„Neue klassische Architektur“: Ein Schwede lernt aus der Vergangenheit

„Schönheit ist für ein Gebäude unverzichtbar“, sagt der Schwede Michael Diamant. In den sozialen Medien präsentiert er Gebäude und Städte weltweit, die in klassischer architektonischer Bauweise restauriert oder neu gebaut wurden. Im Namen seiner Lobbygruppe hat er bereits viele Male in schwedischen und internationalen Medien gesprochen, um die „neue traditionelle Architektur“ populär zu machen.
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Klassische Stile bilden einen „Mehrwert, der über die Funktion hinausgeht“, sagt Michael Diamant.Foto: privat
Von 30. Januar 2023

Der Schwede Michael Diamant ahnt, warum klassische Architektur bei Gebäuden und ganzen Städten unbedingt erforderlich ist. In einem Interview mit dem Medium „Cave of Apelles“ beschreibt er, was Ästhetik für uns Menschen bedeutet und was sie beim Betrachter auslöst. Wir Menschen würden unsere Umgebung „ablesen“, wenn wir uns in ihr bewegen. Dabei erkenne unser Verstand vertraute Proportionen, klare Strukturen und Verhältnisse.

„Und wir fühlen uns glücklich, sicher und ruhig, wenn wir unsere Umgebung ‚lesen‘ können.“ Die klassische Fassade mit ihrer Einteilung sei unter anderem sehr „logisch“ angeordnet, so Diamant. Sie sei „vielfältig, aber logisch“. Man habe „einen Sockel, einen Mittelteil und einen Dachteil“. „Unser Gehirn kann sofort, ohne darüber nachzudenken, das Gebäude lesen.“

„Wenn man sich die modernistischen Gebäude ansieht, fehlt ihnen eine Grundlinie, alles ist gleich. Das unterste und das oberste Stockwerk sind gleich und das Dach ist flach. Das ist für unser Gehirn schwieriger zu lesen.“ Bei modernistischen Gebäuden würde sich unser „Gehirn abmühen, ein Muster zu finden“, so Diamant weiter. Aus neurologischer Sicht würde das unbewusst sogar gewissen Stress verursachen.

Budapest: Das neue, nach klassischem Stil errichtete Szabad-György-Bürogebäude (oben) wurde 2010 nach dem Abriss des Baus (unten) realisiert. Der untere Bau war zu Zeiten des Kommunismus gebaut worden. Foto oben: Norbert Juhász, im Auftrag von TSPC, Foto unten: Ungarische Nachrichtenagentur MTI / Parlament.hu

Die meisten Menschen bevorzugen klassische Architektur

Mit der Ansicht, dass ein Gebäude die richtige Einteilung benötigt, steht Diamant nicht allein da. Bereits vor Tausenden Jahren haben viele antike Gelehrte herausgefunden, dass die Proportionen des menschlichen Körpers sowie viele Formen in der Natur stets in einem ähnlichen Verhältnis stehen: gemäß der Regel des „Goldenen Schnittes“. Der Goldene Schnitt bezeichnet das Teilungsverhältnis zweier Größen zueinander. Bis heute gilt er als ausgewogenes Leitmaß und wird vom Menschen als besonders harmonisch empfunden.

Michael Diamant bestätigt selbst, dass es nicht seine eigenen Ideen seien, die er verbreitet: „Mein größter Beitrag besteht darin, dass ich mir erlaube, aus der Vergangenheit zu lernen.“ Er blicke zurück, um zu sehen, was sie damals richtig gemacht haben. Seine Vorliebe an traditioneller Architektur hat Diamant, der momentan in Stockholm wohnt, im Alter von 19 Jahren entdeckt. An der dortigen Universität hat er Stadtplanung studiert. Seine Interessen liegen aber auch in der Stadtsoziologie, Architektur, Demografie, Geschichte und Sozialanthropologie, wie er auf seinem Blog angibt.

Um klassisch orientierte Architekten und Architekturliebhaber zusammenzubringen, gründete er im Jahr 2013 die Facebook-Gruppe „New Traditional Architecture“ (Neue traditionelle Architektur). Seiner Meinung nach mögen die meisten Menschen klassische Architektur und klassische Städte. Dass sie diese „in jeder Hinsicht genießen“, erkenne man darin, dass sie ihre „Ferien dort verbringen und dort gesehen werden wollen“, so Diamant in dem „Cave of Apelles“-Interview. Dass dies nicht nur eine bloße Vermutung darstellt, lässt sich durch mehrere Studien nachweisen.

„Die Vertreter des Modernismus haben sämtliche Institutionen an sich gerissen“

Dennoch wurde die klassische Architektur in den letzten Jahrzehnten durch die modernistische Architektur verdrängt. Michael Diamant weiß, dass dies nicht dem allgemeinen Wunsch entspricht.

