Gemalte Weite, erhabene Schönheit
Als das Ehepaar Bierstadt im Jahr 1831 seine Habseligkeiten packte, um nach Nordamerika auszuwandern, war ihr jüngstes Kind Albert nicht einmal zwei Jahre alt.
Heinrich Bierstadt, ein Küfer, seine Frau Christina und die drei Söhne sind fünf von fast fünf Millionen Deutschen, die im 19. Jahrhundert ihre Heimat verlassen und einen Neuanfang in der Fremde wagen. Es ist ein Schritt ins Ungewisse, eine Reise mit unsicherem Ausgang.
Flucht aus der Not
Abertausende Menschen aus allen Teilen Deutschlands gehen diesen oft steinigen und gefahrvollen Weg – meist aus wirtschaftlicher Not. Nach der schmerzlichen Entscheidung für eine Emigration müssen sie zuerst behördliche Genehmigungen einholen.
In überteuerten Unterkünften warten sie in Hafenstädten auf die Überfahrt und werden oft zu Opfern von Betrügern, die Schiffspassagen zu horrenden Preisen verkaufen. Schließlich pfercht man sie in niedrige Holzstockwerke der Schiffsbäuche und verschifft sie als lebende Fracht über den Atlantik.
Während der wochenlangen Überfahrten kommt es immer wieder zu Schiffsunglücken und zum Ausbruch von Krankheiten. Es herrschen miserable hygienische Verhältnisse, Enge und stickige Luft.
Mit der Not der Menschen, die keine Zukunft in Deutschland sehen, wird Geschäft gemacht. So dreist, dass im Jahr 1832 deutsche Städte und Länder beginnen, erste Schutzverordnungen für Auswanderer zu erlassen.
Neubeginn im Land der unbegrenzten Möglichkeiten
Die Familie Bierstadt hat zu diesem Zeitpunkt die knapp 20-tägige Seereise nach Nordamerika schon hinter sich gebracht. Etwa 80 Kilometer südlich von Boston, in der Hafenstadt New Bedford im Bundesstaat Massachusetts, findet der Vater eine Anstellung als Kellermeister.
Vom Alltag und Leben der Familie in der Neuen Welt während der folgenden beiden Jahrzehnte ist wenig bekannt. Erstaunlicherweise wählen jedoch alle drei Söhne Berufe, die sich mit bildnerischem Gestalten, Technik und Kunst befassen. Alle drei sind fasziniert von der erst wenige Jahre zuvor, im Jahr 1839, erfundenen neuartigen fotografischen Bildtechnik, der sogenannten Daguerreotypie.
Alte und Neue Welt in regem Austausch
Der amerikanische Maler und Erfinder Samuel Morse hatte seinen französischen Künstler- und Forscherkollegen Louis Daguerre in Paris getroffen und im Anschluss die erste Beschreibung der bahnbrechenden Innovation in Amerika veröffentlicht.
Charles und Edward, Albert Bierstadts ältere Brüder, werden Berufsfotografen. Albert selbst fällt durch eine weitere Begabung auf. Autodidaktisch bildet er sich als Zeichner weiter und verdient sich bereits als junger Mann seinen Lebensunterhalt als Kunstlehrer.
In der Zwischenzeit hat in der alten Heimat ein Cousin Christina Bierstadts eine viel beachtete künstlerische Karriere gemacht: der Maler Johann Peter Hasenclever. Er ist einer der prominenten Vertreter der berühmten Düsseldorfer Malerschule.
Inspiration durch die alte Heimat
Um von ihm unterrichtet zu werden, reist Albert Bierstadt im Alter von 23 Jahren zurück in die Alte Welt, in das Land seiner Geburt. Doch der ursprüngliche Plan scheitert. Johann Peter Hasenclever stirbt kurz vor der Ankunft seines jungen Verwandten aus Übersee. Künstlerfreunde des verstorbenen Malers nehmen Albert Bierstadt aber auf und ermöglichen ihm so das Studium an der Düsseldorfer Kunstakademie.
Er bleibt vier ganze Jahre – und erkundet unermüdlich Mal- und Zeichentechniken und seine europäischen Wurzeln. Zusammen mit Malerkollegen bereist er Deutschland, die Schweiz und Italien. Die Skizzen und Studien, die auf diesen Reisen entstehen, verarbeitet er später im Atelier zu feinsinnig akribischen und gleichzeitig monumental großen Ölgemälden. Eine Arbeitsweise, die er zeitlebens beibehalten wird.
Erfolg in der Neuen Welt
Nach seiner Rückkehr nach Nordamerika im Jahr 1857 begeistern die Ölgemälde heroischer Panoramen und Landschaften aus der Alten Welt die Kunstliebhaber New Yorks. Denn: Der aufstrebende junge Künstler bringt nicht nur Skizzen und Ölgemälde zurück in die neue Heimat, auch die Einflüsse der deutschen Romantik sind deutlich spürbar und finden viel Anklang.
