Erdoğan-Anhänger präsentieren neues Projekt: Migrantenpartei DAVA will ins EU-Parlament

Mit der Partei Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch (DAVA) will der Solinger Bürgerrechtsanwalt Fatih Zingal ins EU-Parlament einziehen. Das politische Projekt dürfte vor allem in der türkischen Einwanderercommunity Anklang finden. Die Erfolgsaussichten sind jedoch unsicher.
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Mit DAVA will eine neue Migrantenpartei vor allem muslimische Wähler ansprechen.Foto: Jens Kalaene/dpa
Von 19. Januar 2024

Wenn am 9. Juni auch in Deutschland die Abgeordneten zum EU-Parlament gewählt werden, gilt keine Fünf-Prozent-Hürde. Unter günstigen Umständen könnte ein Ergebnis von 0,6 bis 0,8 Prozent ausreichen, um ein Mandat in Straßburg zu gewinnen. Eine reelle Chance darauf rechnet sich auch der Solinger Bürgerrechtsanwalt Fatih Zingal aus. Er will als Spitzenkandidat der Demokratischen Allianz für Vielfalt und Aufbruch (DAVA) ins Rennen gehen.

Ähnliches Zielpublikum wie Team Todenhöfer bei der Bundestagswahl

Zwar erleichtert das Fehlen der Sperrklausel den Kleinstparteien den Einzug ins Parlament. Doch im Ergebnis ist dies dennoch nicht zwingend. Immerhin lässt die Aussicht auf ein „billiges“ Mandat auch die Zahl der kandidierenden Listen in die Höhe schnellen.

Allerdings hat bei der Bundestagswahl 2021 das Team Todenhöfer 0,5 Prozent der Zweitstimmen erreicht. Der frühere Burda-Manager und CDU-Politiker hatte speziell Deutsche mit Migrationshintergrund und Angehörige der muslimischen Community als Zielpublikum definiert. Zahlreiche Kandidaten auf seiner Liste stammten auch aus dieser. Fußballstar Mesut Özil gab sogar eine Wahlempfehlung für ihn ab.

Die DAVA setzt augenscheinlich auf ein ähnliches Zielpublikum wie Todenhöfer – und müsste stimmenmäßig für ein EU-Mandat nicht mehr allzu viel draufsatteln. Dass sich in den Niederlanden die Migrantenpartei DENK mittlerweile fest im Parlament verankern konnte, dürfte einen weiteren Motivationsschub bewirken. In Schweden konnte die im muslimischen Einwanderermilieu verankerte Partei Nyans in größeren Städten zum Teil ebenfalls Achtungserfolge erzielen.

DAVA will Stimme der Marginalisierten sein

Fatih Zingal ist vor allem in der türkischen Einwanderercommunity vielen ein Begriff. Als Rechtsanwalt ist es ihm mehrfach gelungen, „kleinen Leuten“ Recht zu verschaffen – etwa wegen des Kopftuchs diskriminierter Frauen oder Eltern, denen das Jugendamt das Sorgerecht streitig machte. Auf seinem Facebook-Profil veröffentlicht er unter anderem ein Bild, das ihn mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan zeigt.

Auf Facebook veröffentlichte er eine Erklärung, in sich der die DAVA „als neue politische Heimat für viele Bürger, die von den etablierten Parteien nicht repräsentiert werden“, beschreibt. Ihr Ziel sei es, „mit aller Deutlichkeit Ungleichbehandlung und gesamtgesellschaftliche Schieflagen als solche zu benennen“.

In besonderem Maße gelte das für Menschen mit ausländischen Wurzeln, die in unterschiedlichsten Lebensbereichen erlebten, „dass sie nicht als vollwertige Mitglieder von der europäischen Gesellschaft angenommen werden“.

Zudem wolle man den „sozialpolitischen Offenbarungseid“ beim Thema Kinder- und Altersarmut stärker bekämpfen. DAVA stehe auch für eine „pragmatische sowie ideologiefreie Flüchtlingspolitik“. Mit einem klaren Bekenntnis zu Vielfalt und Toleranz positioniere man sich „vehement gegen Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, antimuslimischen Rassismus und Antisemitismus“.

Muslimische Wähler in Deutschland politisch vielfach heimatlos

Das konservative muslimische Einwanderermilieu umfasst mehrere hunderttausend stimmberechtigte Bürger – und eine authentische politische Vertretung ist für die meisten von ihnen nicht in Sicht.

Ursprünglich war die SPD die politische Heimat für türkische Einwanderer, und das galt sowohl für eher säkulare als auch für religiöse Wähler. Noch bis in die Ära Schröder blieb diese Bindung aufrecht, zumal dieser auf EU-Ebene die treibende Kraft für die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei war.

Diese Bindung löste sich jedoch auf, nicht zuletzt seit der Debatte um Ex-Bundesbankvorstand Thilo Sarrazin. Als Vorsitzenden stellt DAVA den unter anderem für „TRT Deutsch“ tätigen Journalisten Mehmet Teyfik Özcan vor. Dieser hatte erst vor wenigen Tagen die SPD verlassen.

