Freiheit des Willens: Wie Dante selbst nach 700 Jahren zum Nachdenken anregt

Was ist Wahrheit? In der Zeit der "Woke"-Ideologie ist die Antwort selbstverständlich: Schwarze Menschen gut, weiße schlecht; Frauen gut, Männer schlecht, und so weiter. Diese selbstverständlichen Wahrheiten sind natürlich alles andere als selbstverständlich. Das wird vor allem bei den großen Klassikern der Literatur sichtbar, so auch in Dante Alighieris "Göttlicher Komödie".
Von 30. Mai 2021

Kürzlich sagte mir ein führender US-Wissenschaftler an einer hoch angesehenen amerikanischen Universität: „Die Universitäten liegen im Sterben.“ Ich weiß nicht, ob das stimmt, da ich nie eine US-Universität besucht habe und nicht in den USA lebe. Aber seine Worte hallten in mir wider, weil sie in Großbritannien durchaus wahr sind.

Vielleicht schwimmen die Fakultäten in Naturwissenschaften, Technik und Medizin auf ihre eigene selbstgefällige Art und Weise fließend vor sich her – sehr zufrieden mit sich selbst, da sie immer noch Zuschüsse und Unterstützung erhalten. Und vor allem, da man sie glauben lässt, was für schlaue Jungs und Mädels sie seien – wahrlich die Creme de la Creme der intellektuellen Errungenschaften. Doch das ist in Wirklichkeit eine ernsthafte Entstellung dessen, worum es bei Bildung geht.

So verrät uns die Wissenschaft, „wie“ die Dinge sind. Doch sie sagt uns nicht wirklich viel über das „Was“ und vor allem das „Warum“. Das „Warum“ der Dinge ist viel wichtiger als das „Wie“. Das soll nicht heißen, das „Wie“ sei nicht wichtig. Das „Warum“ jedoch beinhaltet die letztendlichen Fragen wie zum Beispiel unsere Bestimmung. Wissenschaft und Technik ohne eine wahre Bestimmung sind für die Menschheit nicht nützlich, sondern gefährlich. Um das „Warum“ zu ermitteln, müssen wir uns wieder den Geisteswissenschaften und ihren verschiedenen Fakultäten zuwenden. Und genau diese liegen im Sterben.

Hier ist ein Einblick: Im Alter von 7 bis 10 Jahren war mein jüngster Sohn, Joseph, ein Harry-Potter-Fanatiker; und durch „Harry Potter“ wurden seine Lesefähigkeiten und sein Vorstellungsvermögen immens gefördert. Allerdings war es eine kleine Überraschung, als er sich mit 18 Jahre (im Jahr 2011) nach möglichen Universitäten umsah und eine in Großbritannien fand, die ein Englischstudium anbot – mit „Harry Potter“-Studien als Kernstück! 

Wie stolz die Universität auf ihren angesagten, zeitgemäßen, nicht-elitären Zugang zur Literatur war. Und wie traurig es jetzt für diese Universität sein muss, wenn die einzige angemessene Reaktion auf ein Buch von J.K. Rowling darin besteht, es zu verbrennen – wegen der unsensiblen Ansicht der Autorin, dass eine Frau zu sein, eben eine Frau zu sein bedeutet.

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J.K. Rowling bei der Entgegennahme des Robert-F.-Kennedy-Menschenrechtspreises 2019 in New York. Sie gab den Preis später wieder zurück. Foto: Bennett Raglin/Getty Images for Robert F. Kennedy Human Rights

All das bringt mich zu dem grundlegenden Punkt: Wenn wir nicht ernsthaft verstehen, wie großes Denken aussieht – das in Werken von Theologen, Philosophen, Schriftstellern und Dichtern existiert – werden wir als Zivilisation untergehen. Der Untergang wird uns zu den getarnten Ideologien bringen wie Gleichheit, Vielfalt, „Woke“-Bewegung – alles untermauert durch eine virulente Form des Marxismus, und das Ende aller wahren Werte, wie wir sie kennen und lieben.

Wie großes Denken aussieht

Wenn wir großes Denken auf einen Bereich eingrenzen, von dem ich persönlich begeistert bin, dann wäre zu sagen: Jedes Kind sollte im Unterricht immer wieder guter, großer und großartigster Literatur ausgesetzt werden. Und auch als Erwachsener ist es von größter Bedeutung, mehr als nur Bestseller und Schund zu lesen, um als Mensch und Bürger weiter zu wachsen.

