Energiewende frisst gesicherte Leistung: Im Ernstfall fehlen 14 GW

Immer mehr Kraftwerke sollen Wind und Sonne nutzbar machen. Dabei wird oft vergessen, dass ihre gesicherte Leistung nahe null liegt. Die deutsche Stromversorgung ist dadurch bereits heute auf das Ausland angewiesen – und in Zukunft auf die Gnade der Wettergötter.
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Im Ernstfall können die Stromleitungen nicht genug Leistung aus dem Ausland beziehen, um zu verhindern, dass in Deutschland die Lichter ausgehen.Foto: iStock
Von 27. Februar 2022

Alle Jahre wieder veröffentlichten die deutschen Übertragungsnetzbetreiber einen Bericht zur Leistungsfähigkeit des deutschen Stromnetzes. Darin enthalten war auch ein rechnerischer Stresstest zu der Frage: „Was wäre, wenn alle kleinen und großen Pannen, die es in der Vergangenheit gab, zusammenkommen?“ Die verwendeten Szenarien sind also nicht nur realistisch, sondern bereits erprobt.

Bereits 2020 errechneten die Ü-Netz-Betreiber ein Defizit von 7,2 Gigawatt für 2022. Die Realität zeigte Anfang Januar, dass dieser Wert noch deutlich zu klein angesetzt war. Am 10. Januar fehlten knapp 15 GW im deutschen Netz. Die milden Temperaturen retteten die Stromversorgung, in einem Winter wie 2016 oder 2018 wären es 25 GW gewesen. Langfristig fehlen jedoch sogar 65 GW und damit 80 Prozent der heute benötigten Leistung.

„Wir sind raus“

Der Bericht erschien üblicherweise im Frühjahr und lieferte Daten zum vergangenen Jahr sowie einen Ausblick auf das laufende und folgende Jahre. 2021 verzögerte sich die Veröffentlichung. Auf Rückfrage teilten die Netzbetreiber mit: „Der [Bericht] ist nicht mehr unsere gesetzliche Aufgabe. Wir sind raus“ und „die Erstellung und Veröffentlichung des Leistungsbilanzberichtes erfolgt seitens des BMWi und der Bundesnetzagentur.“

Als die Bundesnetzagentur schließlich einen Bericht veröffentlichte, ließ sie die Frage nach dem Was-wäre-wenn? jedoch unbeantwortet. Ein Energieexperte hat nachgerechnet – und liefert eine mögliche Erklärung, warum der Bericht „verboten“ wurde.

Installierte Leistung liefert keinen Strom

Bei dem rechnerischen Stresstest geht es darum, zu prüfen, welche Reserven das deutsche Stromnetz hat. Am 21. Dezember 2016 standen Kraftwerke mit einer installierten Leistung von 196 GW zur Verfügung. Dazu gehörten konventionelle Kraftwerke wie Kern- und Kohlekraftwerke, aber auch Biomasse- und Wasserkraftwerke sowie Windkraft- und Solaranlagen.

Etwa die Hälfte der Kraftwerksleistung entfiel dabei auf die „Erneuerbaren“. An einem windstillen Abend Ende Dezember (oder Mitte Februar) ist es jedoch nicht schwer vorstellbar, dass Solaranlagen keinen Strom liefern und Windkraftanlagen nur zu ein Prozent ausgelastet sind. Zudem befinden sich regelmäßig einige Kraftwerke in geplanten Wartungen, sodass sich die jederzeit zur Verfügung stehende, sogenannte „gesicherte Leistung“ auf 88,4 GW reduzierte. So viel hätten deutsche Kraftwerke am 21. Dezember 2016 um 19 Uhr einspeisen können.

Zum selben Zeitpunkt wurden 81,8 GW nachgefragt, die Differenz von 6,6 GW waren die verbleibende Leistung. Hinzu kommen Kraftwerke im Ausland, auf die Deutschland hätte zurückgreifen können. Auf diese Weise standen letztendlich 10,1 GW in Reserve. Selbst wenn plötzlich mehrere Kraftwerke ausgefallen wären, hätte man Engpässe ausgleichen können.

Die Folgen von Atom- und Kohleausstieg

Mit dem Stilllegen von Kern- und Kohlekraftwerken verliert das deutsche Stromnetz nicht nur installierte Leistung, sondern vor allem gesicherte Leistung. Während bei konventionellen Kraftwerken der Anteil gesicherter Leistung bei 80 bis 90 Prozent der installierten Leistung liegt, liefern Wind und Sonne manchmal über Tage hinweg keinen Strom.

Die aktuelle Energiepolitik führt also dazu, dass die gesicherte Leistung sinkt. Das macht sich auch im Leistungsbericht bemerkbar. Obwohl 2019 bereits 216 GW installierte Gesamtleistung zur Verfügung standen, sank die gesicherte Leistung auf 83 GW. Die Reserve schrumpfte damit auf unter 2 GW. Wäre im Winter 2019 ein großes Kraftwerk ausgefallen, hätte man noch gegensteuern können. Bei zwei Kraftwerken wäre es schon eng geworden.

Zum Glück gehen nicht gleich die Lichter aus, wenn deutsche Kraftwerke zu wenig Strom liefern. So können die Stromleitungen – je nach Auslastung und laut letztem Bericht der Netzbetreiber – bis zu 18,5 GW aus dem Ausland beziehen. Vorausgesetzt, das Ausland kann diesen Strom liefern. Denn wenn in Deutschland Nacht ist, scheint auch im Rest Europas keine Sonne. (Kein) Wind hält sich ebenfalls nicht an Landesgrenzen. Kein Strom für Licht und Fernseher dürften jedoch das kleinste Problem sein.

