Tabubruch Nächstenliebe: Medizinhistorikerin fordert Aufklärung statt Organspende-Werbung

Die Kampagnen zur Erhöhung der Organspenden haben eher „Werbecharakter“ statt aufzuklären, so Medizinhistorikerin Anna Bergmann. In Ihrem offenen Brief nimmt sie die Politiker und Krankenkassen in die Pflicht.
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Arzte haben die Pflicht, die Patienten aufzuklären.Foto: istock
Von 21. Juni 2019

Der Markt mit Organen boomt, nicht nur in China. Auch in Deutschland bereiten sich Krankenhäuser auf einen erhöhten Ansturm auf Transplantationsorgane vor. Spezielle Beauftragte sollen den Hirntod von Patienten feststellen und prüfen lassen, ob dessen Organe zum Spenden freigegeben sind. Medizinisches Personal wird darauf geschult, Angehörige zur Organspende des Sterbenden zu veranlassen. Spätestens bei der Aussage, „ihre Tochter war sicher ein sozialer Mensch. Sie hätte doch bestimmt mit ihren Organen Leben retten wollen“, schnappt die Organspendefalle zu. Doch was wirklich passiert, bleibt im Verborgenen.

Wenn wir die Gesellschaft über die Organspende aufklären, bekommen wir keine Organe mehr“, sagte der Transplantationsmediziner Prof. Rudolf Pichlmayr bereits 1987.

Und selbst über 30 Jahre später geht die Mehrzahl der Menschen tatsächlich immer noch fälschlicherweise davon aus, dass eine Organentnahme erst nach dem Herzstillstand stattfindet. Dabei ist gerade jetzt eine Aufklärung wichtiger denn je. Denn das Gesetz zur Widerspruchslösung ist in Vorbereitung. Am Mittwoch soll im Bundestag darüber abgestimmt werden, ob jeder Mensch in Deutschland automatisch als Organspender zwangsverpflichtet wird. Dies wäre dann der Fall, wenn er nicht ausdrücklich einer Organspende widersprochen hat.

Damit die Menschen überhaupt fähig sind, über die Frage Organspende wirklich zu entscheiden, sollten sie über alle Fakten der Organspende aufgeklärt werden, findet Prof. Dr. Anna Bergmann. Die Medizinhistorikerin von der Europauniversität Viadrina in Frankfurt an der Oder beschäftigt sich seit den 90er Jahren mit dem Thema Organtransplantationen. Sie führte dazu zahlreiche Interviews mit Organspenderfamilien, Organempfängern und Transplantationsmedizinern. In einem offenen Brief geht sie auf die Informationsdefizite in Deutschland ein. Sie schreibt:

Seit Jahrzehnten organisieren die privatrechtliche Stiftung Deutsche Stiftung Organspende (DSO) in Kooperation mit der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) Kampagnen zur Erhöhung der Organspenderzahlen. Durch ihren Werbecharakter werden sie einer Aufklärung der Bevölkerung über die Konsequenzen für das Sterben eines Organspenders nicht gerecht.“

Denn mit der Freigabe als Organspender verwirken die Patienten ihr Recht auf ein würdevolles Sterben. Viele Menschen hätten den Wunsch, eines natürlichen Todes zu sterben, so der Deutschem Hospiz- und PalliativVerband e.V. (DHPV). Viele Sterbende wünschen sich eine Begleitung während des Sterbeprozesses. Sie wünschen sich eine Hand, die ihre hält. Nach Angaben des DHPV werden jährlich rund 30.000 schwerstkranke und sterbende Menschen von Hospizdiensten betreut. Auf der Vereinswebsite heißt es:

Menschen jeden Lebensalters – das gilt für Kinder ebenso wie für alte Menschen, ihre Familien und die ihnen Nahestehenden – benötigen in dieser letzten Lebensphase die Zuwendung und Unterstützung von uns allen. Die Grundposition muss lauten, das Leben in seiner Gesamtheit und das Sterben als einen Teil des Lebens zu begreifen und ein Leben – und somit auch ein Sterben – in Würde zu ermöglichen.“

