Kriminalstatistik: Verharmlosungstendenzen und eine Gleichung, die nicht aufgeht

Rainer Wendt, Chef der Polizeigewerkschaft, spricht mit Epoch Times über die Polizeiliche Kriminalstatistik, über die Aufgabe der Medien, über 500 Millionen Euro, die bei der Polizei fehlen, und noch über die Grenzkontrolle von Innenministerin Nancy Faeser.
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Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft.Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Von 18. April 2024

Die Zahl der Straftaten in Deutschland war im vergangenen Jahr um 5,5 Prozent gestiegen und lag damit auf dem höchsten Stand seit 2016, wie aus der polizeiliche Kriminalstatistik hervorging. Insgesamt registrierten die Behörden 5,941 Millionen Fälle.

Besonders stark stiegen demnach Zahl und Anteil der ausländischen Tatverdächtigen. Während die Zahl der deutschen Verdächtigen innerhalb eines Jahres nur um ein Prozent auf etwa 1,32 Millionen stieg, wuchs die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen um 17,8 Prozent auf rund 923.000.

Über die Zahlen und die Hintergründe spricht Epoch Times mit dem Chef der Polizeigewerkschaft Rainer Wendt:

Kommen Sie sich manchmal wie in einem Hamsterrad vor? Diese Kriminalstatistiken mit überproportionalen Ausländeranteil sind ja nicht neu. Diese Entwicklung ist spätestens seit 2015 jedes Jahr zu vermelden. Ist Ihnen das auch so vorgekommen?

Dafür haben wir aufmerksame Medien, dass der Politik das grundsätzlich nicht gelingt. Aber das Bild mit dem Hamsterrad ist schon nicht falsch. Das denke ich manchmal auch so. Aber das kann uns ja nicht davon abhalten, uns weiter Mühe zu geben. Es ist ja auch nicht so, dass die Polizei keine Erfolge hat. Da, wo man uns lässt, können wir durchaus auch Kriminalität zurückdrängen.

Jetzt haben Sie die Medien erwähnt. Welche meinen Sie? Viele Medien bedienen sich der Pressemeldungen des Innenministeriums und lesen die Statistiken gar nicht mehr selbst. So geben sie allerdings oft die Interpretation des Ministeriums wieder, die ja nicht zwingend deckungsgleich mit der Kriminalstatistik ist …

Ja, glücklicherweise gibt es ja weder DIE Medien, noch DIE Politiker, noch DIE Gewerkschafter, sondern es gibt immer solche und solche.

Sie sind also mit der Berichterstattung in den letzten Jahren zufrieden gewesen …?

Das ist ja gar kein Kriterium. Die Berichterstattung erfolgt ja nicht, um Reiner Wendt zufriedenzustellen. Manchmal bin ich zufrieden, manchmal bin ich verärgert, manchmal denke ich mir, wie kann man eigentlich nur? Ich konsumiere viele Medien und da sind solche und solche dabei. Bei manchen ärgere ich mich permanent, bei anderen nur gelegentlich.

Wenn man sich die Pressemeldungen von Innenminister Reul aus Nordrhein-Westfalen seit 2015 anschaut, dann meldete er durchweg positiv: niedrigste Kriminalitätsrate seit Menschengedenken, niedrigste Ausländerkriminalität und so weiter. Und plötzlich, wie aus dem Nichts, kommt für das Jahr 2023 eine Alarmmeldung von Herrn Reul. Was ist da plötzlich passiert?

Die Polizei in Nordrhein-Westfalen ist sehr erfolgreich in den letzten Jahren. Das ist die einzige Polizei, die sich unter Führung von Herbert Reul beispielsweise des Themas Clankriminalität überhaupt erstmal wirkungsvoll angenommen hat und das Thema in die Öffentlichkeit geholt hat.