Düstere Aussichten

Mit den geplanten Abschaltungen und Fertigstellungen von Kraftwerken in Verbindung mit dem Kraftwerkstyp lassen sich sowohl die installierte als auch die gesicherte Leistung zuverlässig vorhersagen. Beim Strombedarf wird es schwieriger, sodass man auf die Erfahrungswerte zurückgreift – beispielsweise aus dem Dezember 2016. Ähnliche Werte gab es auch im Februar 2018.

Unter diesen Bedingungen errechneten die Übertragungsnetzbetreiber in ihrem letzten Leistungsbericht (2019) für das aktuelle Jahr 2022 eine Reserve von minus 7,2 GW. Mit anderen Worten, selbst mit allen verfügbaren Kraftwerken, könnte der Strombedarf nur mithilfe von Stromimporten gedeckt werden.

Zum zweiten – und letzten – Mal wiesen die Übertragungsnetzbetreiber damit eine negative Netzreserve aus. Der Folgebericht wurde nicht erstellt oder nicht veröffentlicht. Stefan Spiegelsperger, Energie- und Blackout-Experte, hat sich gefragt, warum. Nach Erscheinen des „Monitoringbericht Energie 2021“ der Bundesnetzagentur, hat er den fehlenden Stresstest kurzerhand selbst berechnet. Das Ergebnis liegt Epoch Times vor und offenbart einen Blick in eine wortwörtlich düstere Zukunft:

Für 2022 konnte er die Prognose der Netzbetreiber bestätigen. Auf Basis des tatsächlichen Zu- und Abbaus von Kraftwerken errechnete Spiegelsperger eine Netzreserve von – 8,2 GW. Mit den weiteren geplanten Abschaltungen und dem aktuellen Stromverbrauch fehlen im Januar 2023 voraussichtlich schon 14,1 GW.

Nur noch eine Frage der Zeit?

Dass dieser Wert mehr als realistisch ist, bestätigten Daten der Netzbetreiber Anfang 2022: Am 10. Januar um 17 Uhr lieferten Solaranlagen erwartungsgemäß keinen Strom. Alle Windkraftanlagen zusammen lieferten etwa 2,2 GW – ein Bruchteil der installierten Leistung. Mit allen anderen Kraftwerken standen 54,6 GW Leistung zur Verfügung. Dem gegenüber stand ein realer Stromverbrauch von 69,4 GW. Das heißt, bereits Anfang 2022 fehlten 14,8 GW.

Den nötigen Strom fanden die Übertragungsnetzbetreiber in bulgarischen und rumänischen Steinkohlekraftwerken . Ein „kleiner Defekt“ in Kroatien führte schließlich zur Auftrennung des europäischen Netzes, wobei es in Mitteleuropa zu einer Unterdeckung kam. Gezielte Lastabwüfe, also Stromabschaltungen bei diversen Verbrauchern,  konnten einen flächendeckenden Stromausfall verhindern.

Zum Glück lag die nachgefragte Leistung zu diesem Zeitpunkt lediglich bei knapp 70 statt bei über 80 GW aus dem Stresstest. Bei mehr als 25 GW hätten auch alle grenzüberschreitenden Stromleitungen Deutschland nicht versorgen können. Aller Voraussicht fehlen auf Dauer jedoch nicht 14 oder 25 GW, sondern eher 65 GW oder noch mehr.

Gemeinsam mit Biomasse, Wasserkraft und sonstigen zuverlässigen Quellen wie Müllverbrennungsanlagen liegt die gesicherte Leistung ohne fossile Kraftwerke bei gerade mal 15 GW erklärt Prof. Dominik Möst von der Technischen Universität Dresden in der Fachzeitschrift für Energiewirtschaft und Energietechnik „BWK Energie“. Damit in Deutschland Strom weiterhin zuverlässig aus der Steckdose kommt, seien jedoch mehr als 80 GW nötig, die wetterunabhängig zur Verfügung stehen. – Und das bevor in jeder Garage ein E-Auto lädt und jedes Haus über eine Wärmepumpe verfügt.

65 GW fehlende Leistung würde bedeuten, dass man 80 Prozent aller deutschen Verbraucher vom Netz trennen müsste. Die Frage, die sich dann stellt, ist, für wie lange? Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) empfiehlt: Sie sollten „10 Tage ohne Einkaufen überstehen können.“

Zur Person

Stefan Spiegelsperger ist aufgewachsen „in einem kleinen Dorf mit 50 Einwohnern, 55 Katzen und 120 Kühen“. Als ehemaliger Gebirgsjäger der Bundeswehr, gelernter Energieanlagenelektroniker und ehrenamtlicher THW-Helfer beschäftigt er sich seit mehreren Jahrzehnten mit dem Thema Strom, und wie man ohne Strom (über)leben kann.

Seine langjährige Tätigkeit als freier Makler für Baufinanzierungen und Versicherungen hat er während der Corona-Krise aufgegeben und betreibt nun Vollzeit den YouTube-Kanal „Outdoor Chiemgau“, auf dem er regelmäßig über Energiethemen und Outdoor-Ausrüstung berichtet sowie Tipps zur Krisenvorsorge gibt.

Seine Berechnungen des Leistungsberichts können Sie hier herunterladen. Mehr über den Bericht erfahren Sie im Video:

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Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 32, vom 19. Februar 2022.



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