Geschöpfe der Meeresgöttin Sedna: Das faszinierende Rätsel der Grönlandhaie

Im kalten und dunklen Nordatlantik lebt eine wahre Meereslegende. Mit einer Lebenserwartung von bis zu 500 Jahren gelten Grönlandhaie als die am längsten lebenden Wirbeltiere der Welt.
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Eine Grönlandhai-Begegnung (Somniosus microcephalus).Foto: iStock / dottedhippo
Von 26. März 2023

Lebende Fossilien sind sie und seit jeher eine wichtige Legende der Inuit-Kultur. Diese Tiere sind wahre Überlebenskünstler, die in den extremsten Bedingungen des arktischen Ozeans leben und eine unglaublich lange Lebensdauer haben.

Im eisigen Nordatlantik haben Grönlandhaie eine erstaunliche Überlebensfähigkeit entwickelt. Dazu gehören ihre besonderen Talente wie das Bewegungslos-Jagen und das Verhindern von Blutgerinnseln. Wegen ihres starken Geruchs und ihres giftigen Fleisches werden sie nicht als Nahrung empfohlen. Sie sind eine faszinierende lebende Geschichte. Sie ermöglichen uns Einblicke in die Vergangenheit unseres Planeten.

Es war jedoch lange nicht bekannt, wie alt diese Tiere im eiskalten Wasser werden. Ein Durchbruch gelang Julius Nielsens Team von Haiforschern. Ihre Experimente haben es ermöglicht, die Augen der Haie zu untersuchen und ihr erstaunliches Alter zu enthüllen.

Grönlandhaie können in Wassertiefen von bis zu 1.800 Metern gut zurechtkommen. Foto: iStock

Die Legende der Kreaturen von Sedna, der Göttin des Meeres

Die Inuit, die im nördlichen Teil Kanadas, Alaskas und Grönlands leben, haben eine faszinierende Legende über Grönlandhaie in ihrer Kultur. Sie nennen sie Skalugsuak. Diese Haie sind demnach Kreaturen von Sedna, der Göttin des Meeres:

Vor langer Zeit folgte eine alte Frau einem uralten Brauch und befreite ihr Haar von Läusen, indem sie es mit ihrem eigenen Urin wusch. Als sie ihr Haar in einem Tuch zum Trocknen wickelte, fiel es jedoch ins Meer und versank.

Sedna, die Göttin des Meeres, fand das Tuch und erweckte es zum Leben, indem sie den ersten Grönlandhai, genannt „Skalugsuak“, erschuf. Diese erstaunlichen Kreaturen haben noch heute den starken Geruch von Urin, der von Sednas Schöpfungsgeschichte herrührt.

In schamanistischen Traditionen der Inuit wird eine enge Beziehung zwischen Menschen und Tieren gesehen. Tiere werden oft als spirituelle Führer oder Helfer betrachtet und können in Träumen oder Visionen erscheinen, um den Schamanen eine Botschaft oder Führung zu geben. Die Igloolik-Inuit betrachten Grönlandhaie als heilig und glauben, dass sie den Schamanen als Hilfsgeist dienen.

Die Tiere haben einen starken Geruch nach Urin, der viele Menschen anwidert. Foto: iStock

Die Bedeutung dieser Tiere war aber aufgrund ihres seltenen Auffindens begrenzt. Das Fleisch der Spezies ist grundsätzlich giftig und kann doch – ähnlich dem berühmten Kugelfisch – nach einem speziellen Verfahren verzehrt werden.

In der isländischen Kultur gibt es eine Tradition namens „Hákarl“, bei der das Fleisch des Grönlandhais in Würfel geschnitten und dann fermentiert wird. Diese Delikatesse wird oft zu besonderen Anlässen wie Hochzeiten und Feiern serviert. Obwohl der Geruch und Geschmack für viele Menschen gewöhnungsbedürftig ist, hat sie eine lange Geschichte in der isländischen Küche. Das Öl des Hais wurde auch als Brennstoff für Lampen verwendet. Es dient auch als Heilmittel gegen verschiedene Krankheiten.

Grönlandhai wird in Island mit einer uralten Methode bearbeitet, bei der das Fleisch verrottet. Hákarl, zertrümmerte Haifisch-Tranchen im Lager von Bjarnarhoefn. Foto: iStock

Zeugen vergangener Epochen

Julius Nielsen, Doktorand an der Universität Kopenhagen, hat jahrelang Grönlandhaie beobachtet und untersucht. Früher schätzten Wissenschaftler das Alter anhand der Größe des Hais, aber das war nicht sehr zuverlässig. Der dänische Fischereibiologe Poul Marinus Hansen arbeitete zwischen 1936 und 1949 in Westgrönland. Er wollte die Wachstumsrate von Grönlandhaien untersuchen. Hansen markierte insgesamt 411 Grönlandhaie und zeichnete ihre Längen auf. Etwa 16 Jahre später untersuchte er erneut die Maße von 28 der 411 Haie.

