Realitätsschock in Brüssel: EU weicht nach einem Jahr Verbotspläne für Ewigkeitschemikalien auf

Erst im Vorjahr hatte die EU angekündigt, ein Verbot von PFAS durchzusetzen. Die sogenannten Ewigkeitschemikalien können auch Eingang in Trinkwasser und Lebensmittel finden und potenziell die Gesundheit gefährden. Nun rückt man von den Plänen ab – aus Angst vor Deindustrialisierung.
Titelbild
Wasserprobe. Symbolbild.Foto: iStock
Von 9. Mai 2024

Eine „Entgiftung des Kontinents“ strebte die EU-Kommission noch im Vorjahr an, als sie ein umfassendes Verbot von PFAS ankündigte. Nun hat Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Schreiben an Abgeordnete der Europäischen Volkspartei (EVP) eingeräumt, dass das Vorhaben in dieser Form nicht durchsetzbar sein wird. Sie fürchtet um die „strategische Autonomie“ Europas, sollte es nicht weitreichende Ausnahmeregelungen geben. Bereits zuvor waren aus der Industrie erhebliche Proteste gekommen.

Europaweit 2.000 Hotspots für Gesundheitsgefahren durch Belastung mit PFAS?

Die Gruppe der Per- und Polyfluoralkylsubstanzen, so der vollständige Name, umfasst mehr als 10.000 Stoffe. Diese sind für die Herstellung einer Vielzahl an Gegenständen des täglichen Lebens erforderlich, die private Verbraucher, aber auch Industrie und öffentliche Versorger nutzen. PFAS finden sich in Bratpfannen ebenso wie in Windrädern, Elektroautos, Allwetterjacken oder Verpackungen. Sie sind aus dem Alltag nicht mehr wegzudenken.

Als sogenannte Ewigkeitschemikalien kommen sie jedoch in der Natur nicht vor und bleiben dort über 1.000 Jahre und mehr erhalten. Die „Tagesschau“ schrieb sogar von einem „Jahrhundertgift“ und verwies auf eine Untersuchung des „Forever Pollution Projects“.

Dieses habe in ganz Europa mehr als 17.000 Orte „mit relevanter PFAS-Verschmutzung“ identifiziert, darunter „gut 2.000 Hotspots mit erheblichen Gefahren für die menschliche Gesundheit“. Allein in Deutschland seien 1.500 Orte belastet und 300 sogar in erheblicher Weise verschmutzt. Ein PFAS-Monitoring auf kommunaler Ebene finde in vielen Städten, Gemeinden und Landkreisen gar nicht erst statt.

Potenziell schädliche Wirkung – aber aus täglichem Leben nicht wegzudenken

In zu hoher Menge aufgenommen stehen PFAS im Verdacht, Gesundheitsschäden bis zu Krebs und Diabetes hervorzurufen oder die Fruchtbarkeit beeinträchtigen zu können. Bundesumweltministerin Steffi Lemke stellte im Februar 2023 die Überprüfung der gesamten Stoffgruppe und ein Verbot der gefährlichen Stoffe in Aussicht.

Die Kosten für eine Sanierung besonders stark betroffener Gebiete würden einer Schätzung des Nordischen Ministerrates in ganz Europa bis zu 17 Milliarden US-Dollar betragen. Dazu kämen die Kosten für die Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit.

Die EU-Kommission hatte ursprünglich angekündigt, künftig nur noch jene Stoffe erlauben zu wollen, auf die „unsere Gesellschaft absolut angewiesen“ sei. Das Vorhaben galt schon bald als ein Kernanliegen des Green Deal.

Verbände halten umfassendes Verbot für nicht vorstellbar

Die ohnehin durch hohe Energiepreise und umfassende Umweltvorgaben belastete Industrie hielt ein so umfassendes Verbot von vornherein für unrealistisch. Gegenüber der „Welt“ spricht der Hauptgeschäftsführer des Maschinenbauverbandes VDMA, Thilo Brodtmann, auch heute von einer „existenziellen Gefahr“ für zahlreiche Unternehmen. Er betont:

„Ein vollumfängliches Verbot aller PFAS-Stoffe ist unvorstellbar.“

Er kritisiert die Unsicherheit, die mit der Debatte in der Industrie eingekehrt sei. Man solle die Stoffe gruppieren und jene, von denen kein Risiko ausgehe, bedürften auch keiner Regulierung. Für alle anderen müssten klare Informationen und ein Zeitplan kommen.

Auch in der Arzneimittelproduktion seien PFAS unverzichtbar. Dies betrifft unter anderem auch die Herstellung von Lipiden, wie sie zur Herstellung neuartiger mRNA-Impfstoffe erforderlich sind.

EU räumt ein: Debatte über Beschränkungen bei PFAS kann Investitionen gefährden

In der EU-Kommission hatte man die ursprünglichen weitreichenden Verbotspläne in Folge weiter modifiziert. Bald war die Rede davon, Ausnahmen für „Substanzen mit wirtschaftlicher Bedeutung“ in Erwägung zu ziehen. Mittlerweile klingen im Schreiben von der Leyens „weitreichende Sonderregelungen“ an.

Die Kommission, so die Politikerin, sei sich „bewusst, dass eine mögliche Beschränkung von PFAS Unsicherheit für Unternehmen schafft und das Risiko birgt, dass Investitionen in Schlüsseltechnologien unterbleiben“. Solange „keine tragfähigen Alternativen zur Verfügung stehen“, solle es Ausnahmeregelungen geben. Gelten würden diese „für Verwendungen […], die für den digitalen und ökologischen Wandel und die strategische Autonomie der EU erforderlich sind“.

Mit dem Rückzieher will die EU offenbar einen noch größeren Wettbewerbsnachteil gegenüber den USA oder China verhindern. Die belastenden Bedingungen des Standorts Europa und die Anreize des Inflation Reduction Act (IRA) der Amerikaner haben bereits jetzt zahlreiche Industrieunternehmen zur Abwanderung veranlasst. Eine Ausdünnung der chemischen Industrie würde zudem die Abhängigkeit der EU von China weiter verstärken.

Maßnahmen zur Risikominimierung sind möglich

Es gibt Möglichkeiten, den Kontakt mit PFAS zu vermeiden, und es gibt vielfach auch Alternativen – etwa Pfannen aus Gusseisen statt Teflon oder Naturkosmetik statt industrieller Produkte. Gleichzeitig ist es schwierig, einen solchen Kontakt auszuschließen, da es keine Kennzeichnungspflicht gibt und es häufig gar nicht eindeutig erkennbar ist, wo die Stoffe vorkommen.

Die genauen Auswirkungen von PFAS sind jedoch nicht im Detail erforscht. Eine Empfehlung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) lautet, eine Wochendosis von 4,4 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht für die Summe der vier im menschlichen Blut überwiegenden PFAS nicht zu überschreiten. Dies zu kontrollieren, ist jedoch kaum möglich.

Immerhin überprüfen Wasserzweckverbände regelmäßig die Qualität des Trinkwassers, einschließlich der PFAS-Konzentrationen. Einige verwenden Aktivkohlefilter, um die Stoffe aus dem Wasser zu entfernen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion