„Warum Johann Sebastian Bach keine Oper schrieb“

Der größte Komponist aller Zeiten schrieb keine Oper. Einer stellt nun die hypothetische Frage: Warum denn eigentlich nicht?
Titelbild
Mit seiner Amtseinführung am 30. Mai 1723 in der Nikolaikirche nahm Bach den Dienst in Leipzig als Thomaskantor auf; er sollte diese Stelle bis zu seinem Tod 1750 behalten. Als Kantor und Musikdirektor war er für die Musik in den vier Hauptkirchen der Stadt verantwortlich.Foto: istockphoto
Von 7. November 2022

Er zählt zu den bedeutendsten Komponisten der Musikgeschichte und wird von zahlreichen Musikliebhabern als der größte Tonschöpfer aller Zeiten verehrt. Johann Sebastian Bachs umfangreiches Werk gilt als Vollendung und Höhepunkt der Barockmusik. Jedoch hat der Virtuose nie eine Oper geschrieben – und das, obwohl er in der Glanzzeit dieses Genres lebte. In seinem aktuellen Buch „Warum Johann Sebastian Bach keine Oper schrieb“ geht der Schweizer Philologe, Essayist und Bachbewunderer Iso Camartin auf historische Spurensuche. Mit detektivischem Gespür deutet er an, wie Bach seinerzeit mit Opern in Berührung gekommen sein und ob ihn das Opernfach nicht doch gereizt haben könnte.

Mit Epoch Times sprach Camartin über die zentralen Elemente in Bachs Musik, über das Ideal, das er anstrebte, und darüber, wie der Virtuose wohl als Privatperson gewesen sein musste.

Johann Sebastian Bach 1746, mit Rätselkanon (Zweitversion des Ölgemäldes von Elias Gottlob Haußmann) Foto: public domain

Herr Camartin, welche Bedeutung spielt Bach in Ihrem Leben?

Ich stamme aus einem katholischen Milieu – dort ist Bach eher ein Stiefkind, auch wenn es eine ganze Reihe von Bachstücken gibt, die man auch dort mitbekommt. Aber den Kirchen- und Kantaten-Bach habe ich erst später für mich entdeckt, als ich mich näher mit seinem Werk befasste. Bach ist für mich in den letzten Jahren einer der ganz wichtigen und täglichen „Versorgungsmittel“ geworden. Ich könnte ohne Bach eigentlich gar nicht mehr leben.

Ihr aktuelles Buch trägt den Titel „Warum Johann Sebastian Bach keine Oper schrieb“. Was trieb Sie dazu an, dieses Thema genauer unter die Lupe zu nehmen?

Ich habe mich immer viel mit Musik beschäftigt, vor allem mit der Oper. Es folgte die Zusammenarbeit mit dem Bach-Spezialisten Rudolf Lutz, dem Künstlerischen Leiter der Bach-Stiftung Sankt Gallen. Wir haben gemeinsam an einem Projekt gearbeitet und uns die Frage gestellt: Was ist dramatisch im Werke von Bach? Daraus entwickelte sich später der Plan, ein Libretto oder dergleichen darüber zu schreiben, warum Bach denn keine Oper geschrieben hat. Damit habe ich mich in letzter Zeit intensiv beschäftigt.

Es gibt nur sehr wenige Zeugnisse über den Menschen Bach. Kann man anhand seiner Musik, seiner Arien schließen, wie Bach als Privatperson war? 

Wir haben keine direkten Dokumente persönlicher Art, da diese in der Barockzeit und vor allem in einer fast pietistischen Umgebung auch keine solch große Rolle spielen durften. Aus der Musik heraus, aus den Arien-Texten, den Kirchen-Kantaten, aber auch aus den weltlichen Arien, wissen wir genau, dass Bach ein sehr lebensfroher und auch dem Genuss vollkommen zugewandter Mensch war. Er hatte zwar durchaus diese geistige Dimension und Überlegungen mystischer Tiefe, war aber auch ein dem Leben zugewandter Mensch. Er liebte seine Frau und seine Familie und genoss genauso auch den Wein und andere weltliche Dinge.

Es gibt in seinem Werk unendlich viele Stellen, an denen man den Eindruck gewinnt, man würde gerne mit ihm zusammensitzen und auch feiern. Er war ein durchaus barocker Mensch in diesem Sinne. Solange wir am Leben sind – auch wenn man immer um den Tod wusste – war Lebensfreude eines der zentralen Elemente bei Bach. Auch die Erfahrung von Schönheit, Größe, Würde, auch von Virtuosität war ihm wichtig. Was der Mensch zustande bringen kann, wenn er denn ein guter Musikus wird, sich bemüht und weiterbildet.

Bach lebte in der Hochglanzzeit der Oper, im Barock. Dennoch schrieb er keine Oper. Was hielt ihn davon ab?

Wenn Bach 1721 berufen worden wäre, nach Berlin zu gehen, was für eine Weile eine Option gewesen war, hätte er ganz gewiss Opern für Berlin und für den preußischen König geschrieben. Da er allerdings nach Leipzig und an eine Kirchenmusikschule ging und dort Kantor wurde, lag sein Schwerpunkt in diesen Jahren ganz woanders.

Erst ab 1730, als die intensive Phase der Jahreszyklen der Kirchenkantaten abgeschlossen war, wandte er sich mit seinem Kollegium auch der weltlichen Musik, der Instrumentalmusik zu. Seine zweite Frau, die einen wunderbaren Sopran gehabt haben musste, führte mit Freuden Sopranarien auf. Bach entwickelte in der Zeit in seinen Arien eine Art von Nähe zur weltlichen Gesangsmusik. Später setzte er sie für weltliche Zwecke oder für Kirchenzwecke ein und formte sie um.

