Medizinrechtlerin verliert gegen Bundesinnenministerium zum „Corona-Angst-Papier“

Dr. Rosenke hat vor Gericht verloren – sie verlangte mehr Informationen zum Entstehen des „Corona-Angst-Papiers“ von März 2020. In puncto Corona sieht die Medizinrechtlerin mittlerweile ein „Totalversagen“ der Justiz. Das Berliner Verwaltungsgericht habe „tunlichst“ vermieden, „sich auch nur ansatzweise inhaltlich mit der Thematik auseinanderzusetzen“.
Corona-Angst-Papier
Lockdown, Schließungen, Masken, Ausgangsbeschränkungen – und ein Angst-erzeugendes Paper.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 14. März 2023

Das Corona-Strategiedokument der Bundesregierung, bekannt als „Corona-Angst-Papier“, sorgte Ende März 2020 für viel Wirbel. Es diente offenbar dem Krisenkabinett der Bundesregierung während der Corona-Krise als Leitfaden zur Eindämmung des Coronavirus.

Aus dem Papier mit dem Titel „Wie wir COVID-19 unter Kontrolle bekommen“ ging hervor, dass von den Autoren Angst als wichtiges und legitimes „Hilfsmittel“ in der Kommunikation der Regierung mit der Bevölkerung gesehen wurde und ein zentrales Element der Corona-Strategie war. In dem Worst-Case-Szenario des Papiers ging man von über einer Million Toten im Jahre 2020 allein für Deutschland aus. Tatsächlich sind von Beginn der Corona-Krise bis jetzt 169.000 Menschen an oder mit dem Coronavirus gestorben.

Als die Fachanwältin für Medizinrecht Dr. Marion Rosenke (54) von dem Papier erfuhr, wollte sie auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes vom Bundesinnenministerium (BMI) mehr Hintergrundinformationen dazu, wie das Papier erarbeitet worden ist.

„Für mich ist es eine Schockstrategie gewesen, die auf dem Rücken von den Schwächsten und Schutzbedürftigsten der Gesellschaft – sprich den Kindern – ausgetragen wird.“ Aber auch weil damit gearbeitet würde, Ängste vor einem grausamen Erstickungstod und Triage zu schüren, so Rosenke gegenüber Epoch Times. Bis Februar 2023 kämpfte sie juristisch für eine Offenlegung, welche Autoren von welchen Institutionen für welche Abschnitte in dem Regierungsstrategiepapier verantwortlich waren.

Bundesinnenministerium verweigerte Herausgabe

Das BMI hatte sich zunächst geweigert, das Papier auf Grundlage des Presserechts und des Informationsfreiheitsgesetzes für andere Medien verfügbar zu machen. Damals hieß es, das Dokument sei „Verschlusssache“ und „nur für den Dienstgebrauch“.

Das gemeinnützige Portal „Frag den Staat“ veröffentlichte schließlich das vollständige 17 Seiten lange umstrittene Papier. Zeitweise war es dann auf den Seiten des BMI verfügbar.

Anfang Juni 2020 teilte das Bundesinnenministerium unter Horst Seehofer (CSU) zumindest auf die Anfrage der Rechtsanwältin mit, dass externe Wissenschaftler das Schriftstück erarbeitet hätten. Die im Einzelnen namentlich nebst Institution aufgelisteten Mitautoren hätten jeweils andere Abschnitte bearbeitet. Konkreter wurde man jedoch nicht.

    • Prof. Dr. Boris Augurzky, RWI—Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
    • Prof. Dr. Dr.h.c. Christoph M.Schmidt, RWI—Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
    • Roland Döhrn, RWI —Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung
    • Dr. Hubertus Bardt, Institut der Wirtschaft Köln
    • Prof. Dr. Michael Hüther, Institut der Wirtschaft Köln
    • Dr. Maximilian Mayer, The University of Nottingham China (UNNC)
    • Prof. Dr. Heinz Bude, Uni Kassel
    • Otto Kölbl, Universität Lausanne

Welcher Autor war für welchen Abschnitt verantwortlich?

