„Abwehrschirm“ soll bis 2024 stehen – Kritiker sehen „Fass ohne Boden“

Der sogenannte Abwehrschirm soll die Energiepreise vorerst bis 2024 drosseln. Nicht alle sind jedoch vom 200 Milliarden Euro teuren „Doppelwumms“ überzeugt.
Wirtschaftsminister Robert Habeck, Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner stellen Pläne der Bundesregierung zur Energieversorgung und Preisbegrenzung für Gas vor.
Wirtschaftsminister Robert Habeck, Kanzler Olaf Scholz und Finanzminister Christian Lindner stellen Pläne der Bundesregierung zur Energieversorgung und Preisbegrenzung für Gas vor.Foto: Kay Nietfeld/dpa
Von 30. September 2022

Ob „Abwehrschirm“ oder „Doppelwumms“: Namen gibt es für das geplante 200-Milliarden-Paket der Bundesregierung zur Senkung der Energiekosten schon zuhauf. Zuletzt hat auch die Union Bundeskanzler Olaf Scholz grundsätzliche Unterstützung für das Vorhaben signalisiert.

Dass die umstrittene Gasumlage vom Tisch ist, sorgt auf breiter Ebene für Erleichterung. Dennoch stößt das angekündigte Sondervermögen, das immerhin über neue Kredite finanziert werden soll, nicht überall auf Gegenliebe.

CDU-Chef Friedrich Merz zeigte sich am Donnerstag (29. September) in Berlin von der Zahl 200 Milliarden „einigermaßen überrascht“. Es sei aus dem Regierungsbeschluss nicht ersichtlich, auf welcher Kalkulationsgrundlage diese beruhe. Außerdem sei „völlig offen“, wie die geplanten Gas- und Strompreisbremsen gestaltet werden sollen. Merz nahm auch Anstoß an der für ihn absehbaren Bildung neuer „Schattenhaushalte“.

Scholz spricht von akutem Handlungsbedarf

Einigen Bedenken aus Forschung und Verbänden ist die Bundesregierung bereits im Vorfeld entgegengetreten. Dort wurden Befürchtungen laut, eine Subventionierung des Gaspreises würde Sparanreize beseitigen. Dabei wäre es vonnöten, den Gasverbrauch im kommenden Winter um 20 Prozent zu drosseln, um Versorgungsengpässe zu vermeiden. Diese Position hatte zu Beginn auch Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck vertreten.

Kanzler Scholz machte demgegenüber im ZDF-„heute journal“ deutlich, dass ein Aussitzen der Situation keine Option sei. „Das ist eine akute Krise, da muss man akut handeln“, sagte er. Die Preise seien zu hoch und müssten runter. Er rechne damit, dass die Entlastungen für die Bevölkerung noch in diesem Jahr spürbar würden. Da man „gut gewirtschaftet“ habe, sei auch Spielraum für Kreditaufnahmen zur Bewältigung der Krise.

Die nun unternommenen Schritte seien sehr weitreichend, „damit wir lange durchhalten können und damit die Bürgerinnen und Bürger sicher sein können, dass so lange durch Knappheit die Preise zu hoch sind, wir sie auch runtersubventionieren“, sagte Scholz. Die vorgesehenen Mittel sollen laut Scholz im laufenden, im kommenden und im Jahr 2024 eingesetzt werden.

Auch an der Mehrwertsteuersenkung von 19 auf sieben Prozent für Gas will die Bundesregierung festhalten. Diese war ursprünglich als Kompensation für die Gasumlage gedacht. Die Steuersenkung soll künftig außerdem noch für Fernwärme gelten.

Habeck: Sparanreize bleiben erhalten

Mittlerweile widerspricht auch Minister Habeck selbst der Einschätzung, mit der Gaspreisbremse würden Bürger zum sorglosen Umgang mit Energie ermuntert. Es gäbe zwar noch keine Details, aber die grundlegende Richtung der Maßnahme stehe fest. Die Gaspreisbremse werde keinen unbegrenzten Verbrauch abdecken. Im RTL-„Nachtjournal“ erklärte Habeck:

Was naheliegend ist, ist dass man einen Grundbedarf subventioniert, die Spitze des Verbrauchs allerdings am Markt bezahlt werden muss. Also je mehr Gas man verbraucht, umso teurer wird es.“

Eine mögliche Benchmark für den Grundbedarf könne entweder der entsprechende Gasverbrauch des vergangenen Jahres oder ein prozentualer Anteil davon sein, der dann billiger sei. Über den subventionierten Anteil hinaus gelte der Marktpreis, und dies schaffe einen Anreiz, Gas zu sparen.

Unterstützung erhält die Regierung von der Wirtschaftsweisen Veronika Grimm. Sie äußerte im ZDF, es gehe darum, dass sich „die Gaspreise verfünf-, versechs-, versiebenfachen, mit denen die Haushalte konfrontiert sind“. Es gehe bei dem Hilfspaket nicht darum, „das Volk politisch ruhig zu halten“, sondern um eine Entlastung der Bürgerinnen und Bürger. Denn es sei abzusehen, dass die Energiekrise nicht so schnell vorbei sein werde.

Der stellvertretende Unionsfraktionsvorsitzende Jens Spahn hat der Bundesregierung für das bis zu 200 Milliarden schwere geplante Hilfspaket Unterstützung signalisiert. Man unterstütze „das Ziel der Ampel, die Preise zu senken und Versorgung zu sichern“. Allerdings blieben noch konkrete Fragen zur Umsetzung offen, erklärte Spahn.

