RAF: 30 Jahre Terror der „Stadtguerilla“

Anfang der 70er Jahre radikalisierte sich ein Teil der westdeutschen Studentenbewegung. Ihr Ziel: den Staat durch Anschläge gewaltsam psychologisch zu destabilisieren. Am 20. April 1998 erklärte sich die RAF für Geschichte. Ein Blick zurück.
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Das Gefängnis in Stammheim, einem Vorort von Stuttgart, Süddeutschland. Hier begann am 30. September 2010 der Prozess gegen Verena Becker, ehemaliges Mitglied der linksradikalen Baader-Meinhof-Bande (RAF), die wegen Beihilfe zur Ermordung des Bundesanwalts Siegfried Buback im Jahr 1977 angeklagt ist.Foto: THOMAS KIENZLE/AFP via Getty Images
Epoch Times16. April 2023

Die Erklärung umfasst acht Seiten – auf der letzten prangt der berüchtigte fünfzackige Stern mit Maschinenpistole. „Heute beenden wir dieses Projekt. Die Stadtguerilla in Form der RAF ist nun Geschichte“, heißt es an der entscheidenden Stelle des Schreibens, das mit Poststempel vom 20. April 1998 mehreren Medien zugestellt wird.

Es ist der Schlussakkord unter ein ebenso blutiges wie prägendes Kapitel westdeutscher Zeitgeschichte. Am Donnerstag jährt sich die Selbstauflösung der linksextremistischen Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) zum 25. Mal. Ein Blick zurück:

Die Anfänge

Die RAF entsteht Anfang der 70er-Jahre aus radikalisierten Mitgliedern der westdeutschen linken Studentenbewegung. Sie wähnen sich in einem revolutionären Krieg gegen ein weltumspannendes kapitalistisches und imperialistisches Ausbeutungssystem und seine deutschen Repräsentanten.

Anleihen machen die Terroristen beim Konzept der sogenannten Stadtguerilla, das ursprünglich in Südamerika im Kampf gegen Militärdiktaturen entwickelt wurde. Ihr Ziel ist es, den Staat durch Anschläge gewaltsam psychologisch zu destabilisieren. Nacheinander bilden sich drei RAF-Generationen heraus.

Anschläge der ersten Generation

Die führenden Köpfe der ersten RAF-Generation sind Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof. Erste Straftaten begeht die von ihnen und anderen gegründete RAF ab 1970, darunter Banküberfälle.

Den ersten Mord verübt sie 1971 an einem Hamburger Polizisten, er stirbt während eines Festnahmeversuchs. Ihr erster Terroranschlag ist ein Bombenattentat auf ein Hauptquartier der US-Streitkräfte in Frankfurt am Main im Mai 1972, ein US-Soldat stirbt. Im Bekennerschreiben wird auf den Vietnamkrieg verwiesen.

Zweite Generation

Es folgen weitere Bombenanschläge mit Toten und Verletzten. Bis Mitte 1972 befinden sich Baader, Ensslin, Meinhof und weitere zentrale Mitglieder der Kommandoebene in Haft. Ihnen wird in einem eigens für diesen Zweck neu errichteten Justizkomplex in Stuttgart-Stammheim der Prozess gemacht.

Parallel zu den Strafverfahren bildet sich aus deren Sympathisantenumfeld die sogenannte zweite Generation der RAF, die logistisch und taktisch eng mit palästinensischen Terrorgruppen aus dem Nahen Osten kooperiert. Sie entfesseln eine blutige Terrorwelle, um das RAF-Gründerteam freizupressen.

Auf deren Höhepunkt 1977 erschießen RAF-Täter zunächst Generalbundesanwalt Siegfried Buback und den Dresdner-Bank-Vorstandschef Jürgen Ponto, dann folgt der sogenannte Deutsche Herbst: Die RAF entführt Arbeitgeberpräsident Hanns Martin Schleyer, parallel bringen verbündete palästinensische Terroristen das Lufthansa-Flugzeug „Landshut“ in ihre Gewalt.

Die Spezialeinheit GSG 9 befreit die „Landshut“ am 18. Oktober in der somalischen Hauptstadt Mogadischu, Schleyer wird von der RAF getötet. Parallel dazu begehen Baader und Ensslin in der Haft Suizid.

Dritte Generation

Führungsfiguren der zweiten Generation tauchen danach zunächst im Ausland ab, kehren aber zurück und werden in den folgenden Jahren gefasst. Ab Mitte der 80er-Jahre wird eine dritte Generation aktiv. Sie verlagert den Fokus wieder mehr auf Anschläge auf Repräsentanten des US-Militärs, 1985 gibt es bei einem Bombenanschlag auf eine US-Basis in Frankfurt am Main zwei Tote.