Aufgrund ihrer Macht hätten einige wenige Befürworter der „modernistischen Ideologie“ diese Richtung vorangetrieben. Sie hätten sogar über eine lange Zeit jegliche Diskussionen über die Gegenüberstellung von modernistischer und traditioneller Architektur erfolgreich abblocken können. „Die Vertreter des Modernismus haben sämtliche Institutionen an sich gerissen“, sagt der Schwede.

Zudem habe er festgestellt, dass die meisten Menschen davon ausgehen, dass „die Hässlichkeit“ eine notwendige Erscheinung sei – „aus Kostengründen oder aus irgendeinem praktischen, funktionalen Grund“. Dies sei aber nicht der Fall. „Die ganze Hässlichkeit der modernistischen Welt beruht zu 100 Prozent auf einer ideologischen Grundlage“, ergänzt Diamant.

Ästhetik und Schönheit sind menschliche Bedürfnisse

Für ein Gebäude sei die Schönheit „in vielerlei Hinsicht wichtig“. Sie habe sogar eine „extrem wichtige Funktion“ – man würde dies immer deutlicher bei „jeder neuen Herausforderung merken, vor der die Menschheit stehe“. Zudem sei die Behauptung, dass „Schönheit subjektiv“ sei, eine Lüge.

Schönheit ist für ein Gebäude unverzichtbar“, so Diamant.

Auch der inzwischen verstorbene englische Philosoph und Schriftsteller Roger Scruton beschrieb in vielen seiner Werke die Ästhetik und Schönheit als menschliches Bedürfnis: „Es gibt ein tiefes menschliches Bedürfnis nach Schönheit, und wenn man dieses Bedürfnis in der Architektur ignoriert, werden die Gebäude keinen Bestand haben, weil sich die Menschen darin nicht wohlfühlen werden.“

Das 2017 fertiggestellte Geschäftshaus „Palais Holler“ in Berlin ist ein Beispiel für nachhaltige, traditionelle Bauweise. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

Ein Mehrwert, der über die Funktion hinausgeht

Wie Michael Diamant auf seiner Website beschreibt, sei er mittlerweile auch auf Twitter und Instagram vertreten. Mit den dort veröffentlichten Projekten will er zeigen, dass traditionelles Bauen heute möglich und ideologisch akzeptabel (vorzuziehen) ist.

Mit dieser Meinung stoße er auf viel Kritik – vor allem bei den Architekten. Aber auch er geht in dem Interview hart mit den modernen Architekten ins Gericht: „Die Architekten sind immer mit allem beschäftigt, nur nicht mit der Architektur.“

Er kritisiert unter anderem, dass diese mit dem Bau von sogenannten „grünen Gebäuden“ die Klimakrise lösen wollen. Ein Beispiel sei die „Anpflanzung von Gras auf den Dächern“. Dabei sei die beste Methode, um CO₂ einzusparen, schon beim Bau eines Gebäudes zu berücksichtigen:

 Je länger die Lebensdauer eines Gebäudes ist, desto umweltfreundlicher ist es“, so Diamant.

Warum traditionelle Gebäude deshalb eine längere Lebensdauer besitzen, sei für ihn ganz klar: „Sie bieten einen Mehrwert, der über die reine Funktion hinausgeht“.

Alte schöne Industriegebäude würden zum Beispiel nach Ihrer Stilllegung oft zu Büro- oder Wohngebäuden umgestaltet, womit deren Lebensdauer verlängert wäre. Die Umgestaltung würde aber nur erfolgen, wenn das Gebäude schön und ästhetisch anzuschauen sei. Aus den 1960ern würde laut Diamant wohl keiner ein Gebäude umbauen.

Klassische Stile, aber neue Gebäude

Im Gespräch mit der Epoch Times betonte Diamant nochmals, dass er und alle anderen, die sich für neue, traditionelle Architektur einsetzen, „moderne“ Gebäude nicht ablehnen. Man sollte dies nicht falsch verstehen, denn alle neuen Gebäude von heute seien natürlich „modern“. Auch er möge es, fließendes Wasser zu haben und heizen zu können.

Er glaubt, dass die klassische Architektur in Zukunft wieder eine große Rolle spielen und der Modernismus nur eine kurze Phase in der Geschichte der Menschheit sein wird. Seine Begründung hierzu lautet: „Weil wir, wenn wir für eine neue traditionelle Architektur eintreten, nicht ältere Stile vorschlagen, sondern den klassischen Rahmen und die architektonische Philosophie, wie ein Gebäude zu gestalten ist. Innerhalb dieses Rahmens gibt es eine unbegrenzte Zahl von Stilen. Wenn es also eine kritische Masse an klassischen Architekten gibt und die Institutionen zurückerobert sind, werden neue klassische Stile entstehen, die genauso schön sind wie die früheren, aber neu.“



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