Ist das der Anfang vom Ende? Erdogan verliert die Bürgermeisterämter von Istanbul und Ankara

Die künftigen Bürgermeister von Istanbul und Ankara gehören nicht der Regierungspartei von Präsident Erdogan an. "Die Wahlerfolge für die Opposition in Ankara und Istanbul könnten der Anfang vom Ende der Erdogan-Ära sein", sagte der Grünen-Politiker Cem Özdemir.
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Der Kandidat der Republikanischen Volkspartei (CHP) für den Istanbuler Bürgermeister, Ekrem Imamoglu (R), trat am 1. April 2019 in Istanbul vor die Presse. Der Oppositionskandidat führt nach den Kommunalwahlen am Wochenende mit fast 28.000 Stimmen, sagte der Vorsitzende des Obersten Wahlausschusses am 1. April.Foto: YASIN AKGUL/AFP/Getty Images
Epoch Times1. April 2019

Der Verlust von Ankara und Istanbul ist nicht nur für die türkische Regierungspartei AKP ein schwerer Schlag, sondern auch eine persönliche Niederlage für Präsident Recep Tayyip Erdogan. Der AKP-Chef hatte den Wahlkampf komplett dominiert und die Kommunalwahlen am Sonntag damit zu einer Abstimmung über seine Politik gemacht. Dass er trotz seines Einsatzes die beiden größten Metropolen nicht halten konnte, zeigt eine Erosion seines Rückhalts in der Bevölkerung.

„Erdogan ist ein Wagnis eingegangen, indem er die Wahl nationalisiert hat und so intensiv Wahlkampf für unpopuläre AKP-Kandidaten gemacht hat“, sagt Berk Esen von der Bilkent Universität. Die Verluste der AKP würden sicher als Erdogans Niederlage interpretiert werden. Das Ergebnis werde die Opposition bestärken, den Unmut in den eigenen Reihen schüren und womöglich zum Verlust seines Verbündeten führen.

Der Verlust von Istanbul ist besonders schwer

Die AKP war zu den landesweiten Kommunalwahlen wie bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im vergangenem Juni ein Bündnis mit der ultrarechten MHP eingegangen. Diese sogenannte Volksallianz kam landesweit auf 51,6 Prozent. Auf Seiten der Opposition trat die linksnationalistische CHP mit der rechten IYI-Partei an. Ihr Bündnis erhielt landesweit 37,5 Prozent, siegte aber in den drei größten Städten.

Insbesondere gewann die Opposition laut vorläufigen Ergebnissen die Hauptstadt Ankara. Nach einem Kopf-an-Kopf-Rennen ging sie am Montag auch in der 15-Millionen-Metropole Istanbul in Führung. „Istanbul ist das Herz, es ist wirklich wichtig für Erdogan“, sagt Ayse Ayata von der Middle East Technical University. Dort habe Erdogans Partei vor 25 Jahren erstmals gesiegt, und ihr Verlust sei ein historischer Rückschlag.

Erdogan war im Istanbuler Arbeiterviertel Kasimpasa aufgewachsen und hatte dort seine Karriere begonnen. 1994 wurde er für die islamisch-konservative Vorgängerpartei der AKP zum Istanbuler Oberbürgermeister gewählt. Indem er energisch die chronischen Verkehrs-, Müll- und Wasserprobleme der Großstadt anpackte, erwarb er sich den Ruf des Machers und legte die Grundlage für seine Wahl zum Ministerpräsidenten.

Der Anfang vom Ende der Erdogan-Ära?

Mit den Rathäusern verliert Erdogan nun die Kontrolle über wichtige Ressourcen und Posten. „Die Wahlerfolge für die Opposition in Ankara und Istanbul könnten der Anfang vom Ende der Erdogan-Ära sein“, sagte der Grünen-Politiker Cem Özdemir der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Er habe „die Kommunalverwaltungen durch ein umfassendes Patronagesystem eng an sich gebunden“. Dieser wichtige Machtfaktor sei jetzt erschüttert.

Seine Niederlage hat viel mit den wirtschaftlichen Problemen zu tun. „Die Wirtschaftskrise hat den Wählern wirklich wehgetan, besonders den städtischen Armen und der unteren Mittelklasse, welche die Kernbasis der AKP sind“, sagt der Politologe Esen. Bei der vorherigen Wahl habe er versprochen, politische Stabilität und ökonomischen Wohlstand zu bringen. „Beides ist unter seiner Regierung nicht passiert“, sagt Esen.

Seit dem Einbruch der Lira im vergangenen Sommer ist die Inflation auf 20 Prozent gestiegen und erreicht bei Lebensmitteln sogar 30 Prozent. Vor den Wahlen machte Erdogan „Gemüseterroristen“ für den Preisanstieg verantwortlich und ließ in Ankara und Istanbul an städtischen Verkaufsstände verbilligtes Gemüse anbieten. In einer Rede nach der Wahl versprach er aber, sich nun auf wirtschaftliche Reformen zu konzentrieren.

Bis 2023 stehen keine Wahlen an, und auch Wirtschaftsminister Berat Albayrak hat versprochen, diese Ruhephase für Strukturreformen zu nutzen. Erste Maßnahmen will er am 8. April präsentieren. „Ich habe das Gefühl nach Erdogans Reden gestern Nacht, dass er die Niederlage mit Fassung nehmen wird“, sagt Ayasa.

Auch Esen glaubt trotz des autoritären Klimas nicht, dass Erdogan mit Prozessen gegen die Wahlsieger vorgeht oder diese durch staatliche Verwalter ersetzt, wie vor der Wahl angedroht. Angesichts der Wirtschaftskrise wäre dies „sehr riskant“. (afp)



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