UNESCO ins Weltdokumentenerbe aufgenommen.

Peter Fechter hatte gegen 14:00 Uhr an diesem 17. August 1962 mit seinem Freund Helmut Kulbeik die Mauer in der Zimmerstraße erreicht. Beide wollten in die Freiheit fliehen. Während Kulbeik die Flucht überraschend schnell gelang, eröffneten zwei Schützen, Unteroffizier Rolf Friedrich und der Gefreite Erich Schreiber, das Feuer aus ihren Maschinenpistolen auf Fechter. Dieser brach unmittelbar vor der Mauer tödlich getroffen zusammen. Fechter schrie fast eine Stunde lang um Hilfe, ehe er verstarb.

In Windeseile hatte sich das Geschehen herumgesprochen, sammelten sich Menschen hinter den spontan errichteten Absperrungen der Westberliner Polizei. Während die Ostberliner Grenzposten den Leichnam bargen und abtransportierten, hallten wütende Rufe über die Mauer gen Osten: „Mörder! Mörder!“

Die nach dem Mauerfall angeklagten Mordschützen wurden des „Totschlags“ für schuldig gesprochen. Der Unteroffizier wurde zu einem Jahr und neun Monaten, der Gefreite zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und acht Monaten „auf Bewährung“ verurteilt.

Obwohl die DDR-Grenzposten gegen den Auftritt alliierter Soldaten nicht tätig werden durften, lehnten seinerzeit die um Hilfe angeflehten, unweit am Checkpoint US-Amerikaner eine Hilfe ab. Heute wissen wir, dass diese damals heftig umstrittene Entscheidung keine „Selbstfindung“ war. Der diensthabende Offizier am Checkpoint folgte einer direkten Anweisung aus der Hauptstadt Washington.

1962 wurden erste Straßenschilder überklebt

Bereits einen Tag nach dem Mord an Peter Fechter wurden Straßenschilder im Umfeld des Tatortes mit seinem Namen überklebt; seither – also seit nunmehr 61 Jahren – tobt eine regelrechte Meinungsschlacht um die Umbenennung der Zimmerstraße nach dem Maueropfer Peter Fechter.

Dabei nimmt die Debatte immer mehr tragisch-skurrile Züge an. Denn immerhin hatten sich in der Vergangenheit bereits die (ehemaligen) Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) und Klaus Wowereit (SPD) für eine Peter-Fechter-Straße ausgesprochen. Der gegenwärtige Regierende Kai Wegner (CDU) hatte sich schon 2012, damals noch als Generalsekretär der CDU, für eine Umwidmung der Zimmerstraße eingesetzt.

Dagegen versuchen sich die für die Zimmerstraße verantwortlichen Bezirke Mitte und Kreuzberg im dialektischen Eiertanz. Mehrfach auf das Thema angesprochen, verweisen die Verwaltungen und die Politiker auf die „eigentliche Zuständigkeit“ des jeweils anderen Bezirks.

Die Zimmerstraße liegt tatsächlich an der Bezirksgrenze: Die Häuser auf der Westseite gehören zu Kreuzberg, der Straßenzug und die Häuser auf der Ostseite gehören zum Bezirk Mitte.

Aber auch andere (Verhinderungs-)Argumente müssen herhalten. So lasse das Straßengesetz nur „Neubenennungen nach Frauen“ zu etc. Dabei war und ist nicht bekannt, dass sich der einstige APO-Revolutionär Rudi Dutschke als Frau deklariert hätte. Trotzdem wurde die ebenfalls historische Kochstraße nach Dutschke benannt. Und das, obwohl in dem zitierten Straßengesetz „Doppelbenennungen“ ausgeschlossen worden waren. Nach Rudi Dutschke war bereits im Bereich der Freien Universität in Dahlem ein „Rudi-Dutschke-Weg“ benannt worden.

Der Kampf um eine Peter-Fechter-Straße

Auch die Vereinigung 17. Juni, ein nach dem Aufstand von 1953 von ehemaligen Teilnehmern in Westberlin gegründeter Verein, kämpft seit Jahrzehnten für eine Peter-Fechter-Straße. Zum 50. Todestag von Peter Fechter initiierte der Verein eine Unterschriftensammlung, wandte sich im Nachgang immer wieder in zahllosen Schreiben an die Fraktionen in den Bezirksverordnetenversammlungen (BVV) von Mitte und Kreuzberg und dem Abgeordnetenhaus von Berlin.

Mit Schildern „Peter-Fechter-Straße jetzt“ demonstrierten Mitglieder des Vereins an der Peter-Fechter-Stele in der Zimmerstraße während der obligatorischen Kranzniederlegungen durch die Politik und Institutionen am 17. August 2023.