Steuerzahlerbund: Enorme Kosten auf den Bund und damit die Steuerzahler

Kritik am sogenannten Abwehrschirm gab es hingegen vom Bund der Steuerzahler Deutschland. „Mit dieser vermeintlichen Lösung kommen enorme Kosten auf den Bund und damit die Steuerzahler zu. Dabei sind viele wichtige Details ungeklärt, auch die Wirkung bleibt fraglich“, sagte Präsident Reiner Holznagel den Zeitungen der Funke Mediengruppe.

Während künftige Generationen über den Wirtschaftsstabilisierungsfonds die nunmehrigen Maßnahmen finanzierten, bliebe ein „radikales Sparprogramm“ im Kernhaushalt aus. Der Fonds entstand in der Zeit der Corona-Maßnahmen und verfolgte den Zweck, bei Bedarf größere Unternehmen zu retten.

Auch der Präsident des Bundesrechnungshofs, Kay Scheller, kritisierte die Art der Finanzierung des Pakets. „Sondervermögen schaffen Intransparenz. Sie vernebeln Haushaltswahrheit und -klarheit“, sagte er dem Nachrichtenportal „Politico“. Sondervermögen seien meist mit Krediten finanzierte Ausgabeermächtigungen. „Das heißt, wenn Geld aus Sondervermögen abgerufen wird, dann muss sich der Staat verschulden. Letztlich sind Sondervermögen, auch wenn sie nicht so heißen, Bundesschulden.“

Wirtschaftsverbände sehen „Abwehrschirm“ als Schritt in die richtige Richtung

Unterstützung für den angekündigten „Abwehrschirm“ kommt hingegen von Wirtschaftsverbänden. Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) spricht von einem „wichtigen Signal, um mit den enormen wirtschaftlichen Belastungen umzugehen“. Die hohen Gas- und Strompreise seien „für viele Unternehmen ein existenzielles Problem“, äußerte DIHK-Präsident Peter Adrian am Donnerstag in der „Bild“-Zeitung. Gleichzeitig mahnte Adrian die Bundesregierung allerdings auch, „parallel die Anstrengungen zur Steigerung des Energieangebots intensiv“ fortzusetzen.

Der Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie, Wolfgang Große Entrup, sprach von einem „wichtigen Befreiungsschlag“. Allerdings forderte auch er „Tempo bei den Details, denn immer mehr Unternehmen stehen mit dem Rücken zur Wand“.

Der Maschinenbauverband VDMA mahnte, die zur Ausgestaltung der Maßnahmen eingesetzte Gaskommission solle auch die Interessen des industriellen Mittelstands berücksichtigen. Hauptgeschäftsführer Thilo Brodtmann erklärte dazu:

Die Ausgestaltung der Preisbremsen muss so erfolgen, dass die Energieversorger dem industriellen Mittelstand wieder verlässlich Verträge anbieten können. […] Der von Bundeskanzler Olaf Scholz versprochene ‚Doppel-Wumms‘ kann nur wirken, wenn Industrie und Verbraucher davon gleichermaßen breit erfasst werden.“

Bundesnetzagentur warnt vor Mehrverbrauch beim Gas

Derweil warnt der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, in der „Welt“ vor einer Verschärfung der Gasmangellage im kommenden Winter. In diesem Zusammenhang verweist er auf den Gasverbrauch der Privathaushalte in der ungewöhnlich kalten vergangenen Woche.

„Der Gasverbrauch von Haushalten und Gewerbe in der letzten Woche lag deutlich über dem durchschnittlichen Verbrauch der Vorjahre“, erklärte Müller. „Die Zahlen dieser Woche sind damit sehr ernüchternd.“

Zwar sei dies nur eine Momentaufnahme. Dennoch müssten auch bei weiter sinkenden Temperaturen Einsparungen stattfinden. Statt der anvisierten 20 Prozent weniger sei der Verbrauch in der vergangenen Kältewoche um 14,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen.

Kritiker vermissen angebotsseitige Schritte im „Abwehrschirm“

Oliver Stock gibt im „Focus“ seiner Befürchtung Ausdruck, dass die Gaspreisbremse zum „Fass ohne Boden“ werden könnte. Die Maßnahmen seien ein „unverantwortlicher Griff nach den Steuern der Bürger“. Profitieren würden die Konzerne.

Vor allem sei nicht erkennbar, dass den nunmehrigen Ambitionen, Energiepreise teuer zu subventionieren, auch angebotsseitige Maßnahmen gegenüberstünden. Um eine dauerhafte Absicherung einer Versorgung mit bezahlbarer Energie sicherzustellen, reichten „ein paar Gas-Shoppingtouren“ nicht aus.

Entscheidende Schritte wären eine Rückkehr zur Kernenergie und die Forschung nach deren Weiterentwicklung. Die Kohleförderung müsste optimiert werden, und eigene Gasvorkommen seien zu erschließen – „sei es durch Bohren oder Fracking“. Der Ausbau der Erneuerbaren sei ebenfalls geboten. Vor allem aber müsse der kontinuierliche Preistreiber CO2-Steuer zurückgenommen werden.

In sozialen Medien ist der Tenor ähnlich. Zwar äußern sich einige Nutzer erleichtert darüber, dass die Gasumlage Geschichte ist und die Regierung die Höhe der Energiepreise als existenzbedrohend begreift. Dennoch könne das Sondervermögen nicht die gravierenden energiepolitischen Fehlentscheidung vergangener Jahre umkehren. Eine Nutzerin gibt beispielsweise auf Facebook zu bedenken:

Mit den 200 Mrd. für den #Doppelwumms könnte man etwa zehn Kernkraftwerke mit insgesamt 32.000 MW bauen. Genug Strom für 80 Millionen Haushalte. Versorgungssicherheit für Jahrzehnte.“

(Mit Material von dts und dpa)



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