Auffallend war für die Rechtsanwältin, dass kein Epidemiologe als Autor mitwirkte. Auch dass ein deutscher Professor, der an einer chinesischen Universität tätig war, teilnahm, war auffällig. Allerdings verdeutlichen spätere Daten, dass man sich zumindest vom Robert Koch-Institut (RKI) epidemiologisch-virologisch unterstützen ließ. Der Name, des damaligen RKI-Leiters Lothar Wieler, taucht mehrfach in dem E-Mail-Verkehr zwischen den Strategiepapier-Autoren, als Empfänger auf.

In einer Anschlussfrage wollte die Medizinrechtlerin zusätzlich erfahren, nach welchen Kriterien das Ministerium die Mitautoren ausgesucht habe und wie der genaue Auftrag an die Mitautoren gelautet habe. Zudem wollte sie den E-Mail-Verkehr zwischen dem Ministerium und den Autoren einsehen.

Daraufhin antwortete das Bundesinnenministerium, dass keine Autorenzuordnung zum Inhalt vorliegt. Zu dem Schriftstück habe es keinen schriftlichen Auftrag gegeben. Es habe sich um Pro-bono-Beiträge der Experten gehandelt, die eigenverantwortlich gearbeitet hätten.

Das Ministerium ließ die Rechtsanwältin im Februar 2021 in teilweise geschwärzte Informationen zu dem Strategiepapier Einsicht nehmen, die das RKI dem Ministerium nach eigenen Angaben übersandt hatte. Dazu gehörten auch E-Mails, die teils geschwärzt waren. Der Umfang der Unterlagen betrug 100 Seiten.

Daraufhin reichte die Medizinrechtlerin im September 2020 Klage gegen das Ministerium am Berliner Verwaltungsgericht ein. Denn in ihren Augen waren die Informationen unvollständig und die erste Auskunft des Ministeriums, dass es über keinerlei Informationen verfüge, falsch.

„Beispiellose Grundrechtseinschränkungen“

Nach Ansicht der Medizinrechtlerin habe die Exekutive mit der Lockdown-Politik und den beispiellosen Grundrechtseinschränkungen jegliches Fundament verlassen, sodass auch juristisch „neue“ Überlegungen geboten seien.

Aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip, gerade auch unter Berücksichtigung der Ewigkeitsklausel – des Artikels 79 Absatz 3 Grundgesetz – sei zwingend eine umfassende Auskunfts-, Rechenschafts- und Begründungspflicht der staatlichen Organe für die Verhältnismäßigkeit der eingeleiteten Restriktionen abzuleiten. So begründete die Klägerin aus Nordrhein-Westfalen ihre eingereichte Klage.

Mitte Februar 2023 wies das Berliner Verwaltungsgericht diese Klage als unzulässig und unbegründet ab. Das BMI schulde keine Auskünfte und Erläuterungen für Vorgänge, zu denen bei ihr keine Informationen vorhanden seien, befand das Gericht.

Es bestehe kein unerfüllter Anspruch auf Zugang zu amtlichen Informationen, da solche nach Ansicht des Gerichtes – entgegen der Ansicht der Klägerin – beim Bundesinnenministerium nicht vorhanden wären. Das Gericht verweist darauf, dass nicht amtliche Informationen wie Entwürfe und Notizen, die nicht Bestandteil eines Vorgangs werden sollen, nicht Teil amtlicher Informationen wären. Und in den Augen des Gerichtes hätte die Klägerin nur auf solche Informationen einen Anspruch.

Auch sei der Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz auf Informationen beschränkt, die bei der Behörde zum Zeitpunkt des Eingangs des Antrags vorhanden sind. Die Behörde trifft keine Informationsbeschaffungspflicht und sie ist nicht gehalten, begehrte Informationen durch Untersuchungen erst zu generieren, urteilte das Berliner Gericht.

Bundesministerium federführend in der Kommunikation

Das Gericht war davon überzeugt, dass zu den begehrten Auskünften keine weiteren amtlichen Informationen beim BMI vorhanden sind.