Kriminalitätsbekämpfung und Polizeiarbeit findet immer auch in einem hochpolitischen Raum statt. Und insofern finde ich das gut, dass Herbert Reul das Thema jetzt so auf die Tagesordnung gesetzt hat. Nun hat er keine Lösung präsentieren können. Aber wie denn auch? Es gibt nun mal nicht die eine Lösung. Aber Herbert Reul sagt durchaus auch selbstkritisch: Leute, das muss jetzt auf die Tagesordnung, wir müssen darüber reden. Das beinhaltet ja auch die Feststellung: Bisher haben wir nicht genügend darüber geredet.

Müssen wir damit leben: Mehr Ausländer bedeutet automatisch auch mehr Ausländerkriminalität?

Nein, automatisch sowieso nicht. Denn eine solche Feststellung würde ja behaupten, dass Ausländer per se kriminell sind. Die ist ja schon falsch. Insofern geht diese Gleichung nicht auf. So wie man nicht von DEN Politikern und DEN Medien reden kann, kann man auch nicht von DEN Ausländern reden.

Ich habe immer seit 2015 und davor schon gesagt, eine differenzierte Betrachtung ist genau richtig. Es gibt einzelne Gruppen derjenigen, die zu uns gekommen sind, die sind in bestimmten Kriminalitätsphänomenen überrepräsentiert. Soviel Zeit muss sein, so differenziert muss man es ausdrücken. Und dann muss man ganz differenziert schauen, wer ist es, wo kommen die Leute her? Gibt es da mögliche Ursachen und wie können wir diesem Phänomen ganz gezielt begegnen?

Das ist eine lange Reise, auf die wir uns da machen müssen. Jeder, der eine schnelle Lösung präsentiert, der ist auf dem Holzweg. Denn Kriminalität ist ein multifaktorielles Phänomen. Das heißt, da gibt es immer viele Ursachen, und deshalb muss man auch genauso viele Bekämpfungsstrategien haben. Das ist leider so ein mühsamer Weg. Aber wir haben in bestimmten Bereichen – ich erinnere etwa an Wohnungseinbruchskriminalität – da ist es uns mit einem Schritt nach dem anderen gelungen, die Dinge besser zu bekämpfen als das noch vor wenigen Jahren der Fall war.

Sie würden widersprechen, wenn jemand behauptet, seit 2015 sei der Eindruck entstanden, dass die Politik da auch einiges vertuschen will?

Eindrücken kann ich ja nicht widersprechen. Jeder hat so seine Eindrücke. Aber dass Politik per se vertuschen will, dem würde ich auf jeden Fall widersprechen.

Die Interpretation der Kriminalstatistiken durch die Ampelregierung ist für Sie in Ordnung?

Nein, die ist für mich nicht in Ordnung. Teilweise hat man da schon starke Verharmlosungstendenzen. Da soll etwas erklärt werden, was so nicht erklärt werden kann. Aber dafür sind wir ja da. Es gibt immer diese und jene Stimmen und eine Polizeiliche Kriminalitätsstatistik lässt sich so oder so interpretieren. Das gehört auch zum Politikgeschäft dazu. Und es gibt Vertreter auch aus der Ampelkoalition, die sagen, so kann man überhaupt nicht auf die Kriminalität schließen. Das sei ja nur eine Arbeitsstatistik der Polizei. Aber es ist auch eine Arbeitsstatistik der Politik und die fällt eigentlich miserabel aus.

Jetzt werden diese Kriminalstatistiken seit Jahren jährlich um 40, 50 Seiten länger. Das ufert so aus, dass teilweise schon Themen ausgegliedert werden müssen. Spricht das nicht allein schon für sich?

Nein, das ist dem Umstand geschuldet, dass die Gesellschaft immer zersplitterter geworden ist und wir immer mehr Informationen haben wollen. Ich sage Ihnen nur mal ein Beispiel: Seit 2019 interessiert uns das Thema Messerangriffe ja viel mehr. Deshalb wird das in gesonderten Statistiken erhoben.

Und weil viele Leute immer mehr wissen wollen und immer differenziertere Antworten haben wollen, muss die Polizei auch immer mehr dokumentieren. Das ist übrigens nicht trivial, sondern nervt uns richtig. Politik will immer mehr Antworten haben, aber weiß nicht, dass, je mehr Statistiken wir haben wollen, auch die Dokumentationsaufgaben enorm steigen.