Auch die Union der Opferverbände (UOKG) schloss sich schließlich der Forderung nach einer Umbenennung an. Noch im letzten Jahr verkündete deren Vorsitzender Dieter Dombrowski, man „habe die BVV in beiden Bezirken angeschrieben und angesprochen und dabei sehr gute Ergebnisse erzielt“. Es sei nun „eine positive Entscheidung“ zu erwarten.

Nur ein Jahr später erklärte Dombrowski (CDU) auf eine Bitte, ein entsprechendes Statement auf einer geplanten Pressekonferenz abzugeben, er könne sich nicht dazu äußern, da man übereingekommen sei, dieses Projekt wegen des Widerstandes der Schwester von Peter Fechter gegen eine Umbenennung gegenwärtig nicht weiterzuverfolgen.

Auch der Vorsitzende der Stiftung Berliner Mauer äußerte sich gegenüber der Vereinigung 17. Juni ähnlich. Um die Zurverfügungstellung von Räumlichkeiten für eine geplante Pressekonferenz zum Thema „Peter-Fechter-Straße“ und die Einbringung eines eigenen Statements zum Thema gebeten, erklärte dieser, man sei mit der UOKG und der Stiftung Aufarbeitung übereingekommen, das Thema „nicht weiterzuverfolgen“. Auch die Stiftung berief sich auf den Widerstand der Schwester von Fechter, der hochbetagten Gisela Geue.

Grundüberzeugungen treu bleiben

Tatjana Sterneberg, bis Juni dieses Jahres im Vorstand der Vereinigung 17. Juni, will diesen Argumenten nicht folgen: „Im Gegensatz zu mehreren Bundesländern hat Berlin bis heute, 61 Jahre nach dem Tod von Fechter, keine Straße nach diesem Symbol der Morde an der Mauer benannt, dies sei nicht mehr nachvollziehbar.“

Noch weniger Verständnis hat die Vereinigung für die „Rückzieher“ der mit dem Thema befassten Institutionen wie der UOKG. Der Dachverband ziehe ohne „eigenes Engagement auf der Straße“ Initiativen an sich und verkünde lauthals die „eigene Aktivität“, um sich dann sehr schnell einem politischen Mainstream unterzuordnen. „Schließlich geht es diesen Institutionen um Geld und Einfluss, das und den nur die Politik vermitteln kann. Da bleiben eigentliche Selbstverständlichkeiten schnell außen vor“, kritisiert Sterneberg.

Mike Mutterlose, der im Juni neugewählte Vorsitzende der historischen Vereinigung, sieht dies ähnlich: „Wir müssen unseren Grundüberzeugungen, aus denen unsere berechtigten Forderungen resultieren, treu bleiben. Ansonsten könnten wir unsere Vertretungen von Opferinteressen gleich auflösen. Das wäre ehrlicher als die unendliche Kreierung von an die Politik angepassten Ausflüchten. Diese Haltung hat auch posthum ein Peter Fechter nicht verdient.“

Eberhart Diepgen hat auf eine Anfrage der Vereinigung, ob dieser sein Statement von 2012 für eine Peter-Fechter-Straße aktualisiert erneut einbringen dürfe, herzlich und positiv geantwortet. Klaus Wowereit befindet sich im Urlaub und konnte daher (noch) nicht antworten. Der aktuell Regierende Kai Wegner, ebenfalls im Urlaub, wurde über die Senatskanzlei um eine Bestätigung seiner 2012 verbreiteten Befürwortung einer Peter-Fechter-Straße gebeten. Diese lag bis Redaktionsschluss noch nicht vor.

Zur Person:

Carl-Wolfgang Holzapfel (Jahrgang 1944) wuchs in Berlin-Zehlendorf auf. Er wurde durch den Aufstand in Ungarn politisiert. Nach dem Mauerbau schloss er sich dem Gedanken des gewaltlosen Widerstandes nach Mahatma Gandhi an. Er führte mehrere Hungerstreiks an Mahnmalen von Maueropfern durch. Er wurde 1965 am Checkpoint Charlie nach einer Demonstration verhaftet und 1966 zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach seinem Freikauf Ende 1966 durch die BRD führte er seinen Widerstand gegen die Mauer bis zu ihrem Ende fort.

Bekanntheit erlangte er mit einem Protest vom 13. August 1989, als er sich am Checkpoint Charlie über den „weißen Strich“ legte: die Füße im Westen, Kopf und Herz im Osten. 1990 ging er vor dem (letzten) Justizministerium der DDR in den Hungerstreik, um den Rücktritt des Justizministers zu erreichen, der zuvor in diesem Amt bereits unter Ulbricht und Honecker gedient hatte. Schließlich trat dieser zurück. Nach jahrelangen Kämpfen erreichte er die Errichtung eines „Platz des Volksaufstandes von 1953“ in Berlin. Er ist Ehrenvorsitzender der „Vereinigung 17. Juni“, die von ehemaligen Aufständischen und Mitgliedern des „Komitee 17. Juni“ 1957 gegründet wurde. Er war 1965 erstmalig dort Mitglied.



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