Sonntagsmärchen: Das Schneiderlein und die Hunde

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Wurde das Schneiderlein von diesen Drei begleitet? Man weiß es nicht.Foto: iStock
Epoch Times12. November 2023

Es war einmal ein armes Schneiderlein, das hatte zu Hause nichts zu verlieren und ging auf Reisen. Es war schon lange marschiert, da kam es eines Tages in einen großen dunklen Tannenwald und es pfiff und sang und war von Herzen vergnügt. Als er eine kurze Strecke in dem Walde gegangen war, kam ein großer Hund dahergelaufen, der bot dem Schneiderlein die Zeit und frug, ob es ihn mitnehmen wolle? „Ich will dich schon mitnehmen, wenn du hinter mir herlaufen und mir untertänig sein willst.“ „Das will ich“, sprach der Hund und lief hinter ihm drein.

Als das Schneiderlein ein Stück des Wegs weiter gegangen war, kam ein zweiter Hund gelaufen, bot ihm die Zeit und frug, ob es ihn mitnehmen wolle? „Eigentlich habe ich mit einem Hunde schon zu viel“, sprach das Ritterlein von der Elle, „wenn du mir aber untertänig sein willst und gehorsam, so magst du hinter mir herlaufen, dem andern zur Gesellschaft.“ „Das will ich“, sprach der Hund.

So ging’s weiter und weiter und als die drei Reisenden wieder ein Stück Wegs hinter sich hatten, kam ein dritter Hund, der frug auch, ob ihn das Schneiderlein mitnehmen wolle? Da stutzte es aber, denn es wusste schon nicht, woher er das Futter für die zwei andern Hunde hernehmen sollte, doch dachte es zuletzt: „Aller guten Dinge sind drei“ und sprach zu dem Hunde: „Wenn du mir treu und untertänig sein willst, magst du in Gottes Namen hinter mir her laufen, wie die beiden andern.“

Gegen Abend kamen sie aus dem Walde und sahen ein Dorf vor sich und das erste Haus war ein Wirtshaus. Sprach das Schneiderlein: „Hunger haben wir alle vier, aber wie ein Sechskreuzerstück aussieht, habe ich seit langem vergessen.“ „Nichts weiter als das?“ sagte der erste Hund. „Geh nur du hinein und bestelle für vier Mann Essen und Trinken und kümmere dich nicht um das Bezahlen; dafür lass du uns sorgen.“ Dem Schneiderlein wuchs der Mut, als er das hörte, es schwang sein Elle dreimal lustig überm Kopf, ging in das Wirtshaus, schlug mit der Faust auf den Tisch und bestellte vier Gedecke und Essen, soviel das Haus vermöchte, Gesottenes und Gebratenes nebst Wein und Bier. Dann warf es sein Felleisen und seinen Hut auf die Bank, die Elle in die Ecke und sich selbst in einen bequemen Lehnstuhl.

Als nun das Essen aufgetragen war, ging die Tür auf und die drei Hunde stürzten herein, sprangen jeder auf einen Stuhl und fingen an zu essen und zu trinken, wie die Menschen, so dass die Wirtin über solchen Verstand die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Nach dem Essen sprach der eine Hund: „Nimm den Weg zwischen die Beine, lass aber Alles hier liegen, es kommt dir nichts fort.“ Da ging das Schneiderlein mir nichts, dir nichts weg und die Wirtin ließ ihn gehen, weil er sein Felleisen, seinen Hut und seine Elle zurückgelassen; er wird gleich wiederkommen, dachte sie, und will sich nur im Ort umsehen. Sobald die Wirtin aber den Rücken gewandt hatte, packte jeder der Hunde eins der drei Stücke, sprangen zur Tür hinaus und brachten sie ihrem Herrn; da hatte die Wirtin das Nachsehen.

Guten Mutes zog das Schneiderlein weiter; einer der Hunde lief voraus und zeigte den Weg. Bald kamen sie wieder in den Wald und nachdem sie schon manchen Schritt und Tritt darin getan hatten, an einen freien Waldplatz, worauf ein großes Schloss stand. Da blieb der Hund stehen. „Hast du Mut?“ frug er das Schneiderlein. „Mehr als Geld,“ war die Antwort. „Dann binde uns an ein Seil, führe uns in das Schloss und verkaufe uns den Riesen, die da wohnen. Trau ihnen aber nicht, denn sie sind tückisch und arglistig. Damit du vor ihnen sicher bist, wollen wir dir jeder etwas schenken, das wende wohl und klug an und dein Glück ist gemacht.“ Sprachs und gab ihm ein Salbentöpfchen. Wenn man mit der Salbe einen Stuhl bestrich, dann blieb jeder daran hängen, der sich darauf setzte. Der zweite Hund gab ihm ein Stöcklein, wen man damit aufs Haupt schlug, der tat keinen Pieps mehr.

Der dritte gab ihm ein Hörnlein: „Wenn du in Not kommen solltest, blase nur darauf und wir werden dir helfen.“ „Ich muss erst versuchen ob ich auch blasen kann,“ sagte das Schneiderlein, „wenn man so harte Arbeit tut wie ich, dann wird einem der Atem kurz,“ setzte das Hörnlein an den Mund und blies hinein. Ach was das für einen Klang hatte! Es war aber nicht des Schneiderleins Atem, der ihm den Klang gab, denn der war so dünn, wie eine Nähnadel.