Und das nervt uns deshalb, weil es viel zusätzliche Arbeit macht: In Sonntagsreden von Entbürokratisierung reden, aber dann immer mehr Statistik und immer mehr Informationen haben wollen, das passt halt nicht zusammen. Das wäre übrigens ein dankbares Thema für Journalisten, sich mal die Frage zu stellen, wie viel Arbeitszeit die öffentliche Verwaltung eigentlich braucht, um die Fragen von Politikern zu beantworten. Darum können Sie sich mal kümmern, da lachen Sie sich kaputt!

Wenn es jemand wissen müsste, dann die Polizei. Hat die Polizei zu wenig Alarm geschlagen oder hat sich dafür niemand interessiert?

Polizei hat die Aufgabe, Gefahren abzuwehren und Straftaten zu verfolgen, nicht Alarm zu schlagen. Die Polizei ist eine Behörde und die macht ihre Arbeit. Und gelegentlich Alarm schlagen tun dann beispielsweise diejenigen, die dazu berufen sind, auch in der Öffentlichkeit Position zu beziehen, unter anderem die Deutsche Polizeigewerkschaft. Und die macht das ja nun zur Genüge, einigen sogar zu viel.

Georg Restle von ARD-„Monitor“ sagt, Ausländer werden häufiger von der Polizei aufs Korn genommen, deshalb sei die Statistik so hoch. Das erinnert an die Vorfälle rund um die Kölner Domplatte 2015/16, als die Polizei von „Nafris“, nordafrikanischen Intensivtätern sprach. Das wurde der ermittelnden Polizei vorgeworfen, dass sie eine Spezialbezeichnung hat …

Der Vorwurf ist absoluter Blödsinn. Das ist die typische Sicht auf die Polizei von Leuten, die ein gestörtes Verhältnis zu Sicherheitsbehörden haben. Vor dem Gesetz ist jeder gleich. Das heißt, wenn eine Person einer Straftat verdächtig ist, wird sie kontrolliert. Und da spielt es überhaupt keine Rolle, wo jemand herkommt oder wie jemand aussieht.

Wie sieht es denn mit Deutschen mit Migrationshintergrund aus? Sie finden ja in den Statistiken gar nicht statt. Und wenn ein Migrant schon nach drei Jahren Deutscher werden kann, verfälscht das nicht auch die Statistik?

Ja, das taucht dann nicht auf. Ob man es verfälschen kann, weiß ich nicht. Aber ich glaube, dass auch die Definition mit dem Migrationshintergrund ausgesprochen schwierig ist. Mein Vater war zum Beispiel Niederländer. Dann bin ich ja auch ein Mensch mit Migrationshintergrund.

Das hatte auch Frau Merkel früher einmal gesagt. Sie meinte in etwa, fast jeder Deutsche habe strenggenommen Migrationshintergrund. Aber lässt sich so wirklich die Ausländerkriminalität reduzieren?

Nein, mit dieser Aussage gar nicht. Die Ausländerkriminalität wie Kriminalität überhaupt lässt sich nur reduzieren mit drei Dingen, die besser werden müssen: erstens Personal, zwei Technik, drittens Gesetze.

Das ist immer der Schlüssel zu mehr innerer Sicherheit. Polizei braucht ausreichendes, gut qualifiziertes Personal. Wir brauchen modernste Technik. Jetzt sind wir hier auf dem europäischen Polizeikongress. Da kriegen wir gerade vorgeführt, was die Industrie alles entwickelt. Und zum Schluss brauchen wir Gesetze, die uns die Dinge erlauben.

Und da gibt es Gesetze, die sind gut, und dann gibt es andere, die sind weniger gut.

