Italiens Abschied vom Bürgergeld: Was Deutschland daraus lernen kann

Bürgergeld Ade: Die Regierung unter Giorgia Meloni reagiert mit dem Abbau der Grundsicherung auf weitverbreitete Ansichten, dass das Bürgergeld ein Anreiz zur Passivität sei. Die Diskussionen in Italien werfen auch ein Licht auf die Lehren, die Deutschland aus dem abrupten Umschwenken des südeuropäischen Landes ziehen kann.
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Am Rande der 32. deutsch-italienischen Regierungskonsultationen: Bundeskanzler Olaf Scholz und Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni in Berlin am 22. November 2023.Foto: Odd Andersen/AFP via Getty Images
Von 8. April 2024

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Italien hat sich dafür entschieden, das erst 2019 eingeführte Bürgergeld wieder abzuschaffen. Diese Entscheidung kommt zu einem Zeitpunkt, an dem das südeuropäische Land einen Höchststand an Armut seit Beginn der Aufzeichnungen verzeichnet, obwohl das Land ein überdurchschnittliches Wirtschaftswachstum aufweist.

Mehr Arme denn je in Italien trotz Wirtschaftsaufschwung

In der vergangenen Woche meldete die italienische Statistikbehörde Istat, dass die Zahl der Menschen in absoluter Armut in Italien auf einen Höchstwert gestiegen war. In Zahlen: Für knapp zehn Prozent der Bevölkerung, das sind circa 5,75 Millionen Menschen, war kein „akzeptabler Lebensstandard“ mehr leistbar, schreibt „Welt“.

Dabei wächst Italiens Wirtschaft derzeit sogar überdurchschnittlich stark. Den Einbruch der Wirtschaft in der Corona-Zeit hat das südeuropäische Land schneller ausgeglichen als Deutschland. Die Touristenströme nach „Bella Italia“ bahnen sich wieder ihren Weg und beleben Wirtschaftszweige wie Hotellerie und Gastronomie. Zudem hat kein Land mehr Geld aus dem europäischen COVID-Wiederaufbaufonds bekommen, der jetzt noch einmal wegen Inflation und Krieg angepasst wurde.

Die EU-Kommission hat eine Erhöhung aus dem während der Corona-Pandemie geschaffenen Fonds von 191,5 auf 194,4 Milliarden Euro gebilligt. Italien hatte im August wegen der Inflation, kriegsbedingter Lieferkettenunterbrechungen und der Energiekrise eine Anpassung beantragt, auf die sich dann mit der EU-Kommission geeinigt wurde. Das wurde als ein Erfolg für Ministerpräsidentin Giorgia Meloni verbucht, zumal dadurch jetzt 21 Milliarden Euro für das Wachstum der italienischen Volkswirtschaft und zusätzlich 12 Milliarden Euro für Unternehmen zur Verfügung stehen.

Italienisches „Reddito“ analog Bürgergeld

Das italienische Bürgergeld, „Reddito di cittadinanza“, wurde 2019 eingeführt. Die Fünf-Sterne-Bewegung hatte ihr Wahlversprechen eines bedingungslosen Grundeinkommens eingehalten und das „Reddito“ als eine Art italienisches Hartz IV implementiert.

Allerdings geht es hier nicht um ein bedingungsloses Einkommen für jeden, vielmehr entspricht das „Reddito“ dem deutschen Bürgergeld, das bis Ende 2022 Arbeitslosengeld II hieß, auch Hartz IV genannt. Es ist eine Art Grundsicherung für Bürger und Haushalte mit niedrigstem oder gar keinem Einkommen.

Davor gab es in Italien keine derartigen staatlichen Stützen für Bedürftige. Bürger mussten auf persönliche Sicherheitsnetze zurückgreifen, staatliche gab es nicht.

Grundsicherung mit Einschränkungen

Das „Reddito“ hatte Schwächen, die in Italien zu Diskussionen führten. Denn trotz der Grundsicherung hatten viele, die zu den Ärmsten in Italien gehören, grundsätzlich überhaupt keinen Anspruch auf Bürgergeld: Denn nur wer zuvor zehn Jahre in Italien gelebt hatte und mindestens zwei Jahre ohne Unterbrechung, kam überhaupt für die Zahlungen infrage. Damit war eine große Gruppe Menschen von vornherein ausgeschlossen – die Migranten.

Auch an einer anderen großen Gruppe Bedürftiger ging das italienische Bürgergeld vorbei: an großen Familien. Denn im italienischen Bürgergeld sind die Zahlungen pro Familie gedeckelt. Für einzelne Personen war es großzügig bemessen, aber je größer der betroffene Haushalt ist, desto weniger Geld ist es im Vergleich pro Person durch die Deckelung.

Beispiel: Ein Alleinstehender bekommt 6.000 Euro Bürgergeld im Jahr, zwei oder mehr Erwachsene mit vier oder mehr Kindern aber nur 12.600 Euro. Somit hatten große Familien das Nachsehen.

Dolce Vita ganz ohne Arbeit?

Am meisten kritisiert wurde allerdings an der Konzeption des italienischen Bürgergeldes, dass es seine Empfänger wenig motiviere, sich eine Arbeit zu suchen. Denn sobald Empfänger offiziell Geld verdient haben, wurde automatisch ein großer Teil des Bürgergeldes einbehalten. Der Abstand zwischen dem Bürgergeld und den Löhnen in vielen Bereichen war oftmals zu gering. Kurz: Arbeit lohne sich nicht.