Zudem hielt der Richter die Aussage des BMI für glaubhaft, dass zum Austausch mit der Arbeitsgruppe dem BMI keine eigenen Unterlagen vorlägen, da das Ministerium erklärte, es habe sich um einen offenen Gedankenaustausch im Entwurfsstadium gehandelt, der nicht als Akte archiviert wurde.

Die an die Medizinrechtlerin herausgegebenen Unterlagen wären vom RKI als Akte archiviert und bereits mehrfach herausgegeben worden, erklärte das Ministerium vor Gericht.

Aus diesen Unterlagen geht jedoch hervor, dass das Ministerium federführend in die Kommunikation per E-Mail und bei Treffen eingebunden war. So sollte der E-Mail-Verkehr auch auf den Rechnern des Ministeriums vorhanden sein, wenn er denn nicht gelöscht wurde.

Bundesinnenministerium sieht sich nicht als Auftraggeber des Papiers

Zudem distanziert sich das BMI auch davon, als offizieller Auftragsgeber des Papiers zu gelten. Jedoch enthalten die Unterlagen des Robert Koch-Instituts E-Mails von Markus Kerber, dem damaligen Staatssekretär im BMI. Er richtet sie an die Institutionen, die später die Autoren des Strategiepapiers stellten.

In ihnen erklärt Kerber: „Ich möchte hiermit eine ad hoc Forschungsplattform zwischen Ihren Institutionen und dem Bundesinnenministerium ins Leben rufen. Bislang waren wir ja alle informell im Austausch und ich denke, dass nun der Zeitpunkt gekommen ist, um die Zusammenarbeit stärker zu strukturieren.“

Weiter heißt es: Es gehe darum, mental und planerisch „vor die Lage“ zu kommen. „Das können wir nur, wenn wir zukünftige Situationen ‚erdenken‘ und vorplanen können.“ Dafür brauche man kein epidemiologisch perfektes Modell – eine plausible Modellierung sei ausreichend.

Allerdings sind auch in dieser E-Mail wichtige Stellen geschwärzt. So heißt es: „Meines Erachtens ist das von (Personenname geschwärzt) entwickelte Modell aus politisch-administrativer Sicht ideal, da es uns unterschiedliche Belastungsszenarien zeigt, für die wir dann Maßnahmen präventiver und repressiver Natur planen können.“ Hier fällt der Begriff „repressiv “.

Vergleich mit Apollo-13-Mission

Mehrfach wird die Wichtigkeit einer „vertraulichen Zusammenarbeit“ betont. Kerber äußerte zudem zur Zusammenarbeit: „Wie sollten wir arbeiten? Ohne Denkschablonen. Maximal interdisziplinär. Ohne Bürokratie. Maximal mutig.“

Er habe gegenüber seinem Freund und Nachbarn Lothar Wieler die Situation mit Apollo 13 verglichen. „Sehr schwierige Aufgabe, aber mit Happy End durch maximale Kollaboration.“

Aus den teils geschwärzten E-Mails geht zudem hervor, dass von Anfang an ein starker Asienbezug – insbesondere zu den Maßnahmen in China im Bereich „Testen und Isolieren“ – gesucht wurde und dass das Testen einen Schwerpunkt bei der „Bekämpfung“ des Coronavirus bilden würde.

Auch macht der E-Mail-Verkehr deutlich, dass die Epidemiologie nicht die entscheidende Rolle spielen würde, sondern die „Informatik und Big Data“. Und es wird klar, dass es zur Mortalität unterschiedliche Meinungen gab und man sich für die Angabe von 1,2 Prozent entscheidet.

„Wir haben alles so kalibriert, dass am Ende eine Mortalität auf die Infizierten von etwa 1,2 Prozent herauskommt.“, heißt es beispielsweise in einer der E-Mails.

„Ich denke auch, dass bei entsprechender Überlastung eine Letalität von 80 Prozent der Intensivpflichtigen nicht unrealistisch ist. Vielleicht kann man zumindest so die 1,2 Prozent auch erläutern“, erklärt ein anderes Mitglied der Arbeitsgruppe.