Es steckte jetzt getrost die drei Stücke ein, band die Hunde an und ging mit ihnen in das Schloss. Da kam es oben an der großen Treppe in einen weiten und hohen Saal, wo die Riesen an einer langen Tafel saßen und aus Bechern tranken, deren jeder wohl ein Viertelohm fasste. Das Schneiderlein zog höflich seinen Hut und frug, ob die Herren Riesen nicht drei schöne Hunde kaufen wollten? Sie beschauten die Hunde rechts und links, sprachen: „Wir behalten sie und wollen sie gleich in den Stall sperren, warte du derweil, bis wir wiederkommen, dann bekommst du dein Geld.“

Dabei lachten sie boshaft einander zu und warfen Blicke auf das Schneiderlein, von denen es sich nichts gutes versprach. „Pfeift der Wind aus dem Loche“, dachte der Ritter von der Elle, „dann will ich euch schon den Spaß verderben,“ und er kletterte an den Stühlen hinauf und schmierte sie mit seiner Salbe ein, oben und unten, vorn und hinten. Das war sein Glück, denn draußen hielten die Riesen Rat, wie sie das Schneiderlein mit Ehren totmachen und fressen könnten; es sei zwar ein magerer Bissen, aber Menschenfleisch war ihnen etwas Neues und sie wollten vorlieb nehmen, bis sie etwas Besseres bekämen.

Als sie wieder herein kamen, sprachen sie, das Schneiderlein habe sie im Handel betrogen, die Hunde seinen nicht so viel wert und es müsse gefressen werden. Sprach das Schneiderlein: „Ich will gern sterben, wenn ich es verdient habe, aber nicht ohne Urteil und Recht. Haltet zuvor ordentlich Gericht über mich, dann will ich mich verteidigen.“ Die Riesen lachten, rückten die Stühle in einen Halbkreis und sprachen: „Nun fange an, du Erdwurm.“ „Setzt euch alle zuvor, wie es einem ordentlichen Gerichte gebührt.“

Als sie dies getan hatten, nahm das Schneiderlein einen Schemel, setzte sich vor sie hin, stopfte sich eine Pfeife und blies die dicken Wolken so vor sich hin. „Wird’s bald?“ frugen die Riesen. „Ei ich bin schon fertig, nun mögt ihr euch verteidigen, denn ich verurteile euch alle zum Tode.“ Die Riesen lachte Anfangs, als ihnen die Sache aber zu lange dauerte, wollte sie aufstehen und das Schneiderlein fassen, da klebten sie alle fest und keiner konnte ein Glied rühren. „Nun wird bald?“ frug das Schneiderlein und lachte, nahm sein Stöckchen und schlug sie alle auf die Köpfe, einen nach dem andern, da fielen sie hin und waren tot.

„Jetzt will ich von der Arbeit ausruhen“, sprach das Schneiderlein zu sich selbst, aber darin betrog er sich gewaltig. Im selben Augenblick hörte es, wie einer mit schweren Tritten die Treppe herauf kam, die Tür flog auf und herein schritt ein Riese, noch einmal so groß als die andern.

Das war aber der Riesenkönig, der eben von der Jagd nach Hause kam. Als dieser sah, was vorgegangen war, frug er das Schneiderlein, wer die riesen ermordet habe? „Das hab‘ ich getan.“ „Hast du das getan bekommst du deine Strafe dafür. Zum Fressen bist du zu schlecht, aber als Spatzenscheuche kannst du allenfalls dienen, darum will ich dich in den Garten aufhängen.“ Sprachs, hob das Schneiderlein bei den Beinen auf und trug es in den Garten, wo ein hoher Galgen stand. Er setzte es oben drauf und fing an die Schlinge zu drehen.

Da besann es sich kurz, zog sein Hörnlein aus dem Sack und blies aus Leibeskräften hinein, dass es zehn Meilen in die Runde scholl. Mit einemmal standen die drei Hunde da und hatten ihre zerrissenen Ketten am Halse. „Schneiderlein steig herab!“ sprach der Erste. „Ich darf nicht, der da will mich hängen.“ Da fielen die drei Hunde über den Riesenkönig her und zerrissen ihn in tausend Stücke.

Das Schneiderlein warf sich vor lauter Freude den Hunden an die Hälse und tanzte wie besessen auf einem Bein herum. Der Erste von den Hunden aber sprach. „Jetzt ist das Schloss von den Riesen befreit und erlöst, nun musst du uns dreien noch die Köpfe abhauen.“ „Das tu ich nun nie und nimmermehr“ sprach das Schneiderlein. „Dann zerreißen wir dich wie den Riesen.“ „Ja, wenn ihr durchaus nicht anders wollt, dann tue ich euch den Gefallen.“

Er holte ein Schwert, fasste es mit beiden Händen und schlug den Hunden die Hälse ab, drehte sich dann aber schnell herum, denn er konnte kein Blut sehen. Da rief es hinter ihm seinen Namen, erschrocken fuhr das Schneiderlein auf und siehe, da stand ein König vor ihm mit zwei wunderschönen Prinzessinnen. Der sprach: „Du bist unser Erlöser, denn wir waren die drei Hunde und waren verwünscht. Zum Danke dafür gebe ich dir eine von meinen Töchtern zur Frau.“

Da griff das Schneiderlein rasch nach der Ältesten und sie gingen zum Schlosse. Aller Zauber, welchen die Riesen darüber gesprochen, war gelöst und die Zimmer wimmelten von Hofherren und Dienern.

Als sie aber durch die Fenster schauten, war der ganze Wald zu einer prächtigen Stadt geworden, die kleinen Bäume zu Häusern, die großen zu Kirchen und Kirchtürmen, die Vögel zu allerlei fleißigen Menschen und Jubel und Freude war wohin man schaute. Am folgenden Tag wurde die Hochzeit gehalten und wären du und ich dazu gekommen, denk mal, was wäre das für eine Freude gewesen!

Ein Märchen von Johann Wilhelm Wolf (1817-1855). Johann Wilhelm Wolf sammelte vor allem flämische Überlieferungen sowie Märchen und Sagen aus dem Odenwald.



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