„Wer im Einzelhandel klaut, muss auch spürbar bestraft werden“ – aber es gibt auch andere Lösungen

Die Polizei verzeichnet in Deutschland einen starken Anstieg von Ladendiebstählen. Ein erfolgreiches Modell aus den Niederlanden könnteen.
Ladendiebstahl ist kein Kavaliersdelikt. Foto: iStock
Ladendiebstahl ist kein Kavaliersdelikt.Foto: iStock
Von 20. April 2024

In der Drogerie herrscht reger Betrieb, da fällt es doch nicht auf, wenn man mal eine Zahnpastatube in der Jacke verschwinden lässt, oder? Gesagt, getan und schwups, passiert man den Kassenbereich. Was hier als fiktives Beispiel aufgeführt ist, bereitet Ladenbesitzern bereits Kopfzerbrechen. Der Deutsche Handelsverband sieht die Justiz in der Verantwortung. In den Niederlanden hingegen gibt es andere, Erfolg versprechende Ansätze.

Wie aus der polizeilichen Kriminalstatistik 2023 hervorgeht, ist die Anzahl der Ladendiebstähle in Deutschland im Jahr 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 23,6 Prozent gestiegen. Während es im Jahr 2022 zu 344.669 Ladendiebstählen kam, waren es 426.096 Fälle im vergangenen Jahr. Damit wurde nicht nur das Niveau des Vor-Corona-Jahres 2019 deutlich überschritten (+30,8 Prozent), die Fallzahl erreicht auch den Höchststand seit 2006.

Entwicklung der Fallzahlen beim Ladendiebstahl. Quelle: Polizeiliche Kriminalstatistik 2023, Screenshot

Hohe Dunkelziffer

Der Handelsverband Deutschland (HDE) fordert angesichts dieser deutlich steigenden Zahlen dringend die konsequentere strafrechtliche Verfolgung von Ladendiebstählen und verweist auf eine hohe Dunkelziffer.

„Das sind unhaltbare Zustände, Ladendiebstahl ist keine Bagatelle. Ein funktionierender Rechtsstaat darf die Augen vor der aktuellen Entwicklung nicht verschließen, sondern muss auch zur Abschreckung entschieden reagieren“, so HDE-Hauptgeschäftsführer Stefan Genth. „Die Verluste für die Handelsunternehmen summieren sich auf mehrere Milliarden Euro im Jahr. Der Rechtsstaat muss den Schutz des Eigentums endlich wirkungsvoll und dauerhaft durchsetzen.“

In älteren polizeilichen Kriminalstatistiken wurde regelmäßig auf das sehr große Dunkelfeld verwiesen. Der HDE geht davon aus, dass die Dunkelziffer beim Ladendiebstahl bei über 90 Prozent liegt. Bei einer Vielzahl der Fälle würde die Polizei gar nicht informiert und keine Anzeige erstattet. Viele Handelsunternehmen berichteten laut HDE, dass die angezeigten Ladendiebe meist ohne größere Konsequenzen davonkämen.

In der Folge wächst der Frust, oft erspart man sich dann den Aufwand einer viel zu häufig vergeblichen Anzeige. Deshalb muss klar sein: Wer im Einzelhandel klaut, muss auch spürbar bestraft werden“, fordert der HDE.

Alles andere bringe die Akzeptanz und den Respekt vor dem Rechtsstaat in Gefahr.

Pilotprojekt senkt Diebstahlquote

In den Niederlanden bietet ein anderer Ansatz eine Erfolg versprechende Lösung im Rahmen des Zivilrechts. Anlaufstelle für Ladenbesitzer ist die von dem ehemaligen Polizisten Arie Jan van Os in Amersfoort gegründete Stiftung SODA (Service-Organisation für unmittelbare Haftung), die mit Polizei, Justiz, dem niederländischen Versicherungsverband und anderen Partnern zusammenarbeitet. Zu den mittlerweile 13.000 Auftraggebern gehören auch große Konzerne wie Aldi.

Das Unternehmen entstand aus einem Gefühl der Not heraus, erklärt der Gründer. Während seiner Karriere bei der Polizei musste er oft zusehen, dass Kriminelle ungestraft davonkamen und die Opfer auf ihrem Schaden sitzen blieben. „Gerade im Bereich der Ladendiebstähle hat man gesehen, dass immer weniger Anzeigen gemacht wurden“, schildert er. Oft hätten er und seine Kollegen die Aussage gehört: „Es hat sowieso keinen Sinn, es zu melden, denn bevor ich es gemeldet habe, ist der Täter schon draußen. “

Van Os bezeichnet die Situation als „Teufelskreis“, der durchbrochen werden musste. Als er mit seiner Beratungsfirma einen europäischen Wettbewerb gewann und den Zuschuss für ein Präventionsprojekt verwenden durfte, war das Ziel schnell klar: Ladendiebstähle zu reduzieren. So wurde im Jahr 2006 die Stiftung SODA gegründet.

Der Erfolg war enorm. Nach einem einjährigen Pilotprojekt in einem Einkaufszentrum in Osdorp kamen die ersten Zahlen, die Ladendiebstähle waren um 40 Prozent zurückgegangen. Mittlerweile besteht sein Team aus 15 Mitarbeitern, die über Erfahrungen bei der Polizei, in Kriminologie, IT sowie im Einzelhandel, Verwaltung und Rechnungswesen verfügen.

Der „181 Euro-Ladendiebstahl“

Im Jahr 2007 führte SODA in Zusammenarbeit mit der Polizei das Modell „181 Euro-Ladendiebstahl“ ein. Das Prinzip: Der gefasste Täter wird mit der Straftat konfrontiert und für den von ihm verursachten Schaden zur Rechenschaft gezogen. Dazu gehört auch der Zeitaufwand, den die Ladenbesitzer für die Abwicklung des Diebstahls aufwenden müssen.

Statt eines langwierigen Ermittlungsverfahrens und einer Anzeige bei der Polizei wird dem Dieb vorgeschlagen, eine einmalige Entschädigung von 181 Euro per QR-Code an den Händler zu erstatten. Danach kann er sofort gehen. Oft ist dem ertappten Kriminellen der Vorfall peinlich, sodass er zustimmt.

„Wir versuchen uns so gut wie möglich in die Situation des Täters hineinzuversetzen und suchen immer eine für beide Seiten passende Lösung“, schildert van Os. Insoweit sichert das Unternehmen einen respektvollen Umgang mit dem Täter zu – nach dem Motto „freundlich, wo es geht, hart, wenn es sein muss“. Dies bedeutet auch, dass der Gang vors Gericht nicht ausgeschlossen ist.

„Das Strafrecht ist ein vorsichtiges, mächtiges und kostspieliges Instrument. Das Zivilrecht hingegen ist leicht verfügbar und kostengünstig. In vielen Fällen können die gleichen Ergebnisse auch ohne Anwendung eines komplexen Strafrechts erzielt werden“, heißt es von dem Unternehmen weiter.

Dieser Ansatz komme auch der Gesellschaft zugute. Der Ladendieb habe die Möglichkeit, seinen Fehler zu korrigieren, wodurch das Rückfallrisiko verringert werde. Und auch die Justiz und der Unternehmer selbst würden entlastet.

 



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