Allerdings stellte er fest, dass nur eine einzige Messung zuverlässig war. Im Jahr 1936 wurde der damals 262 cm lange Hai im Uummannaq Fjord in Nordwestgrönland markiert. Dieses Tier wuchs in 16 Jahren auf 270 cm (8 cm in 16 Jahren). Trotzdem wagte Hansen nur zu sagen, dass Grönlandhaie langsam wachsen und möglicherweise sehr langlebig sind. In seinem Werk zitierte Julius Nielsen die Worte seines Vorgängers aus dem Jahr 1963: „Die Ergebnisse sind sehr enttäuschend […] und leider sind nur sehr wenige Fortschritte gemacht worden.“

Außerdem ist die Situation bei Haien nicht einfach, weil ihre Skelette aus Knorpel bestehen. Herkömmliche Tests kommen deswegen nicht in Frage. Durch eine neue Technik konnte Nielsen jedoch erstaunliche Ergebnisse erzielen: Die durchschnittliche Lebenserwartung der Tiere liegt tatsächlich bei mindestens 272 Jahren. Einige Grönlandhaie können sogar mehr als 500 Jahre alt werden. Diese bahnbrechenden Ergebnisse wurden erstmals vollständig Ende 2017 in Nielsens Doktorarbeit veröffentlicht.

Arktische Eisberge in Grönland. Foto: iStock

Er und seine Kollegen untersuchten 28 Grönlandhaie, die als Beifang von Fischern aus der Tiefe des Nordatlantiks gefangen wurden. Dabei stellten sie fest, dass der größte Hai, den sie untersuchten, 502 Zentimeter maß und schätzungsweise 392 (±120) Jahre alt war – ein erstaunliches Alter, das ihn zum ältesten bekannten Wirbeltier auf der Erde macht.

Um das Alter der Tiere zu bestimmen, nutzten die Wissenschaftler die Kohlenstoff-14-Methode. Diese Vorgehensweise basiert darauf, dass das Zentrum der Augenlinse von Grönlandhaien bereits vor der Geburt entsteht und später nicht mehr erneuert wird. Dadurch bleibt das in den Proteinen enthaltene Kohlenstoff-14, das in der Atmosphäre durch kosmische Strahlung entsteht, über das gesamte Leben des Tieres erhalten. Das ist also genauso alt wie das Tier selbst. Einfach gesagt: Wenn wir die Konzentration dieser Substanz messen, können wir dadurch auch das Alter der Haie annähernd berechnen.

Da sie so alt werden können, ist es jedoch schwierig, eine ausreichend große Stichprobe von Haien zu untersuchen, die alle Altersklassen repräsentieren. Nielsen plant im Mai 2023 eine weitere 15-tägige Expedition zur Arktisstation Qeqertarsuaq (Grönland), um die Biologie und das Verhalten dieser Tiere weiter zu erforschen. Ein besonderes Highlight wird der Versuch eines Kinderarztes sein, das Herz der Haie mit Ultraschall zu untersuchen.

Majestätische Jäger der Arktis: Kältefest und unglaublich langsam schwimmend

Was für Tiere sind das, die ein halbes Jahrtausend lang leben? Wie sehen sie aus, wie verhalten sie sich und was sind ihre Besonderheiten?

Die mächtigen Meeresbewohner finden sich in den extremsten Bedingungen der Arktis zurecht. Trotz der eisigen Temperaturen bleiben sie dank ihrer unglaublich dicken Schichten aus isolierendem Fett warm. Das ist jedoch nicht alles – sie haben auch ein Molekül namens „Glykoprotein“ in ihrem Blut. Es verhindert, dass das Blut in der Kälte gerinnt. So kann ihr Körper auch bei Minusgraden in Schwung bleiben.

Grönlandhai, seltener Fisch des nördlichen Atlantiks. Foto: iStock

Diese majestätischen Jäger der Arktis sind auch bekannt als die am langsamsten schwimmenden Haie der Welt. Sie bewegen sich durch das Wasser mit einer beeindruckend langsamen Geschwindigkeit von etwa einem Kilometer pro Stunde. Das ist langsamer, als die meisten Menschen laufen. Das bedeutet, dass sie normalerweise nicht aktiv jagen, sondern eher auf ihre Chance warten, um ihre Beute zu erhaschen.

Die Haie, auch Skalugsuak genannt, können bis zu sieben Meter lang werden. Ihre raue Haut ist von Dornen bedeckt. Die Münder sind ständig geöffnet. Wie die meisten Haiarten haben Grönlandhaie keine festen Zähne. Ihre Zahnreihen sind wie ein Förderband angeordnet. Wenn ein Zahn verloren geht, rückt der nächste Zahn aus der Zahnreihe nach. Diese Fähigkeit sorgt dafür, dass sie immer mit scharfen und funktionsfähigen Zähnen ausgestattet sind.

Außerdem sind sie wahre Meister der Tarnung. Ihre graue Farbe und ihre unverwechselbare Musterung ermöglichen es ihnen, in den tiefen Gewässern der Arktis unsichtbar zu bleiben. Sie warten geduldig und bewegungslos auf schlafende oder verletzte Tiere, die in ihre Nähe kommen. Ihr Sehvermögen ist nicht sonderlich scharf. Das liegt daran, dass die meisten Grönlandhaie eine Parasitenart namens Copeoda (Ommatokoita elongata) beherbergen, die auf ihren Augen haust.

Grönlandhaie jagen gerne schlafende Robben. Diese Tiere schlafen oft im Wasser, sodass sie manchmal im Maul der sich langsam bewegenden Riesen landen können. Foto: iStock

Ein Hai, der 500 Jahre alt ist, hätte sicherlich viel zu erzählen und könnte uns mit seinen Geschichten einfangen. Wenn er sprechen könnte, wäre er wahrscheinlich eine der interessantesten Persönlichkeiten der Geschichte.



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