In der Ära Merkel wanderten muslimische Wähler mit türkischer Einwanderungsgeschichte scharenweise zur CDU. Diese wiederum schliff ihren traditionellen Anti-Migrationskurs teilweise ab. Dauerhaft blieb diese Verbindung jedoch ebenfalls nicht. Die Union trug den Bundestagsbeschluss zum „Armenier-Genozid“ 1915/16 mit, was für die meisten Türken einen Affront darstellt.

AfD-Spitzenkandidat zur EU-Wahl warb um türkische Stimmen

Zudem äußerten sich auch Politikerinnen wie Serap Güler oder Cemile Giousouf, die als mögliche Identifikationsfiguren für die Community gesehen wurden, kritisch über den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Für viele Deutsch-Türken ist respektloses Gebaren gegenüber dem Staatsoberhaupt der Familienheimat allerdings eine rote Linie.

Die vehemente Erdoğan-Kritik und Einmischungen in die türkische Innenpolitik machen auch die Grünen für eine erhebliche Zahl religiöser Deutsch-Türken unwählbar. Bei der Linkspartei kommt eine Nähe zahlreicher Funktionäre zur terroristischen PKK hinzu.

Viele konservativ-muslimische und türkischstämmige Wähler wären unter Umständen bereit, die AfD zu wählen. Berührungspunkte wären die kritische Einstellung zu Gender- und LGBTQ*-Politik, zu „werteorientierter“ Außenpolitik, hohen Energiepreisen und dogmatischer Klimapolitik. EU-Spitzenkandidat Maximilian Krah hat in einem Video auch um türkischstämmige Wähler geworben. Allerdings ist die Sarrazin- und „Islamkritik“-Fangemeinde zu groß und die Partei hat zu lange „Kopftuchmädchen“ zum Feindbild erklärt, um eine realistische Chance auf Annäherung zu haben.

Bislang wenig Wirkung von DAVA über türkische Einwanderercommunity hinaus

Nicht als politische Heimat infrage kommen dürfte auch die Wagenknecht-Partei BSW. Zu den engsten Vertrauten der Gründerin gehört unter anderem die Abgeordnete Sevim Dağdelen, die mittlerweile auch von der Linkspartei dorthin gewechselt ist. Sie hatte unter anderem eine Aufhebung des PKK-Verbots gefordert. Außerdem gehört auch sie zu den vehementesten Erdoğan-Kritikerinnen im Bundestag.

Vor diesem Hintergrund erscheint es als konsequent, dass es Identifikationsfiguren der türkischen Community wie Rechtsanwalt Zingal oder Bundesverdienstkreuzträger Ünlü politisch auf eigene Faust versuchen.

Was allerdings ihrem Erfolg im Weg stehen könnte, ist, dass es ihnen kaum gelingt, Wähler über den religiös-konservativen Teil der türkischen Einwanderercommunity hinaus anzusprechen. Die fast ausschließliche Vertretung dieses Segments in der Führung und auf der Kandidatenliste lässt DAVA auch nicht als spezielle Migrantenpartei erscheinen. Vielmehr nehmen sie die meisten Wähler mit Migrationshintergrund als ethnisch und religiös auf türkische Muslime limitierte politische Kraft wahr.

Sarrazins Albtraum: Erfolgreiche türkische Akademiker führen Partei und Wahlliste an

An dieser Außenwirkung scheiterten bereits zuvor in Erscheinung getretene Projekte ähnlicher Art. Dazu gehören das 2010 gegründete Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit (BIG) oder die 2016 entstandene Allianz Deutscher Demokraten (ADD). Dazu kam, dass manche Protagonisten der jeweiligen Parteien in der eigenen Community umstritten waren und selbst unter eigentlich Gleichgesinnten auf Distanz stießen.

Zumindest dieses Manko hat die neue Partei offenbar abgelegt. Mit Bürgerrechtsanwalt Fatih Zingal, dem Arzt und Bundesverdienstkreuzträger Ali Ihsan Ünlü und einem weiteren Arzt, Mustafa Yoldaş, wird DAVA durch beruflich erfolgreiche Einwandererkinder vertreten. Es bleibt dennoch eine enge Verbundenheit zum türkischen Staat erkennbar. So ist Ünlü bereits seit Jahren als Funktionär des Islamverbandes DITIB in Niedersachsen tätig.

Neben der Nähe zur türkischen Regierungspartei dürften aber auch milieutypische Ausrichtungen wie die starke Betonung des „Palästina“-Narrativs nicht überall gleich gut ankommen. Fatih Zingal mag es persönlich mit seiner generellen Betonung des Einsatzes für Gleichbehandlung und Plurikulturalität ernst meinen. Es spricht jedoch bis auf Weiteres wenig dafür, dass DAVA ein größerer Erfolg beschieden sein würde als vorherigen Parteiprojekten aus der türkisch-muslimischen Gemeinde.



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