Tötung im Auftrag des Lebens

Wenn ich tot bin, bin ich tot, so sagen viele. Dann interessiert mich auch nicht mehr, was mit meinen Organen passiert. Das scheint plausibel. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn das Wort „tot“ wird im Sinne der Organspende völlig missverstanden. Das beginnt bereits mit irreführenden Formulierungen auf dem Organspendeausweis. Dort ist zu lesen:

Für den Fall, dass nach meinem Tod eine Spende von Organen/Geweben zur Transplantation in Frage kommt“

Was hier mit „nach meinem Tod“ gemeint ist, ist der von einem Arzt festgestellte „Hirntod“. Doch dieser hat nichts mit dem Bild einer blassen, erstarrten, kalten Leiche zu tun. Vielmehr vermitteln hirntote Menschen den Eindruck als würden sie schlafen. Ihr Herz schlägt, ihre Haut ist rosig.

Hirntote sind nicht tot“, so Robert Truog, renommierter Profressor für Bioehtik.

Hirntote werden während der Organentnahme getötet. Der eine – nämlich der hirntote, sterbende – Patient wird wegen seiner Organe im Rahmen der Organspende getötet, damit seine Organe in einen anderen – kranken oder ebenfalls sterbenden – Patienten verpflanzt werden können.

Dass Hirntote nicht tot sind, „ist medizinisch mittlerweile sehr vielfältig bewiesen. Aber trotzdem geht er (Truog) davon aus, dass hier dann eine Tötung gerechtfertigt wäre, um das Leben anderer Menschen zu retten“, so Anna Bergmann gegenüber „Deutschlandfunk“.

Die Spezialistin kritisiert, dass behandelnde Ärzte ihrem Aufklärungsgebot, das zu den Hauptpflichten eines Arztes gehört, im Falle der sehr speziellen medizinischen Behandlung eines potenziellen Organspenders nicht nachkommen.

Die Aufklärung darüber, dass der Organspender erst durch die Organentnahme stirbt, scheint nicht im Interesse der Deutschen Stiftung Organspende (DSO), die die Transplantationen verwaltet, zu sein. Auch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) kommt einer umfassenden Aufklärungspflicht nicht nach.

Umso wichtiger sei es, dass

  • die Medien in ihrer Verantwortung für die Meinungsbildung der Bevölkerung,
  • die Politik in ihrer Funktion der politischen Willensbildung sowie
  • die Krankenkassen mit dem gesetzlichen Auftrag, ihre Mitglieder über Organspende aufzuklären,

umfassend über das Sterben eines Menschen als Organspender sowie die damit verbundene besondere Situation der Hinterbliebenen in ihrer Trauerbewältigung zu informieren, so Bergmann.

Für eine differenzierte Aufklärung sollten nach Auffassung der Medizinerin vor allem auch die zahlreichen deutschen wissenschaftlichen Hirntodkritiker sowie von der Transplantationsmedizin unabhängigen Ärzte (Prof. Dr. Bauer, Prof. Dr. Höfling, Prof. Dr. Manzei, Prof. Dr. Sahm, Prof. Dr. in der Schmitten, Prof. Dr. Zieger u.v.m.) zu Wort kommen, ebenso die Initiative betroffener Eltern von Organspendern „Kritische Aufklärung Organspende“ (KAO).

Mitglieder der Krankenkassen und vor allem Menschen, die eine Patientenverfügung abfassen, wären nicht nur dankbar für diese Informationen über die Komplexität der „Organspende“. Vielmehr dürfen diese 10 Punkte der Öffentlichkeit angesichts des politischen Aufrufs, jeder Mensch habe sich mit diesem Thema zu befassen und sich zu entscheiden, nicht vorenthalten bleiben“, sagt die Expertin.

Aus diesem Grund verfasste Anna Bergmann einen offenen Leserbrief an die Krankenkassen Deutschlands und die gesundheitspolitischen Sprecher und Sprecherinnen der deutschen Parteien, damit dieser weitreichend verbreitet wird.

