Italiens neue Innenministerin: Lamorgese wird sich politische Kehrtwende nicht leisten können

Seit Donnerstag ist Matteo Salvini nicht mehr italienischer Innenminister. Die Hoffnungen der „Seenotretter“ des von der NGO Sea Eye betriebenen Schiffes „Alan Kurdi“, mit 13 Migranten in Lampedusa anlegen zu können, haben sich bis dato nicht erfüllt. Die neue Ministerin Luciana Lamorgese kann sich keine vollständige politische Kehrtwende leisten.
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Die neue Innenministerin von Italien: Luciana Lamorgese.Foto: FILIPPO MONTEFORTE/AFP/Getty Images
Von 6. September 2019

Die Hoffnung der Besatzung des „Seenotretter“-Schiffes „Alan Kurdi“, der Regierungswechsel in Italien würde das Anlegen im Hafen von Lampedusa wieder zu einem alltäglichen Vorgang machen, hat sich vorerst nicht bewahrheitet. Wie die „Welt“ berichtet, ergab eine Anfrage der Crew des Schiffes an das neu besetzte Innenministerium, dass das Dekret „Sicurezza Biz“ nach wie vor gelte.

Mit diesem hatte Amtsvorgänger und Lega-Chef Matteo Salvini eine Einfahrt in italienische Gewässer ohne Genehmigung durch die italienischen Behörden mit Geldstrafen von bis zu einer Million Euro belegt.

Wie lange diese Situation andauern wird, ist unklar. Das neue Kabinett, das – wie selbst der sichtlich begeisterte „Welt“-Kommentator Dirk Schümer einräumt – eine Mehrheit beim Wähler „derzeit wohl nicht“ bekäme, wurde zwar gebildet, um Neuwahlen und einen Triumph Salvinis zu verhindern. Zudem war der Seitenwechsel der linkspopulistischen „Fünf Sterne“ die einzige Option, angesichts im freien Fall befindlicher Umfragewerte die eigene politische Haut zu retten.

Technokratin als Hoffnungsträgerin

Für die nunmehr unverhofft an die Regierung gelangten Sozialisten von der „Demokratischen Partei“ (PD) sind eine Brüssel-freundlichere Politik und ein Schulterschluss mit gleichgesinnten politischen Führern wie Emmanuel Macron oder Angela Merkel auch Herzensangelegenheiten. Allerdings will das neue Kabinett unter Premierminister Giuseppe Conte dem nunmehrigen Oppositionsführer Matteo Salvini keine allzu offensichtlichen Steilvorlagen liefern.

Eine Schlüsselrolle beim Versuch, der bereits erwartungsvoll auf die nächste Regierungskrise wartenden Rechtsopposition aus Lega, Fratelli d’Italia und Forza Italia den Wind aus den Segeln zu nehmen, kommt vor allem zwei neuen Ministern zu: Innenministerin Luciana Lamorgese und dem bis dato weithin als unbeschriebenes Blatt geltenden PD-Wirtschaftsminister Roberto Gualtieri.

Lamorgese soll dabei vor allem stilistisch einen Kontrapunkt zu ihrem Amtsvorgänger setzen. Auch die neue Linksregierung ist sich darüber im Klaren, dass eine Kehrtwende in der Migrationspolitik der Bevölkerung nicht zu vermitteln wäre – und jeder Schritt in Richtung Abkehr von Salvinis Kurs diesem die Möglichkeit einräumen würde, das Kabinett als bloßen Statthalter eines deutschen Europas unter dem Diktat Angela Merkels vorzuführen.

Die parteilose Nachfolgerin soll jedoch durch eine unspektakuläre, technokratische Amtsführung dem Thema an Emotionalität nehmen. Ihre Biografie soll ihr dabei zu Hilfe kommen. Immerhin hatte Salvini die restriktive Flüchtlingspolitik Italiens nicht erfunden – auch wenn er sie an entscheidenden Stellen ausgebaut und dies unmissverständlich mittels sozialer Medien in die Welt kommuniziert hat.

