Kein privates Parken mehr? Autofreier Stadtteil geplant

Hamburg will den Stadtteil Oberbillwerder errichten. Das Besondere daran: ein Mobilitätskonzept, das den Autoverkehr abschaffen soll. Widerstand an dem Bauvorhaben gibt es von der lokalen Arbeitsgemeinschaft „Paradies Billwerder erhalten“.
Titelbild
So könnte das erste Parkhaus (Mobility Hub 7) in Oberbillwerder aussehen.Foto: STLH Architekten Thauer Höffgen PartGmbH, Hamburg
Von 8. Februar 2023

Im östlichen Teil von Hamburg soll der rund 118 Hektar große Stadtteil Oberbillwerder entstehen. Neu daran ist: Es soll keine privaten Parkplätze an den Straßen geben. Stattdessen sollen elf Parkhäuser an zentralen Punkten, sogenannte „Mobility Hubs“, rund 5.000 Stellplätze bereitstellen.

Hamburgs 105. Stadtteil soll Platz für bis zu 7.000 Einwohner und bis 5.000 Arbeitsplätze bieten. Er setzt sich aus fünf „Quartieren“ zusammen, von denen jeder einen eigenen städtebaulichen Charakter haben soll. Anbindung an eine S-Bahn-Linie besteht. Planer bezeichnen Oberbillwerder als Connected City, die eng mit den umliegenden Stadtteilen verbunden sein soll.

Neben der Funktion als Parkhaus sollen die Mobility Hubs Gewerbe-, Service- und Gastronomieflächen bieten. Auf dem Dach sind Gärten, Terrassen oder Anlagen zur Energiegewinnung wie Photovoltaik vorgesehen.

Reduzierung des Individualverkehrs

Ziel der zentralen Parkhäuser ist es, den öffentlichen Raum vom ruhenden Verkehr möglichst freizuhalten: mehr Raum für Rad- und Fußwege, motorisierten Individualverkehr reduzieren. ÖPNV soll stärker zur Geltung kommen.

Ein Autofahrer kann seinen Wagen demnach nicht mehr in unmittelbarer Nähe zur eigenen Wohnung abstellen, sondern die multifunktionalen Parkhäuser nutzen – und dann nach Hause laufen. Die maximale Distanz zur Wohnung soll laut den Planern 250 Meter betragen. Einzige Ausnahme: Menschen mit einer Mobilitätseinschränkung wie etwa einer Gehbehinderung können weiterhin in den Straßen parken.

In mindestens einem Mobility Hub wollen die Planer später das Konzept des automatisierten Parkens erproben. Dadurch soll auf der bestehenden Fläche die Kapazität erhöht werden.

Die Planer sprechen ganz offen über die Möglichkeit, die Parkhäuser in der Zukunft zurück- oder umbauen zu können, wenn die Menschen „irgendwann gar kein Auto mehr fahren“. In diesem Fall könne man die Parkfläche laut dem Konzept nachträglich zu weiteren Wohneinheiten umbauen. Ein Blick in den Masterplan ist hier möglich.

Widerstand am Projekt: Das ist „Greenwashing“

Nicht jeder ist von dem Bauvorhaben begeistert, so etwa die Arbeitsgemeinschaft „Paradies Billwerder erhalten“, die klar „Nein“ zu dem neuen Stadtteil sagt. Doch warum? Auf Anfrage der Epoch Times antwortete der Sprecher Jan Diegelmann: „Weil der Stadtteil auf einer Grünfläche entstehen soll.“ Hamburg habe genug andere Flächen, die man zum Wohnen nutzen könnte.

Als Alternative nannte er die Hafencity oder Grasbrook, die beweisen würden, dass Hamburg das auch besser machen kann. Diese nicht mehr genutzten Hafenflächen könnten die Städteplaner wiederverwenden. „Grünflächen sind gerade im Klimawandel wichtig für die Kaltluftentstehung und Zufuhr, eine weitere Versiegelung der Stadt können wir uns nicht leisten“, sagte Diegelmann.

