Norbert Häring: Mein Haus, mein Auto, mein Boot gilt auch für Millenials

Junge Erwachsene machen sich angeblich weniger aus Besitz als frühere Generationen und bevorzugen Sharing. Studien aus den USA widerlegen die These. Die materiellen Trauben sind nur sauer, weil sie für viele in der benachteiligten jungen Generation zu hoch hängen.
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Aus dem viel gelesenen Befund, wonach immer weniger junge Städter den Führerschein machen und sich ein Auto kaufen wollen, darf man das Wort "wollen" vielleicht durch "können" ersetzen. (Norbert Häring)Foto: iStock
Von 10. September 2019

Die sogenannten Millennials, die Generation der nach 1980 Geborenen, gilt als wenig materialistisch, mehr auf Erfahrungen als auf Besitz aus. Insbesondere Autos als Statussymbol hätten für sie ausgedient, liest man immer wieder. Weniger Angehörige der Generation Y, wie sie auch genannt wird, machen den Führerschein, weniger fahren ein eigenes Auto, mehr nutzen öffentliche Transportmittel.

Dieser Wandel in den Präferenzen wird gern als Treiber hinter der sogenannten Sharing Economy angeführt, bei der man zum Beispiel Autos nicht mehr besitzt, sondern nur nach Bedarf mietet. Für die Umwelt wäre es ein hoffnungsvoller Trend, denn Autos machen einen wesentlichen Anteil am Ausstoß von Treibhausgasen aus. Wer keines besitzt, fährt eher mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Verkehrswende wäre so erheblich leichter zu schaffen.

Arm aber sexy

Es gibt aber auch die Gegenthese, wonach es gar keine Präferenzverschiebung gibt, sondern lediglich eine junge Generation, die den Berufseinstieg nur über befristete Arbeitsverhältnisse schafft und deshalb viel länger als die jungen Leute aus früheren Generationen in finanzieller Unsicherheit ausharren muss. Es wäre eine vernünftige Anpassung an prekäre Bedingungen, teure Anschaffungen wie Autos und Häuser zu verschieben oder zu streichen.

Die passende psychologische Anpassung wäre es, die identitätsstiftende Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe eher mit dem Smartphone oder dem cool-minimalistischen Fahrrad zu signalisieren als mit einem dicken Auto. Getreu der Strategie, dass man Trauben, die zu hoch hängen, für sauer erklärt.

Eine Reihe von empirischen Studien aus den USA hat die These der Skeptiker bestätigt. Sie bekräftigen zwar jeweils den Befund, dass die Generation Y im Durchschnitt weniger Autos besitzt als gleiche Altersgruppen früher und weniger Autokilometer zurücklegt. Sobald sie allerdings genauer hinschauen und Faktoren mitberücksichtigen, die für die Entscheidung, ein Auto zu kaufen und damit herumzufahren, wichtig sind, löst sich der vermeintliche Präferenzunterschied schnell im Nichts auf.

Wir können nicht auf die Präferenzen der Millennials zählen, wenn es darum geht, Kohlendioxidemissionen zu verringern. Sie haben immer noch starke Präferenzen für eigene Autos.

Millennials haben demnach tendenziell in jungen Jahren inflationsbereinigt weniger Einkommen und Vermögen als Babyboomer und verschieben die Familiengründung auf später. Auch hat sich der anhaltende Verstädterungstrend über die Jahrzehnte so ausgewirkt, dass weniger von ihnen auf dem Land leben als früher, wo man viel stärker auf ein Auto angewiesen ist.

Doch für diejenigen, die eine Leiter haben, also einen sicheren, gut bezahlten Job, bleiben die Trauben des Konsums so süß wie für frühere Generationen.

„Wir können nicht auf die Präferenzen der Millennials zählen, wenn es darum geht, Kohlendioxidemissionen zu verringern. Sie haben immer noch starke Präferenzen für eigene Autos“, folgern Christopher Knittel und Elizabeth Murphy aus den Ergebnissen ihrer Studie „Generational Trends in Vehicle Ownership and Use“. Sie verglichen paarweise Millennials mit Angehörigen der Jahrgänge bis 1964. Dabei stellten sie maximale Ähnlichkeit der Paare bei Alter, Geschlecht, Beschäftigungsstatus, Einkommen und weiteren Attributen her. Es stellte sich heraus, dass Millennials sogar ein wenig häufiger ein eigenes Auto hatten und mehr Auto fuhren als vergleichbare Mitglieder der Generation der Babyboomer.