In Zahlen: Vor der Abschaffung der Leistung bekamen in Italien Bürgergeldempfänger 870 Euro. In Relation zum Verdienst der Italiener:

Insgesamt 18 Prozent und im vergleichsweise armen Süden sogar fast 28 Prozent der Arbeitnehmer verdienen weniger als 780 Euro pro Monat mit ihrer Arbeit – betroffen sind vor allem Berufstätige in Service- und anderen schlecht bezahlten Berufen. Das zeigen Daten der europäischen Statistikbehörde Eurostat.

„Das Bürgergeld hat Empfänger häufig davon abgehalten, eine formale Beschäftigung zu suchen“, sagt OECD-Experte Scarpetta gegenüber „Welt“. „Viele dürften schwarzgearbeitet haben.“

Wahlkampfthema Grundsicherung: Wer kann, soll arbeiten

All diese Schwächen nahm Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni zum Anlass, das Bürgergeld wieder abzubauen.

Das Bürgergeld war für Meloni im Wahlkampf 2022 ein großes Thema. „Das Bürgereinkommen ist falsch“, sagte sie im November des Wahljahres, „Ein gerechter Staat sollte diejenigen, die arbeiten können, nicht auf eine Stufe stellen mit wirklich Bedürftigen.“ Die, die arbeiten können, sollten arbeiten oder ausgebildet werden, begründete die Ministerpräsidentin die Abschaffung.

In dem Zuge wurde seit vergangenem Sommer vielen das Bürgergeld per SMS gestrichen – was auch zu Protesten im Land führte.

Das schrittweise abgeschaffte Bürgergeld wurde durch eine neue Leistung namens „Inklusionshilfe“ ersetzt. Tausende Haushalte verloren plötzlich ihre Grundsicherung, um genau zu sein 169.000. Nur noch Haushalte mit Kindern, Behinderten oder Senioren bekamen Unterstützung.

Kurz: Melonis Regierung hat entschieden, allen Menschen, die arbeitsfähig sind, die Grundsicherung zu streichen.

Die Umstellung wurde in zwei großen Schritten im vergangenen Sommer und im Januar umgesetzt. Seitdem gibt es nur noch Geld für Haushalte, in denen Minderjährige, Behinderte oder alte Menschen leben. Aber auch diese Regelung gilt nur solange, bis ein Mitglied des Haushalts ein Jobangebot ablehnt.

Arbeitsfähige Personen bekommen Unterstützung in Höhe von 350 Euro im Monat, wenn sie sich in einer Weiterbildung oder Qualifizierungsmaßnahme befinden. Dieses „Qualifizierungsgeld“ wird für ein Jahr gezahlt.

Bürgergeld auch in Deutschland kontrovers diskutiert

Auch in Deutschland ist das Thema Bürgergeld seit seiner Einführung im Januar 2023 umstritten.

Bürgergeld erhält in Deutschland jeder, der erwerbsfähig ist und seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen decken kann.

Von den knapp 5,5 Millionen Bürgergeldbeziehern sind fast 2,9 Millionen deutsche Staatsbürger, umgerechnet also mit 52,7 Prozent etwas mehr als die Hälfte. Die restlichen 47,3 Prozent sind keine deutschen Staatsbürger. Die meisten stammen aus der Ukraine, insgesamt 703.933 ukrainische Staatsbürger beziehen Bürgergeld, gefolgt von Syrern, von ihnen beziehen 501.806 Menschen die Sozialhilfe. Danach folgen Türken mit 198.666 Bürgergeldbeziehern.

Arbeitgeberpräsident Dulger will strengere Regeln

Inzwischen verlangen auch die Arbeitgeber strengere Regeln beim Bürgergeld. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger forderte kürzlich: „Wer noch nie in Deutschland gearbeitet hat, darf nicht genau so viel Geld bekommen wie jemand, der 15 Jahre lang hier gearbeitet und in die Sozialversicherung eingezahlt hat“, sagte der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) der „Welt am Sonntag“.

Für ihn ist die Bezahlkarte ein erster Schritt in die richtige Richtung. „Wir brauchen Zuwanderung in unsere Erwerbssysteme, nicht in unsere Sozialsysteme“, sagte der BDA-Chef: „Wir haben insgesamt fast vier Millionen Menschen im Bürgergeldsystem, die arbeiten können – das ist zu hoch.“

CDU will Bürgergeld radikal umbauen

Die Union hat angekündigt, das von der Ampel 2023 als Hartz-IV-Nachfolger eingeführte Bürgergeld nach der Bundestagswahl 2025 mit einem eigenen Konzept abzulösen. Im Falle eines Sieges bei der kommenden Bundestagswahl soll das Bürgergeld radikal umgebaut werden und verbindlichere Anforderungen und Sanktionen für Bürgergeldbezieher eingeführt werden, kündigte Generalsekretär Carsten Linnemann an: „Wir werden ein gerechtes System schaffen, indem wir vor allen Dingen für die Menschen da sind, die Hilfe bedürfen.“ 

Seit Januar 2024 bekommen Bürgergeldempfänger im Schnitt rund zwölf Prozent mehr Geld als im Vorjahr. Für Alleinstehende bedeutet das ein Plus von 61 Euro auf insgesamt 563 Euro im Monat. Im Januar 2024 ist der Mindestlohn in Deutschland von 12 auf 12,41 Euro pro Stunde gestiegen, das sind 4,42 Prozent.

Es mehrt sich die Kritik, dass sich angesichts des Bürgergeldes „Arbeit nicht mehr lohnen würde“.



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