Was große Literatur ausmacht, sind keine zeitgenössischen Bücher voller politisch korrekter, „woker“ Memes und Themen mit all ihrer selbstgefälligen Tugendhaftigkeit und Überlegenheit. Diese sind vergleichbar mit Fast Food, nur weniger nahrhaft. 

Klassische Texte werden nicht von patriarchalischen, weißen Männern der Mittelklasse geschaffen. Im Gegenteil, sie werden von Kulturen geschaffen, weil die Menschen in einer Kultur lange und intensiv über den Text nachgedacht hatten. Sie entdeckten dabei, dass er bei jedem wiederholten Lesen mehr Wert zeigte: mehr Unterhaltung, mehr Ideen, mehr Wissen, mehr Schönheit und – wenn ich das so sagen darf – mehr Transzendenz.

Der große Klassiker spricht die tiefsten Bereiche der menschlichen Natur an und deutet meist auf etwas Göttliches, das jenseits davon liegt.

Ein großartiges Beispiel für die Literatur, die ich im Sinn habe, wäre Dantes „Göttliche Komödie“ – ein Werk von übergreifender Genialität. Was den westlichen Kanon der Literatur betrifft, so kann man nur eine Handvoll Werke mit ihm vergleichen.

Lassen Sie uns eins klarstellen: Gegen einen westlichen Kanon der Literatur ist nichts einzuwenden, vor allem dann nicht, wenn er einer lebhaften Debatte und Überprüfung unterliegt. Es war der englische Schriftsteller Dr. Samuel Johnson, der in seiner „Vorrede“ zu „The Plays of William Shakespeare“ („Schauspiele von William Shakespeare“) die Sache am prägnantesten auf den Punkt brachte: 

„Was die Menschen schon lange besessen, untersuchten und verglichen sie oft. Und wenn sie den Besitz beharrlich weiter zu schätzen wissen, dann deshalb, weil häufige Vergleiche das Urteil zu seinen Gunsten untermauerten.“

„Genauso wie unter den Werken der Natur kein Mensch einen Fluss tief oder einen Berg hoch nennen kann, ohne die Kenntnis vieler Berge und vieler Flüsse; so kann in der Schaffung von Genialität nichts als ausgezeichnet bezeichnet werden, bis es mit anderen Werken der gleichen Art verglichen worden ist …“

„Was am längsten bekannt ist, wurde am meisten überdacht, und was am meisten überdach wurde, wurde am besten verstanden.“

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Ein Porträt des Gelehrten Samuel Johnson um 1772 von Sir Joshua Reynolds. Foto: Public Domain

Außerdem ist Dantes „Göttliche Komödie“ kein staubtrockenes, akademisches Buch, dem wir höflich für seine Gelehrsamkeit applaudieren dürfen. Es ist auch kein politisch korrektes Gleichnis, das utopische Tugenden preist, die für eine utopische Zukunft geeignet sind, die niemals zustande kommen wird. (Aber was soll’s! Warum sollte man Kinder nicht trotzdem damit indoktrinieren?) 

Vielmehr ist die „Göttliche Komödie“ eine der packendsten Geschichten, die man jemals lesen könnte: eine Reise hinunter in die Hölle, hinauf durch das Fegefeuer bis in den Himmel. Selbst ein einziger der 100 Gesänge, aus denen das ganze Gedicht besteht, ist voller Überraschungen, Geheimnisse, Emotionen, Mythologie, Philosophie und vielem mehr. Dazu gehört auch das, was uns alle brenzlich interessiert: alles über Menschen, ihre Probleme und ihr Leid.

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Schon ein einziger Gesang aus Dantes Meisterwerk die „Göttliche Komödie“ ist voller Geheimnisse und Gefühle. Gesang 1 aus dem „Inferno“, dem ersten Teil der „Göttlichen Komödie“. Foto: Public Domain

Das Wesen der Wirklichkeit

Die „Göttliche Komödie“ ist ein Werk, das das Wesen der Wirklichkeit erforscht. Wie Professor William Franke in seinem brillanten Buch „Dante’s Interpretive Journey“ bemerkt, ist es niemals einfach, die Wirklichkeit zu verstehen. Es ist etwas, mit dem jeder Mensch kämpfen muss. 

Die „Göttliche Komödie“ ist kein Werk der katholischen Propaganda. Dante lädt den Leser ständig dazu ein, die Bedeutung des Geschehens für sich selbst zu interpretieren. Und es heißt nicht: Hier ist die Wahrheit; wir diskutieren nicht.