In ihrem Brief führt sie aus, welche zehn Fakten eine seriöse Aufklärung über Organspende darstellen. Diese geben wir nachstehend wieder:

„1. Die Gleichsetzung des Hirntodes mit dem Tod eines Menschen ist in der internationalen und deutschen Fachdiskussion umstritten. So haben auch Mitglieder des Deutschen Ethikrats in ihrer Stellungnahme zur Organspende von 2015 erklärt: Der „Hirntod [ist] keine hinreichende Bedingung für den Tod des Menschen.“

2. Erst eine Organspende macht eine besonders invasive Hirntoduntersuchung an einem lebendigen und daher über alle Schutzrechte verfügenden Patienten notwendig. Diese Diagnostik ist mit Körperverletzungen verbunden – etwa: heftige Schmerzreize (wie der zweifache Stich in den Trigenimusnerv), Eiswasserspülung der äußeren Gehörgänge oder Reizung des Atemzentrums (Apnoe-Test) und des Bronchialraums. Schließlich werden Patienten, die ein Hirnversagen erlitten haben, als „tote Personen“ mit einem „noch überlebenden, übrigen Körper“ definiert, so dass die Zeichen des Hirntodes im Rahmen dieser Diagnostik in nur einem Organ (Gehirn) zu lokalisieren und von denen des Lebens genau abzugrenzen sind.

3. Die intensivmedizinische Weiterbehandlung von Organspendern nach der Hirntodfeststellung wurde ursprünglich als „Spenderkonditionierung“ bezeichnet und dann durch den entmenschlichenden Begriff „organprotektive Therapie“ ersetzt. Diese Therapie darf für den fremdnützigen Zweck der Organgewinnung höchst invasive, intensivmedizinische Maßnahmen gegen einen Herz-Kreislaufzusammenbruch, im schlimmsten Fall eine Reanimation von Organspendern beinhalten, um den Herztod bis zur Organgewinnung zu verhindern.

4. Die große Operation einer (Multi-)Explantation wird anästhesiologisch betreut. Organspender erhalten Medikamente zur Unterdrückung von Bewegungen der Muskeln, aber auch Narkosen werden verabreicht. Sie können während der Entnahme mit Schwitzen, Hautrötungen, Anstieg von Blutdruck, Herzfrequenz, Zuckungen reagieren. Die sonst gesetzlich vorgeschriebene Einwilligungserklärung sowie die Prüfung der bei allen anderen medizinischen Eingriffen erforderliche Einwilligungsfähigkeit eines Patienten im Falle einer Organspende ab dem 16. Lebensjahr sind für die Hirntoddiagnostik, die Spenderkonditionierung und die Operation der Organentnahme nicht vorgeschrieben. Stattdessen genügt die Zustimmung durch Angehörige oder ein Kreuz auf einem Organspendeausweis. Die darauf stehende Formulierung „Für den Fall, dass nach meinem Tod eine Spende….“ täuscht hingegen vor, „hirntote“ Patienten seien bereits so tot, dass auch ihr Herz nicht mehr schlägt.

5. Die nach dem Herztod erfolgende Gewebeentnahme (z.B. Blutgefäße, Knorpel, Knochen) unterliegt nicht dem Handelsverbot, so dass die Gewebespende einen ganzen Geschäftszweig bedient.

6. Zu dem weit verbreiteten Unwissen über eine Organspende zählt vor allem der nicht auflösbare Widerspruch zwischen einer Patientenverfügung, wenn darin einerseits festgelegt ist, bei einer infausten Prognose die Therapie mit einer palliativmedizinischen Begleitung abzubrechen und andererseits ein positiv ausgefüllter Organspendeausweis vorliegt, der eine intensivmedizinische Weiterbehandlung bis zum Hirnversagen (Eintritt des Hirntodes) und auch nach der Hirntodfeststellung bis zur Organentnahme notwendig macht.

Die Intensivtherapie eines potenziellen Organspenders, bei dem ein Hirnversagen prognostizierbar, aber noch nicht eingetreten ist, darf seit der Novellierung des Transplantationsgesetzes (01. April 2019) für den Zweck der Gewinnung seiner Organe bis zum Hirnversagen verlängert werden. Der Eintritt des Hirntodes bzw. des Hirnversagens kann in dieser Situation als Alternative zu einem palliativmedizinisch und familiär betreuten Sterben zum Therapieziel werden, ohne dass über die Tragweite dieser Prozedur und dieses höchst komplizierten Widerspruchs eine persönliche Aufklärung stattgefunden hat.

