Zufallsfund im Labor: Sand, der bergauf fließt

Wasser hat keine Balken und fließt nicht bergauf. Sand ist da mitunter weniger wählerisch, zumindest in einem Labor in Pennsylvania. Dort ließen Forscher ihren „Sand“ sogar Treppen steigen.
Sandburgen am Strand beweisen, dass Sand nach unten fließt. Im Labor fließt er indes auch bergauf, über Treppen oder Hindernisse.
Sandburgen am Strand beweisen, dass Sand nach unten fließt. Im Labor fließt er indes auch bergauf, über Treppen oder Hindernisse.Foto: iStock
Von 4. Oktober 2023

Wer schon einmal Sandburgen gebaut hat, weiß, dass Türmchen und Zinnen leicht zusammenbrechen und Sand – ähnlich wie Wasser – nach unten „fließt“. Eigentlich. Ingenieurwissenschaftler der Lehigh University, Pennsylvania, USA, haben per Zufall jedoch entdeckt, dass „Sand“ tatsächlich bergauf fließen kann.

Ihre Ergebnisse veröffentlichte das Team um Sam Madrid, Professor für Chemie- und Biomolekulartechnik, Mitte September in der Fachzeitschrift „Nature Communications“. Auch veröffentlichten sie mehrere Videos, die das scheinbar Unmögliche belegen.

„Nach der Verwendung von Gleichungen, die den Fluss von körnigen Materialien beschreiben“, so die Forscher, „konnten wir eindeutig zeigen, dass sich diese Partikel tatsächlich wie ein körniges Material bewegen. Mit dem Unterschied, dass sie bergauf fließen.“

Zufälliger Dreh mit dem Sand

Laut den Forschern könne ihre höchst ungewöhnliche Entdeckung viele weitere Forschungsansätze eröffnen, die wiederum zu einer Vielzahl von Anwendungen führen könnten. Von der Gesundheitsfürsorge über den Materialtransport bis hin zur Landwirtschaft erstrecken sich die bisherigen Ideen. Diese Vielfalt ist durchaus verständlich, da es sich bei der Entdeckung eher um Zufall denn um gezielte Forschung handelte.

Der Hauptautor der Studie, Dr. Samuel Wilson-Whitford, ein ehemaliger Postdoktorand im Labor für Partikelmischung und Selbstorganisation, forschte eigentlich an Mikroverkapselungen – mikroskopisch kleine Hüllen von Teilchen – als er die Bewegung zufällig entdeckte. Während er einen Magneten unter einem Fläschchen mit Eisenoxid beschichteten und damit magnetischen Polymerpartikeln – sogenannten Mikrorollern – drehte, begannen sich die Körner aufzutürmen.

Das Geheimnis des bergauf fließenden Sands liegt demnach nicht in Antigravitation oder exotischen Materialien, sondern im Magnetismus. Allerdings werden die Sandkörner von einem Magneten weder angezogen noch abgestoßen. Der Magnet sorgt lediglich dafür, dass sich die Körnchen drehen und in bestimmte Richtungen rollen.

Negative Reibung sprengt vorhandene Formeln

Daraufhin begannen Wilson-Whitford und Kollegen zu untersuchen, wie das Material unter verschiedenen Bedingungen auf den Magneten reagierte. Wenn sie die Mikroroller ausschütteten, ohne sie mit dem Magneten zu aktivieren, flossen sie bergab. Wenn sie jedoch mit den Magneten ein Drehmoment ausübten, begann jedes Teilchen zu rotieren. Einige bildeten zudem Paare, die sich immer wieder formten und auflösten.

Das Ergebnis, erklärt Forschungsleiter James Gilchrist, „ist eine Kohäsion, die einen negativen Schüttwinkel aufgrund eines negativen Reibungskoeffizienten erzeugt.“ Oder um es einfacher zu sagen: Die einzelnen Körner haften aneinander, weshalb sie auch bergauf und sogar über Hindernisse rollen können. Dadurch entsteht jedoch das Problem, dass dieses Phänomen noch nie zuvor beschrieben wurde und die Formeln, die es gibt, es nicht abbilden können. Aus diesem Grund rechneten die Forscher mit „negativer Reibung“.

„Bis jetzt hat niemand diese Begriffe verwendet“, ergänzt Gilchrist. „Sie existierten nicht. Aber um zu verstehen, wie diese Körner bergauf fließen, haben wir die Kräfte berechnet, die sie dazu veranlassen, sich in diese Richtung zu bewegen. […] Die Gleichungen für das Fließen von Granulat wurden nie abgeleitet, um diese Dinge zu berücksichtigen, aber nach der Berechnung ergab sich ein scheinbarer Reibungskoeffizient, der negativ ist.“

Eine Erhöhung der Magnetkraft stärkt den Zusammenhalt, wodurch die Körner mehr Zugkraft erhalten und sich schneller bewegen können. Die kollektive Bewegung all dieser Körner und ihre Fähigkeit, aneinanderzuhaften, ermöglicht es einem Haufen Sandpartikel im Wesentlichen zusammenzuarbeiten, um kontraintuitive Dinge zu tun – wie Wände hochzufließen und Treppen zu steigen. Ein einzelner Mikroroller könnte die Höhe der einzelnen Stufen nicht überwinden, so Gilchrist. Aber wenn sie zusammenarbeiten, können sie es.

Zahllose Anwendungen, 14 weitere Studien

In ihrer jetzt veröffentlichten Studie beschreiben die Forscher, wie die Anwendung magnetischer Kräfte auf einzelne „Mikroroller“-Partikel eine kollektive Bewegung auslöst. Die nächsten Veröffentlichungen werden sich mit Anwendungen befassen. Ein Teil dieser Erforschung sei auch die Beantwortung der Frage, ob dieser Sand Hindernisse überwinden können. Vorweg: Die Antwort lautet „Ja“.

Die möglichen Anwendungen könnten weitreichend sein. Die Mikroroller könnten zum Mischen und Trennen von Materialien oder zum Bewegen von Objekten verwendet werden. Da die Partikel im Wesentlichen schwärmen und gemeinsam arbeiten, könnten künftige Anwendungen auch in der Mikrorobotik liegen, die wiederum im Gesundheitswesen zum Einsatz kommen könnte. Gilchrist hat vor Kurzem eine Arbeit eingereicht, in der er den Einsatz der Partikel im Boden untersucht, um Nährstoffe durch ein poröses Material zu transportieren.

„Wir untersuchen diese Teilchen bis zum Umfallen“, sagt er, „wir experimentieren mit verschiedenen Rotationsgeschwindigkeiten und unterschiedlichen magnetischen Kräften, um ihre kollektive Bewegung besser zu verstehen. Ich kenne im Grunde schon die Titel der nächsten 14 Arbeiten, die wir veröffentlichen werden.“

(Mit Material der Lehigh University)



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