Im Gegenteil, der Text hinterfragt sich selbst und lädt Sie, den Leser, ein, genau das Gleiche zu tun. Wie anregend mag das für einen späten Gymnasiasten sein, geschweige denn für einen Erwachsenen?

Ein paar Beispiele mögen helfen zu verdeutlichen, was ich meine. Die primäre Problematik des gesamten Gedichts ist die Frage, ob es wirklich wahr ist, was Dante behauptet. Was sollen wir von diesem Werk halten? Ist es nur ein Kunstwerk – oder ist Dante wirklich in die Hölle und darüber hinaus gegangen, wie er behauptet? Ist er ein Visionär oder ein Prophet Gottes? Wie können wir wissen, wie wir diese Behauptungen zuordnen sollen?

Oder nehmen Sie ein anderes Beispiel, das mir besonders am Herzen liegt und das Franke in seinem Buch erforscht: Wie kommt es, dass Dante einerseits die antiken und heidnischen Götter als verlogen und falsch bezeichnet und abtut, andererseits sich aber auf Kalliope und Apollo als seine Musen beruft, die ihn auf seiner Reise inspirieren?

Mit diesen Fragen kommen wir zur Erforschung der grundlegenden Frage: Was ist Wahrheit und wie wahr ist dieser Bericht von Dantes Reise.

Ein Denkmal des Dichters Dante Alighieri 1865, von Enrico Pazzi neben der Kirche Santa Croce in Dantes Geburtsstadt Florenz. Foto: Klaus Blume/dpa/dpa

Große Themen versus Memes voller selbstgefälliger Tugendhaftigkeit

Das sind große Themen, aber junge Menschen mögen ja große Themen, nicht wahr? Sicherlich ist dies die Art von Buch, die Neugierde weckt, Verwunderung und Staunen hervorruft und intellektuellen Ballast für den Rest des Lebens liefert! Ich hoffe jedoch auch, dass es offensichtlich ist, dass diese Art des Denkens eine Million Lichtjahre von den sicheren Gewissheiten des „Woke“-Denkens und der politischen Korrektheit entfernt ist.

In der „Woke“-Kultur ist die Wahrheit immer schwarz und weiß, geradezu buchstäblich so: Schwarze Menschen gut, weiße Menschen schlecht; Frauen gut, Männer schlecht; Freiheit (alias: Lizenz für Urheberrechte) gut, Autorität schlecht; liberal gut, konservativ schlecht; und so weiter. 

Diese selbstverständlichen Wahrheiten sind natürlich alles andere als selbstverständlich. Doch offenbar haben inzwischen so viele Menschen ihre Fähigkeit zu denken verloren – das heißt, zu „unterscheiden“ im wahrsten Sinne dieses Wortes –, dass sie auf diese sinnlose Memes hereinfallen.

Es sind nun genau 700 Jahre seit dem Tod von Dante Alighieri vergangen. Er starb am 13. September 1321, und so müssen wir [in diesem] Jahr diesen Giganten in der Welt der Poesie und Philosophie feiern. Was aber könnte bis dahin der größte einmalige Beitrag von Dantes Poesie für unsere heutige Welt sein?

Die Antwort, denke ich, ist die Thematik der Freiheit des Willens und ihrem unheilvollen Gegenteil, dem Determinismus. Wir werden das in Teil 2 dieser Serie betrachten und sehen, wie dies in Dantes drei Welten erkundet wird. Außerdem werden wir beleuchten, wie der Zweifel am freien Willen in unserer jetziger Gesellschaft ausgelebt wird – mit katastrophalen Folgen.

James Sale ist ein englischer Geschäftsmann, dessen Firma Motivational Maps Ltd. in 14 Ländern tätig ist. Er ist Autor von über 40 Büchern über Management und Bildung, die von großen internationalen Verlagen wie „Macmillan“, „Pearson“ und „Routledge“ herausgegeben wurden. Als Dichter gewann er 2017 den ersten Preis im Wettbewerb der NGO „Society of Classical Poets“ und sprach im Juni 2019 auf dem ersten Symposium der Gruppe im New Yorker Princeton Club.

Dieser Artikel erschien im Original auf The Epoch Times USA unter dem Titel: More Dante Now, Please! (Part 1): How Dante Provokes Thinking (deutsche Bearbeitung von as)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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