Robert Koch-Institut ging von einer Letalität von 0,56 Prozent aus

Das RKI ging damals „in einem sehr moderaten Szenario“ von einer Letalität (Wahrscheinlichkeit an einer Krankheit zu sterben) von 0,56 Prozent aus.

„Das Robert Koch-Institut würde damit aber zu deutlich weniger Todesfällen im Worst Case kommen. Dann sollten wir unsere höhere Zahl rechtfertigen […]“, meint ein Arbeitsgruppenmitglied. „Ich würde vom Ziel her argumentieren, nämlich ‚hohen Handlungsdruck aufzeigen‘ und vom Vorsichtsprinzip: ‚lieber schlimmer als zu gut‘.“

Und man einigte sich schließlich: Ohne massive Gegenmaßnahmen (Testing, Isolation, Quarantäne, soziale Distanzierung) käme es „zu einer deutlichen Überlastung des Gesundheitssystems“.

In der Frage, wie man mit den Immunisierten umgeht, herrschte zwischenzeitlich Unklarheit: „Was macht man mit der Gruppe der Immunisierten? Kann man denen eine Rolle für den Fortgang der Maßnahmen zuschreiben?“, fragt ein Mitglied der Arbeitsgruppe.

„Keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Strategiepapier“

Für die seit 25 Jahren im Bereich Medizinrecht tätige Klägerin ist offensichtlich, dass das Berliner Verwaltungsgericht in seinem Urteil offensichtlich formaljuristisch alles korrekt abgehandelt habe, es jedoch „tunlichst“ vermieden hat „sich auch nur ansatzweise inhaltlich mit der Thematik auseinanderzusetzen“.

Für sie hat die im Auftrag des Bundesinnenministeriums zusammengekommene Arbeitsgruppe „völlig evidenzbefreit“ gearbeitet. Dabei hat sie schockiert, dass anscheinend nie die Frage gestellt worden wäre: „Brauchen wir überhaupt so was wie einen Lockdown oder die Beschränkungen der sozialen Kontakte? Von welcher Infektiosität und Übertragbarkeit sprechen wir?“

Die Modellrechnungen wären in ihren Augen mit dem Fokus entstanden, repressive Maßnahmen gegenüber der Bevölkerung durchzusetzen. „Das ist für mich sehr grundgesetzfern.“ Es stelle alles infrage, was sie in ihrem Jurastudium gelernt habe, so die Rechtsanwältin.

„Gericht vermied inhaltliche Auseinandersetzung“

Sie hatte gehofft, dass das Gericht sich auch inhaltlich mit dem Strategiepapier des Bundesinnenministeriums auseinandersetzt. Mittlerweile sieht sie aber in puncto Corona ein „Totalversagen“ der Justiz.

„Bis auf drei Richter in Deutschland haben wir ein Totalversagen.“ Das habe sie in der Form nicht erwartet. Für sie war das Urteil wie ein Schlag ins Gesicht und hat ihr Rechtsvertrauen komplett erschüttert.

„Angesichts der weitreichenden Konsequenzen, die dieses Papier für das Regierungshandeln hatte, denn es ist ja das Drehbuch gewesen für die Maßnahmen, die wir alle dann im Laufe der Jahre erlebt haben, halte ich die Entscheidung des Gerichtes für nicht richtig.“

Ständig sei im teilweise geschwärzten E-Mail-Verkehr von einer Teststrategie die Rede. „Anscheinend war man von Anfang an der Meinung, dass man durch einen Test eine Pandemie in den Griff bekommen kann.“ Sie habe ihr ganzes Berufsleben lang gelernt, ein Test sei ein diagnostisches Mittel und kein therapeutisches.

Die Berufungsfrist läuft noch, jedoch hat sie jetzt Abstand davon genommen, in Berufung zu gehen. Sie sieht keine Erfolgschancen dafür, dass sie die 100-seitige Anlage vom Robert Koch-Institut durch das Berufungsverfahren komplett lesbar bekommt. „Ich bin in dem Punkt komplett resigniert und sehe keine Erfolgsaussicht“, so die Medizinrechtlerin zu Epoch Times.



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