Das Entscheidende ist aber die Lebensfreude, auch beim späten Bach, trotz seiner Krankheit und trotz seines Spezialistentums. Er sah Musik als eine Wissenschaft an, das war ihm das Wichtigste. Musik sollte nicht nur der Unterhaltung dienen, leicht und vergnüglich sein, sondern auf der wissenschaftlichen Seite komplexe Inhalte vermitteln. Das war, was er wollte und auch was er am allerbesten konnte.

Nach welchem Ideal strebte Bach in seiner Musik? Und welche Techniken wandte er an, um dies zu erreichen?

Ich bin ganz sicher, dass er die vergnügliche Seite kannte und sogar achtete. Er hat zum Teil so gesellige Melodien in seinen Arien, die inzwischen zu richtigen Schlagern geworden sind. Das Entscheidende für ihn war allerdings die Kompositionskunst und die instrumentelle Virtuosität. Das war ihm wichtig. Er schrieb so wunderbare Dinge für Tasteninstrumente, auch für Streicher und Bläser, Holzbläser und Trompeten, wie wir etwa aus dem Weihnachtsoratorium wissen. Es gibt einen riesigen Fundus an weltlichem Bach, wenn man so will, und an einem Virtuosen, wie man ihn in der Barockzeit nicht schöner denken kann.

Religion spielte für ihn eine zentrale Rolle. Man muss wissen, in der Barockzeit hatte man vieles erlebt, auch an Leid in der Welt. Bei aller Lebensfreude, von der ich gesprochen habe, gibt es keinen Menschen, der die Musik, etwa zu dem Text „Erbarme dich, mein Gott“, ergreifender in Töne hat setzen können als Bach selbst.

Wir wissen, dass es in der Kirchenmusik der lateinischen Herkunft, also beispielsweise in Messtexten oder im Stabat Mater der italienischen Tradition, ganz großartige Vertonungen von Religiosität gibt. Bei Bach war das eine absolut zentrale Dimension. Er konnte sich ein Leben, das sozusagen im Nichts verschwindet, nicht vorstellen. Es entsprach auch gar nicht all dem, was man in der Reformationszeit als die Endlichkeit des Daseins verstand. Bach hat selbst so viel Leid erlebt, einige seiner Kinder starben, auch seine erste Frau, von der er sich nicht hat verabschieden können. Er ging auf Reisen und als er zurückkam, war seine Frau tot und bereits begraben. Man weiß, dass in dieser Zeit die Leides- und Todeserfahrung etwas zentral Prägendes für die Menschen war. Und das vermochte Bach eben in Töne zu fassen.

Er hat seine Kompositionen mit der Bemerkung „Soli deo Gloria“ Gott gewidmet.

Absolut. Die Priorität für einen Menschen, einem Geschöpf Gottes, war natürlich zunächst Gott die Ehre zu erweisen als Schöpfer. Aber auch diese Art des menschlichen Zugangs, des Gefühlszugangs zur Religion, war ihm sicher ganz wichtig. Religion war für ihn nicht nur Katechismus und irgendwelche Dogmen, an die man glaubt und an denen nicht zu rütteln ist. Religion war für ihn gelebtes Leben.

Für ihn war die Kirche daher ein Ursprungsbrunnen für alles, was er gemacht hat. Auch wenn er in seine Kantaten Tänze eingebaut hat, könnte man sich fragen: Waren denn die Nikolaikirche oder die Thomaskirche, für die er zuständig war, die richtigen Bühnen für seine Musik?

Man muss schon auch sagen, dass er sich in Weimar, als er dort in der Kirche als Organist, aber auch als Orchesterleiter und Kantor tätig war, sehr wohlgefühlt hat. Auch wenn er mit den kirchlichen Obrigkeiten und den Schulbehörden oft Streit hatte, war er doch jemand, der den Kirchendienst als etwas gesehen hat, das zu einer höheren Würde Gottes und auch des Menschen beiträgt.

Sie sind ein großer Opernliebhaber – welche ist Ihre Lieblingsoper?

Schwer zu sagen. Die Mozart-Opern, vor allem die italienischen, die große Trias: Figaro – Don Giovanni – Così, das sind ganz sicher Höhepunkte der Operngeschichte, die man nie vergessen wird. Von Monteverdi bis zu Alban Berg gibt es fantastische Werke, an denen man die Natur des Menschen und die Größe der Kunst auf eine unglaubliche Art erfahren kann. Diese besondere Faszination der Oper auf einer Bühne, menschliche Stimmen, die plötzlich etwas in einem verwandeln – das ist die große Kunst und Chance der Musikform Oper.

Tolstoi sagte, Musik sei die höchste aller Künste. Würden Sie dem zustimmen?

Ja, das würde ich schon sagen. Diese Hierarchien sind ein bisschen schwierig, aber es ist definitiv eine der Künste, die den Menschen in einer gewissen Art und Weise ergreift. Musik packt den Menschen anders als die anderen Künste. So großartig eine Kathedrale, eine Malerei oder auch ein Film sein mag – im Film spielt die Musik auch eine große Rolle – ist die Musik eine dominante Trägerin des Schönheitsempfindens für den Menschen. Vor allem vermag Musik Menschen zu erschüttern und ihr Inneres zu bewegen. Wenn das ein Ziel der Künste ist, dann geschieht das am meisten und am direktesten durch die Musik.

Welche drei Werke Bachs sollten auf keinen Fall in einer Bach-Oper fehlen? 

Die „h-Moll Messe“ ist nach wie vor unerreicht, die Passionen natürlich auch. Wenn man sich in die Cello-Suiten, Violin-Suiten und Partiten vertieft, oder auch ins „Wohltemperierte Klavier“, dann muss ich sagen: Den großen Bach kann man auch in kleinen Stücken finden.



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