Zugleich werden auch Wirtschaftsführer ermordet. Deutsche-Bank-Chef Alfred Herrhausen stirbt 1989 bei einem Sprengstoffanschlag auf sein Auto. 1991 erschießt ein Scharfschütze der RAF den Chef der Treuhandanstalt, Detlev Rohwedder, in dessen Wohnhaus. Rohwedder ist das letzte RAF-Anschlagsopfer.

Ein Sprengstoffanschlag auf den noch unbenutzten Neubau eines Gefängnisses im hessischen Weiterstadt im März 1993 ist ihr letztes Attentat, danach wird es still um sie. Die RAF ist zu einem Anachronismus geworden. Mit ihrer Selbstauflösung 1998 beendet sie diesen Zustand, ihre Zeit ist vorbei.

Die Bilanz: 34 Menschen ermordet

Die RAF ermordet laut Bundesanwaltschaft 34 Menschen. Bei Terroranschlägen sowie Schusswechseln etwa bei Festnahmeversuchen sterben unter anderem auch niederländische Grenzbeamte, deutsche Polizisten und Dienstwagenfahrer und eine Passantin.

26 Prozesse gegen führende Angehörige der RAF-Kommandoebene enden im Lauf der Jahrzehnte mit lebenslangen Haftstrafen, der letzte 1998.

Fahndung läuft immer noch

Viele Details aus dem Innenleben der Organisation und zahlreiche Einzelheiten ihrer Anschläge aber bleiben unklar. So wird nie aufgeklärt, wer genau Buback, Ponto, Schleyer oder Herrhausen ermordete. Vor allem die dritte RAF-Generation ist bis heute in weiten Teilen nur schemenhaft bekannt.

Zu ihren wenigen identifizierten Mitgliedern gehören auch die letzten drei Verdächtigen, nach denen noch gefahndet wird. Burkhard Garweg, Daniela Klette und Ernst-Volker Staub bleiben auch nach der Selbstauflösung der RAF im Untergrund, werden aber in den vergangenen Jahren durch DNA-Spuren mit Raubüberfällen in Verbindung gebracht. Terroristisch aktiv sind sie laut Ermittlern nicht mehr. Sie brauchen schlichtweg Geld zum Lebensunterhalt.

Erste Generation, Zweite, Dritte und nun die Letzte Generation?

Bettina Röhl, Autorin von „Die RAF hat euch lieb“ und Tochter der RAF-Gründerin Ulrike Meinhof, warnt vor aktuellen Entwicklungen.

Röhl, die als Kind die Gründung der RAF im heimischen Wohnzimmer miterlebte, sagte zu „Bild“: „Die ‚Letzte Generation‘ ist schon auf der Ziellinie der RAF.“ Terrorismus sei immer Selbstdarstellung wie Van Gogh besudeln, Straßenblockaden oder Pipeline-Gelände zu stürmen.

„Auch die 68er-Bewegung begann mit Sabotage-Akten und Pudding-Attacken. Viele schrien dann nach mehr ‚Taten‘ und ‚Revolution‘. Bei den Klima-Aktivisten kann dieser hysterische ‚Kipppunkt‘ zu Gewalt und Terror sehr schnell erfolgen“, beurteilt die Expertin die Entwicklung der „Letzten Generation“.

Laut „Bild“ werbe die „Letzte Generation“ in ihren Chat-Gruppen zunehmend um neue Mitglieder, die bereit seien, ins Gefängnis zu gehen: „Wenn du dir vorstellen kannst, für 30-60 Tage ins Gefängnis zu gehen oder einfach nur neugierig bist, was es mit diesem Vorhaben auf sich hat, komm vorbei (lächelndes Smiley).“ Aufgrund dessen vermutet die „Bild“, dass sich die Gruppe offensichtlich immer stärker darauf vorbereite, Aktionen zu begehen, die im Gefängnis enden.

Der Boulevardzeitung nach arbeite die „Letzte Generation“ mit der linksextremen Szene zusammen. Eine dem Blatt vorliegende aktuelle Trainingsanleitung für die Mitglieder verweise hinsichtlich von Prozesskosten darauf, einen „Antrag bei der Roten Hilfe“ zu stellen.

„Bild“ erklärt: Laut Verfassungsschutz betreue die „Rote Hilfe e.V.“ Straftäter, um sie gezielt an die linksextreme Szene zu binden. Wie die „taz“ einst schrieb, entstand die „Rote Hilfe“ 1975 im Zusammenhang mit der 68er-Bewegung. Der Verein betreute demnach auch die Angeklagten in den RAF-Verfahren und wünschte 2016 noch in ihrer Mitgliederzeitung den immer noch untergetauchten drei RAF-Mitgliedern Burkhard Garweg, Ernst-Volker Staub und Daniela Klette: „Viel Kraft und Lebensfreude, lasst es euch gut gehen!“ (afp/ks)



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