7. Die Operation einer Organspende nimmt zum einen dem Patienten die Möglichkeit, von seinen Angehörigen bis zum letzten Atemzug begleitet zu werden, zum anderen verletzt sie den der Familie sonst zugesicherten Rechtsanspruch auf ihren Schutz als Trauernde. Normalerweise räumt das Pietätsgebot den Verwandten eine zu respektierende Tabuzone und das juristisch zugestandene Recht auf ein ehrerbietendes Totengedenken ein. Eine Organspende hingegen stellt durch die Verweigerung einer Sterbebgleitung mit einer in Ruhe erfolgenden Abschiednahme einen massiven Eingriff in den Trauerprozess der Hinterbliebenen dar und kann, wie Forschungen sowie Zeugnisse von Betroffenen belegen, bei den Angehörigen schwere Traumatisierungen hinterlassen.

8. In öffentlichen Darstellungen der Organspende wird häufig beschwiegen, dass Organempfänger lebenslang chronisch kranke Patienten bleiben und durch eine Transplantation nicht geheilt werden können. Sie sind bedroht von einer Organabstoßung, Infektionen und Krebs infolge der notwendigen, tagtäglichen Abschwächung ihrer natürlichen Immunabwehr. Vor allem im ersten Jahr nach der Transplantation sind sie einem besonders hohen Risiko ausgesetzt, an dieser Operation und der hoch dosierten Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems zu sterben (wie z.B. der neun Monate nach einer Lungentransplantation gerade verstorbene Niki Lauda).

So sollte es ein Bestandteil der Aufklärung sein, nicht nur Statistiken der Patienten auf den Wartelisten vor einer Organverpflanzung zu veröffentlichen, sondern auch die Sterberaten von Organempfängern nach einer Transplantation, differenziert nach Empfängern von transplantationsmedizinisch so kategorisierten „soliden Organen“ und „marginalen Organen“ (z.B. Raucher- und Wasserlungen, Fettlebern, mit Hepatitis-C infizierte Organe, Organe von Drogensüchtigen, Organe mit Konservierungsschäden) mit einer entsprechend geringeren Lebenserwartung.

9. Ebenso müsste die Problematik der veränderten Demografie des sogenannten „Spenderpools“ transparent gemacht werden. So war in Deutschland 2012 jeder dritte Organspender mindestens 65 Jahre oder älter (31,9 Prozent). Seit Ende der 1990er Jahre erleiden immer mehr Organspender ein Hirnversagen infolge eines Schlaganfalls oder einer Hirnblutung im höheren Alter und weniger jüngere Menschen aufgrund eines Unfalls. 2017 lag im Eurotransplant-Verbund der Anteil der Organspender im Alter von mindestens 65 Jahren (einschließlich Patienten im Greisenalter) bei 26,6 Prozent; die Quote von Organspendern, die 56 Jahre und älter waren, bei fast der Hälfte mit 48,9 Prozent.

10. Die Gefahr, ein Hirnversagen auf einer Intensivstation zu erleiden, war und bleibt so gering, dass die Zahl „hirntoter“ Organspender von vornherein begrenzt ist. Der von Transplantationsmedizinern weltweit beklagte chronische Organmangel ist der Tatsache geschuldet, dass überhaupt nur etwa 0,3 Prozent der Verstorbenen als hirntote Organspender in Betracht kommen, so dass die für höhere Organspenderzahlen als vorbildhaft genannten Länder wie Spanien, Holland, Belgien und Österreich das Hirntodkriterium aufgegeben und eine weitere Gruppe von Organspendern – die Non Heart Beating Donors – eingeführt haben. Um die Verwendung dieser Patienten als Organspender ethisch zu rechtfertigen, sprechen die Bioethiker Robert D. Truog (Harvard Center for Bioethics) und Franklin G. Miller (National Institutes of Health) von einem „justified killing“, einem gerechtfertigten Töten. Diese Form der Organgewinnung ist in Deutschland, wie auch von der Zentralen Ethikkommission bei der Bundesärztekammer erklärt, noch als Tötung verboten, aber in den genannten Ländern trägt sie zur Erhöhung der Organspenderzahlen bei.“

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