Die Arbeitsgemeinschaft sieht auch die zentralen Parkhäuser kritisch. „Quartiersgaragen sind kein neues Konzept, auch dann nicht, wenn man diese in Mobility Hub umbenennt“, erklärte Diegelmann. „Auch glauben wir nicht, dass sich die Bewohner, Lieferdienste, Handwerker und Besucher an dieses Konzept halten werden. Glauben Sie wirklich, dass jemand seine Waschmaschine aus dem Mobility Hub mit der Sackkarre nach Haus fährt?“

Das Mobilitätskonzept sei ein „Chaos“, da der zusätzliche Verkehr um das Quartier herum die bestehende Verkehrsinfrastruktur massiv überlasten werde. Diegelmann kritisiert:

Die Politik rechnet hier auch vorsätzlich mit unrealistisch geringen Pkw-Zahlen, die durch die Zahl der Parkplätze begrenzt werden soll.“

Die Pkw-Inhaber würden infolgedessen auf die Stellplätze in umliegenden Stadtteilen ausweichen.

Laut der Arbeitsgemeinschaft sei dieses Mobilitätskonzept „Greenwashing“. Der Stadtteil solle den Anschein eines autofreien Stadtteils erwecken, obwohl er das nie sein werde. „Dies ist allein schon der Lage am Stadtrand mit nur einer einzigen schon jetzt überlasteten S-Bahn Anbindung zu verdanken. In zentraleren Lagen könnte man ohne Auto auskommen, in Oberbillwerder sicher nicht“, sagte Diegelmann.

Der Pressesprecher des Projektes, Arne von Maydell, erklärt auf Anfrage der Epoch Times: „Wir sind mit allen Gegnern des Projekts im inhaltlichen Austausch und bieten breite Möglichkeiten für öffentliche Beteiligung bei der Entwicklung des Stadtteils an.“

Baubeginn ab 2024?

Bis einschließlich 2024 läuft noch die Planungs- und Genehmigungsphase. Der Baubeginn ist für Mitte 2024 angesetzt, wobei gleichzeitig die Vermarktung der Immobilien startet. Der Hochbau könnte ab 2027 beginnen und ein Jahr darauf sollen bereits die ersten Bewohner des Stadtteils ihr neues Zuhause beziehen. Die IBA Hamburg gibt auf ihrer Website zum Projekt eine Übersicht über den Verlauf.

Nach Aussage von „Paradies Billwerder erhalten“ habe sich der Baustart bereits um mehrere Jahre verzögert. Zudem halten sie es für unwahrscheinlich, dass 2028 bereits die ersten Bewohner einziehen. „Sollte der Stadtteil wirklich gebaut werden, werden dort die ersten Bewohner unserer Prognose nach erst in den 30er Jahren einziehen“, äußerte Diegelmann.

Oberbillwerder soll auf einer bis zu sieben Meter dicken Moorschicht gebaut werden. „Das ist technisch aufwendig und teuer“, sagte Diegelmann. „Mehr als eine Million Kubikmeter Sand werden allein für die innere Erschließung öffentlicher Plätze und Straßen angefahren. Dazu kommt eine noch größere Menge für die Aufschüttung der Baugrundstücke und die äußere Erschließung.“ Außerdem sei die Entwässerung der umliegenden Flächen derzeit noch ungelöst.

Projektfinanzierung

Von Maydell äußerte sich auf Anfrage auch zur Finanzierung der Mobility Hubs. Demnach sei die konzeptionelle Entwicklung 2018/19 erfolgt. „Von den insgesamt rund 1,25 Millionen Euro des Projekts ‚Mobility Hubs für eine nachhaltige Quartiersentwicklung’ übernimmt der Bund zwei Drittel der Fördersumme. Den Rest trägt die Freie und Hansestadt Hamburg.“

Die IBA Hamburg hatte sich 2018 gemeinsam mit dem Bezirk Bergedorf und der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen für die Förderung in Programm „Förderung von Investitionen in nationale Projekte des Städtebaus“ beworben.

„Die Finanzierung unterstützt die Umsetzung des Konzepts durch eine tiefere Analyse hinsichtlich der Realisierbarkeit, des nachhaltigen Betriebs und der Konstruktion und Gestaltung der Mobility Hubs“, erklärte von Maydell.

Die IBA Hamburg GmbH ist seit 2014 als Stadtentwicklungsgesellschaft für die Entwicklung neuer Quartiere in Hamburg tätig und gehört der Hansestadt. Von 2006 und 2013 war sie mit der Konzeption, Durchführung und Abwicklung der Internationalen Bauausstellung IBA Hamburg beauftragt.



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