Große Kungelei im Vorfeld: Im Europaparlament eskaliert Streit um neuen Präsidenten

Der CSU-Politiker Manfred Weber warf den Fraktionschefs der Sozialdemokraten und Liberalen, Gianni Pittella und Guy Verhofstadt, am Dienstag öffentlich Wortbruch vor. Beide sind Kandidaten für den Spitzenposten im Europaparlament - und beide setzen sich damit über eine schriftliche Vereinbarung vom 24. Juni 2014 hinweg.
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Europaparlament in Straßburg.Foto: FREDERICK FLORIN/AFP/Getty Images
Epoch Times10. Januar 2017

Im Europaparlament ist der Streit um die Wahl des neuen Präsidenten eskaliert: Nach vergeblichen Einigungsversuchen platzte dem Vorsitzenden der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, nun der Kragen. Der CSU-Politiker warf den Fraktionschefs der Sozialdemokraten und Liberalen, Gianni Pittella und Guy Verhofstadt, am Dienstag öffentlich Wortbruch vor. Beide sind Kandidaten für den Spitzenposten im Europaparlament – und beide setzen sich damit über eine schriftliche Vereinbarung vom 24. Juni 2014 hinweg.

Sie sah vor, dass sich Christ- und Sozialdemokraten das Präsidentenamt für jeweils die Hälfte der Legislaturperiode teilen. Aufgrund dieser Vereinbarung wurde damals Martin Schulz (SPD) als Parlamentspräsident im Amt bestätigt – mit Unterstützung der EVP-Abgeordneten und der Liberalen. Im Gegenzug sagten die Sozialdemokraten zu, im Januar 2017 einem EVP-Kandidaten ihre Stimmen zu geben. Schulz zog seinerseits die Konsequenzen aus der Vereinbarung und verzichtete auf eine neue Kandidatur.

Sozialdemokraten wehren sich gegen „rechtes Monopol“

Dennoch kündigte Pittella im Dezember überraschend seine Kandidatur an. Der Italiener macht geltend, mit Jean-Claude Juncker und Donald Tusk stünden bereits zwei Konservative an der Spitze von EU-Kommission und Rat. Die Sozialdemokraten würden aber kein „rechtes Monopol“ über die EU-Institutionen hinnehmen, begründete er seine Kandidatur.

Somit könnte es am kommenden Dienstag in Straßburg zu einer Kampfabstimmung zwischen Pittella und dem Kandidaten der EVP-Fraktion Antonio Tajani kommen – und deren Ausgang scheint derzeit völlig offen. Keiner der beiden Anwärter kann auf eine absolute Mehrheit der Stimmen hoffen. Für diesen Fall sieht die Geschäftsordnung vor, dass derjenige gewählt wird, der im vierten Wahlgang das beste Ergebnis erzielt.

Hinter den Kulissen

Vom Zwist der beiden großen Fraktionen wollte der Liberale Verhofstadt profitieren, der über Wochen hinter den Kulissen für seine Kandidatur warb. Doch bei der Suche nach Unterstützung ist der Belgier wohl etwas zu weit gegangen: Er liebäugelte damit, ausgerechnet die 17 Abgeordneten der anti-europäischen italienischen Protestbewegung Fünf Sterne (M5S) in die liberale Fraktion aufzunehmen. Die Liberalen lehnten den Vorschlag mehrheitlich ab, und auch in anderen Fraktionen gab es harsche Kritik. Mit dieser Schlappe dürften Verhofstadts Chancen drastisch gesunken sein.

Der 58 Jahre alte Pittella bekräftigte am Dienstag erneut seinen Anspruch auf den Spitzenposten. Er wolle ein „Primus inter pares“ sein, ein „Garant für Pluralismus“ und zudem den Anteil der Frauen in der Parlamentsverwaltung stärken, kündigte er an. Pittella gilt allerdings nicht gerade als starke Führungspersönlichkeit. In der Fraktion habe er „viel Kritik einstecken müssen“, sagt ein Insider. Auch bereitet vielen Angeordneten Sorge, dass der Italiener die bisherige enge Zusammenarbeit mit der EVP aufkündigen will. Denn zahlreiche Gesetze konnten in der Vergangenheit nur verabschiedet werden, weil die beiden größten Fraktionen an einem Strang zogen.

Alte Rechnungen werden präsentiert

Hoffnung auf einen Sieg macht sich der Sozialdemokrat vor allem, weil sein christdemokratischer Landsmann Tajani im Parlament äußerst umstritten ist. Vor allem Linke und Grüne werfen dem Weggefährten des italienischen Ex-Regierungschefs Silvio Berlusconi vor, er habe als früherer Industriekommissar einseitig die Interessen der Wirtschaft vertreten. Außerdem werden dem 63-Jährigen Versäumnisse der EU-Kommission angesichts der gefälschten Abgastests bei VW und anderen Autobauern angekreidet.

Manche Parlamentarier befürchten, dass Tajani mangels einer absoluten Mehrheit seine Wahl letztlich den Stimmen der Rechten verdanken könnte. So warnt der SPD-Abgeordnete Jo Leinen: „Der Präsident des Europaparlaments darf sich nicht von der Unterstützung von Nationalisten und Europagegnern abhängig machen.“  (afp)

 

 



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