Lamorgese hatte Minniti beraten – dieser hatte erstmals Mittelmeerroute schließen wollen

Die aus Süditalien stammende Lamorgese ist bereits seit 1979 als Beamtin im Innenministerium tätig, zwischen 2013 und 2017 als Beraterin mehrerer Minister. Einer davon war Marco Minniti, der 2017 eine Reihe nicht vollständig gegenüber der Öffentlichkeit preisgegebener Vereinbarungen mit libyschen Autoritäten geschlossen hatte, die dazu führten, dass der Zustrom von Migranten über das Mittelmeer spürbar abebbte. Zuvor waren jährlich bis zu 200 000 Migranten nach Italien gelangt – und dem System von Dublin zufolge war das Aufnahmeland für die weitere Betreuung zuständig. Etwas, das die neue Regierung nun zugunsten einer europaweiten Verteilung ändern will, die vor allem osteuropäische Staaten bis dato ablehnen.

Einige dieser Vereinbarungen sind inoffizieller Natur – immerhin existiert in Libyen nach wie vor keine Zentralregierung, die eine tatsächliche Hoheitsgewalt über das gesamte Territorium des Landes ausüben würde. Stattdessen gibt es ein Tauziehen mehrerer unterschiedlicher selbsternannter Regierungen, von denen jede ein bestimmtes Territorium beherrscht und von unterschiedlichen ausländischen Staaten als legitim angesehen oder unterstützt wird.

Diese Situation erschwert es zum einen, vollwertige völkerrechtlich bindende Vereinbarungen mit libyschen Behörden abzuschließen und zum anderen, Garantien hinsichtlich der Behandlung von Migranten auszuhandeln, die, nachdem sie von libyschen Autoritäten aufgegriffen wurden, regelmäßig unter extremen Bedingungen in Lagern festgehalten werden oder gar in der Sklaverei landen. Die sogenannten „Seenotretter“ nehmen diese Situation zum Anlass, im Mittelmeer aufgegriffene Migranten nicht – wie es geboten wäre – in den nächstgelegenen Hafen zurückzuschaffen, sondern Kurs auf Europa zu nehmen.

Werden „Seenotretter“ weiter die Konfrontation suchen?

Inwieweit die „Seenotretter“ künftig die Konfrontation mit der italienischen Regierung suchen werden, ist ungewiss. Als Salvini das Innenministerium führte und sich in den sozialen Medien als Hardliner inszenierte, um seine Popularität im Land zu steigern, lag es im taktischen Interesse seiner Gegner, mittels einer Strategie der Spannung die europäische Politik und die liberalen Medien vor allem in Deutschland gegen Italien aufzubringen.

Die gleiche Strategie gegenüber Lamorgese und dem neuen Kabinett Conte zu fahren, könnte sich demgegenüber als unklug erweisen. Jedes Nachgeben gegenüber den NGOs und jede Lockerung der Migrationspolitik würde die inhomogene Koalition innenpolitisch massiv unter Druck setzen – und am Ende Neuwahlen provozieren, aus denen Salvini stärker denn je hervorgehen könnte.

Dieser erklärt unterdessen auf Facebook, sich jetzt schon auf eine baldige Regierungsübernahme vorzubereiten. In einem Video kündigt er an:

Wir werden bald zurückkommen und gewinnen. Ich bin zufrieden, sieben Ministerien aufgegeben zu haben, denn jetzt kann ich eine ernsthafte Mehrheit vorbereiten, die zehn Jahre halten wird.“

Was wird aus den versprochenen sozialen Wohltaten der „Fünf Sterne“?

Wirtschaftsminister Gualtieri wiederum hatte im Europäischen Parlament auf eine eher unspektakuläre Weise im Wirtschafts- und Währungsausschuss gewirkt. Als sein Trumpf gilt eine enge Vernetzung mit den Finanzministern der Europäischen Union und der EZB-Führung. Italiens neue Regierung steht vor der Verlegenheit, einerseits die Schulden abbauen zu müssen, um den Stabilitätskriterien zu genügen. Andererseits aber ist der Investitionsbedarf, insbesondere im Bereich der Infrastruktur, hoch und dazu kommen die Versprechungen sozialer Wohltaten, mit denen vor allem die „Fünf Sterne“ erfolgreich um Stimmen geworben hatten.

Die neue Linksregierung in Italien ist gegenüber der EU in Vorleistung gegangen, indem sie sich zusammengefunden hat, um Neuwahlen und einen Premierminister Matteo Salvini zu verhindern. Um die Chance zu wahren, dass dieses Ziel auch nach den nächsten Wahlen erreicht wird, die spätestens im Mai 2023 stattfinden müssen, wird nun Brüssel Italien Zugeständnisse machen müssen – ungeachtet eines kaum noch vorhandenen Spielraums in der Währungspolitik.

Salvini hat demgegenüber nun Zeit, in der Opposition seine Strategie zu optimieren.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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