Jetzt gibt es das neue Bundespolizeigesetz, wo wir erwartet haben, dass der Bundespolizei eigene Kompetenzen beispielsweise beim Thema Rückführung gegeben werden. Dass der Bundespolizei die Gelegenheit gegeben wird, auch zur Gefahrenabwehr Quellenkommunikations-Überwachung zu machen und beispielsweise eigene Abschiebehaftanstalten zu unterhalten. Nichts von dem ist gekommen. Was aber gekommen ist, sind Kontrollquittungen und Kennzeichnungspflicht. Daran sieht man, was ein schlechtes Gesetz ist und was ein gutes Gesetz.

Sind denn die von der Polizeigewerkschaft geforderten 3.000 Aufstocker für die Bundespolizei schon gekommen? Hat sich da etwas bewegt?

Ja, die Bundespolizei hat einen drastischen Personalaufwuchs hinter sich. Das ist auch gut so. Was wir jetzt sehen, ist allerdings, dass da eine längere Atempause entstehen soll. Und das halten wir wieder für falsch.

Der Bundespolizei fehlen in diesem Jahr 500 Millionen Euro im Haushalt. Wenn das im nächsten Jahr nicht dringend repariert wird, dann wird die innere Sicherheit noch mehr leiden, denn die Bundespolizei leistet ja an der Grenze wirklich Herausragendes wie an unseren Flughäfen und Bahnhöfen. Die Bundespolizei ist dort präsent ohne Ende.

Aber das wird nachlassen, wenn das Geld nicht kommt. Und deshalb brauchen wir nicht nur einmalig diese 500 Millionen Euro, sondern die brauchen wir im nächsten Jahr wieder zusätzlich. Das muss dringend repariert werden, sonst können wichtige Beschaffungsvorhaben nicht geleistet werden und darunter leidet Infrastruktur.

Es war jetzt zu lesen, für einen Job in der Polizei müsste man nicht mehr Deutscher sein. Ist es tatsächlich so?

Nein, das ist nicht so. Man darf schon lange, beispielsweise wenn man aus dem europäischen Ausland kommt, zur Polizei gehen. Aber die deutsche Staatsbürgerschaft braucht man so oder so, das sieht schon das Beamtenrecht vor.

Und das will man jetzt ändern?

Nein, dazu müsste man ja die Verfassung ändern.

Frau Faeser lobt aktuell Erfolge an den Grenzen. So seien 17.400 Illegale allein seit Oktober 2023 abgewiesen worden. Wird diese Erfolgsmeldung von der Bundespolizei geteilt?

Was die Bundespolizei dazu sagt, weiß ich nicht. Aber die Deutsche Polizeigewerkschaft hat da schon mindestens sehr geschmunzelt, weil Frau Faeser ja zum Jagen getragen werden musste.

Sie erinnern sich, dass sich Frau Faeser lange, lange Zeit dieser Grenzkontrollen verweigert hat. Ich weiß gar nicht, wie oft sie uns erklärt hat, dass das alles gar nichts bringt und dass man die Grenzen nicht schützen kann und alles Mögliche. Bis dann der Druck zum Schluss so stark wurde, vor allen Dingen auch aus den Ländern, die das dringend haben wollten. Die Bundespolizei aus Bayern, wo ja die Grenzkontrollen schon länger bestehen, hatte zudem immer wieder gemeinsam mit der bayerischen Grenzpolizei hervorragende Ergebnisse abgeliefert.

Und deshalb wurde der Druck so stark, dass Frau Faeser letztlich dann nachgegeben hat und fast gezwungen wurde, diese Grenzkontrollen einzurichten. Und jetzt brüstet sie sich mit diesen Grenzkontrollen. Das ist schon einigermaßen skurril, bin ich aber aus der Politik nach langen Jahren und Jahrzehnten gewöhnt.

Ganz kurze Nachfrage, weil Sie von „gewöhnt sein“ sprachen. Da sitzt Frau Faeser natürlich mit Herrn Seehofer in einem Raum. Auch Horst Seehofer hat das ja damals nicht gemacht. Er sagte damals, wir machen das im Hinterland und wir machen das stichprobenartig …

Im Ergebnis war das so. Und auch so kennen Sie mich: Wenn die Union falsche Politik macht, wird die nicht dadurch richtiger.

Danke für das Gespräch!

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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