Schreckgespenst Italexit: Sind Salvinis Mini-Bots der erste Schritt Roms aus der Eurozone?

Nach dem Wahlerfolg bei der EU-Wahl kann Matteo Salvinis Lega vor Kraft kaum noch laufen. Dass die Abgeordnetenkammer zwei Tage nach der Wahl grünes Licht für „Mini-Bots“ mit einem Potenzial zur Parallelwährung gegeben hat, lässt die Sorge um einen möglichen Ausstieg Italiens aus dem Euro wachsen.
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Matteo Salvini Anfang 2019 bei einer Pressekonferenz in Rom.Foto: VINCENZO PINTO/AFP/Getty Images
Von 20. Juni 2019

Die Einführung sogenannter Mini-Bots in Italien, für die es am 28. Mai grünes Licht vonseiten der Abgeordnetenkammer gegeben hat, nährt in der gesamten Eurozone Spekulationen darüber, dass dies der erste Schritt zum Ausstieg des südeuropäischen Landes aus der Währungsunion sein könnte.

Die Mini-Bots sind vom Prinzip her aufgebaut wie Staatsanleihen mit einer Laufzeit von maximal zwölf Monaten zur kurzfristigen Erhöhung der Liquidität des Staates. Im Unterschied zu diesen, deren Nennwert mindestens bei 1000 Euro liegt, wäre dieser bei den Mini-Bots 100 Euro oder weniger. Zwar werden sie anders als etwa herkömmliche Schuldscheine oder Wechsel über die Börse gehandelt, perspektivisch ist es jedoch nicht auszuschließen, dass sich aus den Mini-Bots sogar reguläre Zahlungsmittel entwickeln. Immerhin lassen sich auch Schulden gegenüber dem Finanzamt jetzt schon auf diesem Wege begleichen.

Als Eurozonenland bleibt Italien zwar weiterhin an die allgemeinen Kriterien zu Defizit oder Schuldenstand gebunden – etabliert sich aber de facto eine Parallelwährung, wäre der Weg zum Austritt aus der Eurozone deutlich kürzer, sollte die EU-Kommission auf einer Defizitreduktion Roms beharren.

Lega hätte zusätzliche Koalitionsoption

Die in der Vorwoche ergangene Kommissionsempfehlung, ein Defizitverfahren gegen Italien einzuleiten, beeindruckt Vizepremier und Innenminister Matteo Salvini wenig. Und dieser wird mehr und mehr zum Dreh- und Angelpunkt der italienischen Innenpolitik, wie auch die „Zeit“ erkennbar widerwillig einräumt.

Salvini trifft mit seinen Botschaften den Nerv von immer mehr Italienern. Innerhalb von nur fünf Jahren hat er die auf unter vier Prozent abgestürzte Lega zur mit Abstand stärksten Kraft im Land gemacht. Sogar dem eigenen Koalitionspartner, der linkspopulistischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S), hat er den Rang abgelaufen. Würde zum jetzigen Zeitpunkt neu gewählt, wäre mit einem ähnlichen Ergebnis wie bei der EU-Wahl zu rechnen.

Allein schon diese Aussicht scheint M5S-Chef Luigi di Maio davon abzuschrecken, einen Bruch der Koalition zu riskieren. Salvini wiederum braucht keine Neuwahlen, um den Kurs zu bestimmen – auch wenn er mit der zuletzt arg gebeutelten Forza Italia von Altmeister Silvio Berlusconi und den rechtskonservativen Fratelli d’Italia sogar noch eine weitere Koalitionsoption hätte. Salvini hat bereits jetzt in zentralen Fragen weitreichende Entscheidungen erzwungen, die ihm die Rückendeckung weiter Teile der Bevölkerung sichern.

Italien laboriert immer noch an jahrzehntealten Problemen

Dazu zählt die Entscheidung, die Häfen für sogenannte Seenotretter zu schließen und die illegale Einwanderung rigide zu bekämpfen, aber auch bei Steuererleichterungen, Infrastrukturmaßnahmen und der sozialen Absicherung armer Bevölkerungsschichten hält die Lega hohen Druck aufrecht. Mit 3,6 Millionen Followern auf Facebook und mehr als einer Million auf Twitter ist Salvini auch in der Lage, seine eigene Öffentlichkeit herzustellen und zu pflegen – ohne vorherige „Einordnung“ durch die ihm wenig zugeneigte Medienlandschaft.

Perspektivisch steht Salvini allerdings vor den gleichen Problemen, an denen sich auch viele seiner Amtsvorgänger die Zähne ausgebissen hatten. Italien ist traditionell kein Musterbeispiel für Good Governance. Die Qualität des Gebarens der Verwaltung ist nicht flächendeckend gleich. Korruption und Vetternwirtschaft mögen im Vergleich zu früheren Jahrzehnten tatsächlich abgenommen haben oder zumindest weniger sichtbar sein. Gänzlich verschwunden sind sie nicht.

Damit geht ein nach wie vor gebrochenes Verhältnis vieler Italiener, insbesondere der Leistungsträger, zum Staat und dessen Behörden einher. Steuervermeidung ist ein stetig aktuelles Thema für viele Unternehmer, was sich auch im Haushalt bemerkbar macht.

Wählerschaft Salvinis will es bei Drohkulisse belassen

Salvini versucht auch hier die Flucht nach vorne und will die Politik mithilfe massiver Steuersenkungen zu mehr Effizienz zwingen – die Lega fordert einen pauschalen Spitzensteuersatz von 15 Prozent für Privatpersonen und nimmt sich in dieser Hinsicht die Slowakei der späteren 2000er Jahre zum Vorbild.

Ex-Premier Mario Monti spricht bereits von einem „stillen Abschied aus dem Euro und aus der EU“, den die Regierung vorantreibe. Tatsächlich ist es aber wenig wahrscheinlich, dass die derzeitige Regierungskoalition oder auch ein Rechtskabinett unter Führung Salvinis tatsächlich ein Ausscheiden des Landes aus der Eurozone oder gar aus der EU selbst anstrebt. Italien ist nicht nur Gründungsmitglied der Europäischen Gemeinschaften – die Lage des Landes und insbesondere die starke wirtschaftliche Vernetzung gerade des leistungsstarken Nordens mit den europäischen Nachbarländern will man nicht aufgeben, ohne etwas Gleichwertiges in der Hinterhand zu haben. Im Norden findet die Lega zudem den stärksten Rückhalt. Deshalb wird Salvini weiter darauf setzen, die EU und die Eurozone von innen heraus zu reformieren. Der Italexit als Drohkulisse könnte der Lega jedoch noch gute Dienste erweisen.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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