Auch Christopher Kurz, Geng Li und Daniel Vine von der Notenbank Federal Reserve stellen in ihrer Studie „Are Millennials Different?“ fest, dass Millennials weniger Einkommen und Vermögen haben als frühere Generationen im gleichen Alter.

Die viel gehypten ganz eigenen Präferenzen und Verbrauchsmuster der Millennials sind für sie nur ein Artefakt, das unter anderem auf die Umwälzungen und Einkommensverluste durch die Wirtschafts- und Finanzkrise ab 2007 zurückgeht.

Benjamin Leard, Joshua Linn, und Clayton Munnings haben sich in der Zeitschrift „The Energy Journal“ die Entwicklung der pro Person zurückgelegten Autokilometer in den USA im Zeitablauf näher angeschaut. Sie suchten nach einer Erklärung, warum der Anstieg in den ersten zehn Jahren des Jahrtausends abflachte und auslief, bevor er in den letzten Jahren wieder stärker wurde.

Eine oft gehörte Erklärung dafür ist die „Amazon-Hypothese“, wonach die Millennials weniger zum Einkaufen fahren und überhaupt lieber im Internet unterwegs sind als auf den Straßen.

Auch diese Autoren stellen fest, der Rückgang der Autonutzung lasse sich im Wesentlichen auf die schlechte Einkommensentwicklung und die sinkende Anzahl der Arbeitnehmer und damit Pendler je Haushalt in den Nullerjahren zurückführen. Mit der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage ab etwa 2010 nahm auch die Autonutzung wieder zu.

Sie schließen daraus, dass die Automobilnutzung weiterhin mit den in der Vergangenheit üblichen Raten wachsen werde und urteilen: „Das wird die Kosten für die Erreichung der Ziele bezüglich Energiesicherheit, Klimaschutz und Luftqualität nach oben treiben.“

Hohe Mieten belasten

Die Übertragbarkeit der Ergebnisse aus den USA auf Deutschland ist plausibel. So hat erst vor Kurzem eine Studie des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung festgestellt, dass das Pro-Kopf-Einkommen in den deutschen Städten sich von 2000 bis 2016 deutlich unterdurchschnittlich entwickelte und in vielen Städten sogar schrumpfte.

Stark steigende Mieten in den Städten tun ein Übriges, um das frei verfügbare Einkommen der jungen Städter schrumpfen zu lassen. Für Studierende, Praktikanten und Berufsanfänger mit geringem Gehalt, die noch dazu oft örtlich mobil sein müssen, ist das ein besonderes Problem.

Hinzu kommt, dass seit vielen Jahren fast jede zweite Neueinstellung nur noch befristet ist. Das trifft naturgemäß die jüngere Generation weit überproportional. Aus dem viel gelesenen Befund, wonach immer weniger junge Städter den Führerschein machen und sich ein Auto kaufen wollen, darf man das Wort „wollen“ vielleicht durch „können“ ersetzen.

Möglicherweise tragen auch andere beliebte Charakterisierungen der Generation nicht weit, etwa die, dass sie verweichlicht und arbeitsscheu wären. Wie frühere Generationen, dürften Millennials die Entscheidung, ob sie sich für einen Job krummlegen wollen, davon abhängig machen, wie sehr es sich lohnt. Und für sie lohnt es sich wegen Befristung und schlechter Bezahlung der angebotenen Einsteigerjobs oft weniger. Mehr Studien dazu wären sehr interessant.

Zuerst erschienen auf  www.norberthaering.de

Der Autor: Norbert Häring ist seit 1997 Wirtschaftsjournalist. Der promovierte Volkswirt arbeitete vorher einige Jahre für eine große deutsche Bank. 2002 wechselte er zum Handelsblatt, für das er seither schreibt. Er engagiert sich in der World Economics Association für eine weniger einseitige und dogmatische Ökonomik. Er ist Träger des Publizistik-Preises der Keynes-Gesellschaft und des Deutschen Wirtschaftsbuchpreises von getAbstract (Ökonomie 2.0).

 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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