In New York schließt er sich jetzt der sogenannten Hudson River School, einer Gruppe von Malern, an, die sich in gefühlvoll überhöhender Weise den Landschaften Nordamerikas widmet. Doch anders als im geschichtlich geprägten Europa spiegelt die Landschaftsmalerei der Hudson River School den Geist von Neuentdeckung und Besiedlung eines fast menschenleeren Kontinents und seiner wilden, ungezähmten Schönheit wider.
Amerikanischer Pioniergeist
Auf der Suche nach dem Unentdeckten und aus Interesse an neuen, unberührten Landschaften, zieht es Albert Bierstadt schon bald gen Westen. Er reist mit dem Treck des Obersts und Landvermessers Frederick Lander.
Im Auftrag des amerikanischen Innenministeriums erkundet dieser eine sichere Route für die Planwagen der Siedler durch die Weiten Nordamerikas bis nach Kalifornien.
Von der abenteuerlichen Expedition bringt Bierstadt unzählige Skizzen und Studien, aber auch indianisches Kunsthandwerk nach New York City zurück und bezieht ein Atelier im gerade erst errichteten Atelierhaus an der 10. Straße – einer vorher nicht da gewesenen Novität: Das Gebäude und seine lichtdurchfluteten Studios sind speziell für die Bedürfnisse bildender Künstler entworfen worden.
Dort malt er nun Bild um Bild und präsentiert die gewaltigen, in Bann ziehenden Landschaften des Wilden Westens der Öffentlichkeit. Bierstadts Erfolg ist überwältigend.
Ab 1863 folgen weitere Trecks ins Unbekannte. Nach Colorado und Wyoming bereist er die Rocky Mountains, das Yosemite Valley, Oregon bis zum Columbia River und zur pazifischen Küste des Nordwestens. Bierstadt setzt sich für die Erhaltung der Tierwelt ein und porträtiert die Sioux und Shoshonen, denen er auf seinen Reisen nach Westen begegnet, mit Würde.
Berühmt auf beiden Seiten des Atlantiks
Es zieht ihn aber auch wieder nach Europa. Doch er kehrt 1867 nicht als Unbekannter zurück. Sein Ruhm ist ihm vorausgeeilt. In London werden seine viel bewunderten Landschaftsbilder aus den Rocky Mountains Königin Victoria präsentiert, in Deutschland, Österreich und Frankreich wird ihr Maler vielfach geehrt.
Mit Albert Bierstadts monumentalen Gemälden aus der Neuen Welt nimmt die europäische Öffentlichkeit begeisterten Anteil an der Entdeckung und Besiedelung Nordamerikas. Die Vorstellung vom weiten Land der unbegrenzten Möglichkeiten wird beflügelt.
Auf der anderen Seite des Atlantiks erinnern seine Gemälde europäischer Landschaften die Betrachter wiederum fast nostalgisch an ihre ursprünglichen Wurzeln.
Vermögend durch die Kunst
Auf dem Höhepunkt von Albert Bierstadts Karriere werden Preise von über 25.000 Dollar für Gemälde Bierstadts erzielt, was heute einem 16-fachen Äquivalent entspricht.
Das Vermögen des Malers und geschickten Unternehmers macht es möglich, seiner an Tuberkulose erkrankten Frau die bestmögliche medizinische Behandlung zukommen zu lassen. Nur 40 Kilometer von New York City entfernt, bezieht das Paar ein schlossähnliches großes Anwesen unweit des Hudson River.
Doch immer öfter wird Kritik an Malstil und Motiven Bierstadts laut. Manche Kritiker monieren seinen Romantizismus, andere die Darstellung der indigenen Bevölkerung Nordamerikas. Sie würde den „Eindruck von Abgeschiedenheit und Größe“ der Landschaften „stören“.
Unbeirrt arbeitet Albert Bierstadt weiter. Insgesamt über 500 Ölgemälde entstehen von seiner Hand. Unzählige Studien und Skizzen sind bis heute erhalten.
Schicksalsschläge und Naturschutz
1882 muss das Ehepaar Bierstadt die Zerstörung ihres Anwesens durch einen Brand verkraften. 1893 stirbt Albert Bierstadts Frau. Das Interesse der Kunstwelt wendet sich immer mehr von seinen Arbeiten ab. 1902 stirbt der Maler vereinsamt und fast mittellos in New York City.
Für über 60 Jahre geraten seine erstaunlichen Landschaftsbilder nahezu in Vergessenheit. Erst durch die Natur- und Umweltbewegung der 1960er-Jahre richtet sich der Blick wieder auf die faszinierende Kunst des Deutsch-Amerikaners.
Doch schon zu seinen Lebzeiten entfaltete Bierstadts Arbeit Wirkung über die Welt der Kunst hinaus. Nicht zuletzt der großen Popularität seiner Werke hatte die nordamerikanische Naturschutzbewegung des 19. Jahrhunderts ihren großen emotionalen Rückhalt zu verdanken. Schon 1872 feierte sie ihren ersten großen Erfolg. Das weltweit erste nationale Naturschutzgebiet, der Yellow Stone Nationalpark wird gegründet. Wie es in den historischen Dokumenten heißt: „Auf Ewigkeit.“
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