Eine Lichtspirale zur Wintersonnenwende in Neuseeland

Ein alter Festbrauch wandert um die Welt
Titelbild
Eine Spirale im Zentrum der Feiernden zur Wintersonnenwende (Foto: Werner Krieger)
Von 21. Dezember 2005

Einst hatte die Bevölkerung von Nord- und Mitteleuropa ein tiefes Verständnis für die Dinge und Zeiten der Natur. Das Fest der Spirale war ein weit verbreitetes Fest  in Süddeutschland, in Österreich und in der Schweiz. Möglicherweise war es ursprünglich ein Wintersonnwendfest (21./22. Dezember). Wir lernten es 1962/1963 in der Schweiz kennen, als wir in einem anthroposophischen Kinder- und Jugendheim arbeiteten. Die Kollegen und die Heimleitung erzählten, dass Rudolf Steiner dieses Fest in Österreich und Süddeutschland um die Jahrhundertwende entdeckte. Sie vermuteten einen keltischen Ursprung. Allerdings feierten sie dort dieses Fest am 1. Advent und sie nannten es das Adventsgärtlein.

Als wir noch in Deutschland lebten, feierten wir es schon im familiären Kreis. Doch auch hier in Neuseeland kommen viele Gäste immer wieder gern zu unserem Fest. Dieses Spiralfest ist wirklich ein tief ergreifendes Fest, das uns mit der Natur und dem Geschehen im Jahresablauf verbindet. Die Gäste schenken uns ihre Anwesenheit und wir schenken ihnen die Möglichkeit und die Örtlichkeit des Feierns. Und natürlich ist die Rückkehr des Lichtes in der dunkelsten Zeit des Jahres das Hauptgeschenk.

Schon am frühen Nachmittag räumen wir alle Möbel aus unserem Wohnzimmer für ein paar Tage in die Garage. Das Auto muss so lange im Freien schlafen. Nur die Sitzpolster und alle möglichen Kissen usw. legen wir an den Wänden des Raumes herum aus. Dann geht’s in die Natur, wir holen Moos und immergrüne Nadelzweige der einheimischen Totara oder von Zypressen (in Neuseeland gibt’s keine Tannen und Fichten). Daraus bilden wir in unserem Wohnzimmer (6 x 6 Meter) eine Spirale (4 x 4 Meter), in deren Zentrum ein großer Stein (symbolisiert die Mutter Erde) mit einer Kerze darauf gelegt wird.

Um 18.00 Uhr kommen dann die Gäste, es ist schon dunkel. Jeder Gast erhält eine Kerze, die auf einen Apfel gesteckt wurde. Am Anfang bitten wir die Naturgeister und die Ahnen mit uns zu sein. Dann wählen wir einen Leitgedanken aus, den jeder vorschlagen kann, z.B. Frieden in der Welt. Dieser Gedanke soll uns miteinander verbinden. Wir löschen alle Lichter im Haus und gehen nach draußen. Ein Mann und eine Frau machen zusammen im Freien ein kleines Feuer an (Maori-Tradition). Da wir uns gerne von den Bräuchen der Ureinwohner von Neuseeland inspirieren lassen, haben wir diese Art des gemeinsamen Anzündens des Feuers in unser Fest integriert.

Die Gäste bilden einen Kreis um das Feuer und wir begrüßen das neue Licht. Eine Frau entzündet dann eine Kerze an dem neu entfachten Feuer und bringt das Licht ins Haus. Wir haben uns dazu entschieden, dass es eine Frau sein muss, denn das Feuer ist eine männliche Energie und diese sollte zum Ausgleich eine Frau bringen. Dies hat seine Wurzel in der keltischen Tradition, die Lichtbringerin ist die Göttin Brighit (auch Brigit oder Brigitta). Die Gäste folgen der Lichtbringerin ins Haus und nehmen auf den am Boden liegenden Sitzkissen an den Wänden entlang Platz. Wenn alle sitzen, geht die Lichtbringerin langsam in die Spirale hinein und entzündet die Kerze in der Mitte.

Nun beginnt die Zeremonie der Rückkehr des Lichtes. Der Gastgeber, in diesem Fall ich, eröffnet diesen Teil mit einer Trommel und umschreitet die Spirale. Dann geht einer nach dem anderen mit seinem Apfel und der Kerze in die Spirale hinein und entzündet sein Licht an der Kerze im Zentrum der Spirale. Das Licht wird dann irgendwo in die Spirale eingepflanzt und langsam wird der Raum heller und heller. Es dauert mindestens eine Stunde, bis jeder dran war und es ist erstaunlich, wie selbst die kleinsten Kinder während der ganzen Zeit absolut ruhig sind. Es kann auch jeder nach Belieben nach dem Anzünden seiner Kerze etwas singen, erzählen oder ein Gedicht aufsagen usw. Manche sprechen nur einen kleinen Wunsch aus, andere halten eine richtige Rede.

Wir haben immer auch einige Maori dabei und die bringen meistens einen ganz besonderen Beitrag. Letztes Jahr blies einer auf einer selbstgemachten Knochenflöte fremdartige langgezogene Töne und ein indianischer Freund von uns trommelte und sang indianische Lieder. Eine, jetzt leider verstorbene alte Freundin aus Wales sagte immer ein Gebet in keltisch auf.  Es ist immer sehr stimmungsvoll und die meisten unserer Gäste sagen immer, dies sei unser schönstes Fest im Jahreskreis.

Wer einen besonderen Wunsch für jemand anders hat, der bringt eine Kerze zusätzlich in die Spirale stellvertretend für diesen Freund. Eine Freundin hat das einmal gemacht und eine zusätzlich Kerze für ihre Tochter angezündet. Sie machte dies bekannt und sagte, dass ihre Tochter in London im Krankenhaus im Koma liege. Es sah für sie nicht gut aus. Wir alle gaben unsere Wünsche mit hinein. Nun geschah wirklich etwas, das man als Wunder bezeichnen kann. Am nächsten Tag bekam unsere Freundin einen Anruf aus London, dass ihre Tochter wieder zu sich gekommen und die größte Gefahr vorüber sei. Auf Nachfragen erfuhr sie, dass dies zeitgleich mit unserer Feier geschah.

Während der Feier, insbesondere während einer nach dem anderen in die Spirale geht und die Lichter angezündet werden, lassen wir leise meditative Musik, meist mit Gitarre oder Zither im Hintergrund laufen. Nach dem Anzünden der Kerzen sitzen wir gemütlich im Kreis um die Spirale bei Plätzchen, Stollen und Punsch zusammen. Jetzt kann jede Art von Musik gespielt werden und wir singen und musizieren. Für uns ist es kein religiöses Fest im üblichen Sinne. Es sind Christen, Buddhisten, Hindus, Heiden und sogar Atheisten dabei, keiner wird ausgegrenzt.

Die Besonderheit bei diesem Fest ist das Neuentfachen und das Hereinbringen des Lichtes ins Haus und im weiteren Verlauf das langsame Anwachsen des Lichtes, das immer Hellerwerden im Zimmer indem jeder einzeln und nacheinander seine Kerze anzündet. Die Spirale ist das Symbol des Lebens und jedes Jahr erleben wir an diesem Abend aufs Neue diesen tiefen Frieden in uns selbst. Es geschieht einfach. Liebe und Friede verbinden uns als Menschen und Freunde und verbinden uns auch mit den Elementen, der Erde, der Sonne, den Geistern der Vorfahren und allen Naturgeistern, die um uns herum leben. Auch in dieser Feier ist die Einfachheit die Schönheit. Und die Stille und die Tiefe der Empfindungen.



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