Freude schöner Götterfunken



Vor 200 Jahren wurde Ludwig van Beethovens Neunte Sinfonie zum ersten Mal aufgeführt. In ihr verschmelzen Musik und Dichtung zu einem einzigartigen Meisterwerk.


Titelbild
Partitur des Schlusschors zu Schillers Ode „An die Freude“ für großes Orchester, 4 Solo- und 4 Chor-Stimmen, Ludwig van Beethoven, B. Schotts und Söhne, Erstedition, 1826.Foto: Daderot, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=87054397
Von 7. Mai 2024

Acht große Sinfonien hat Ludwig van Beethoven bis 1814 innerhalb von nur 14 Jahren komponiert. Weitere zwölf Jahre dauert es, bis am 7. Mai 1824 seine neunte und letzte vollendete Sinfonie erklingt. In ihrem Schlusssatz setzt Beethoven zusätzlich zum Orchester Gesangssolisten und einen gemischten Chor ein. Sie singen Schillers schon damals berühmte Ode „An die Freude“.

Frühe Begeisterung

Beethovens begeisterte Beschäftigung mit dem Gedicht des elf Jahre älteren Schiller hatte schon Jahrzehnte zuvor begonnen. 1785 verfasst der damals 26-jährige Schiller die Hymne über die göttlichen Gaben der Freude, Freundschaft und Brüderlichkeit. Ein Jahr später wird seine Ode veröffentlicht und erfährt großen Widerhall. Auch Ludwig van Beethoven ist fasziniert.

Friedrich Schiller (1759–1805) um 1793. Gemälde von Ludovike Simanowiz. Foto: Public Domain

So berichtet 1793 der Bonner Jurist Bartholomäus Fischenich in einem Brief an Schillers Ehefrau Charlotte über ein Gespräch mit seinem Freund Beethoven über den hochverehrten Schiller und seine Arbeit. Der Komponist werde „Schiller’s Freude und zwar jede Strophe bearbeiten.“ Er erwarte, so Fischenich weiter, „Vollkommenes, denn so viel ich ihn kenne, ist er ganz für das Große und Erhabene.“

Bahnbrechende Idee

Und tatsächlich entsteht bereits in Beethovens Bonner Jahren eine Komposition für Klavier und Gesangsstimme, der die Ode Schillers zugrunde liegt. Diese erste Auseinandersetzung Beethovens mit Schillers berühmter Dichtung ist heute verschollen, die Begeisterung des Komponisten für die Hymne „An die Freude“ jedoch bleibt über diese Komposition hinaus bestehen.

Porträt Ludwig van Beethovens mit Lyra um 1805 von Joseph Willibrord Mähler, 117,5 cm x 90 cm, Öl auf Leinwand, Museen der Stadt Wien. Foto: Public Domain

1818 fasst Beethoven erstmals die Idee eines gesungenen Finales für die von ihm geplante Neunte Sinfonie ins Auge. Weitere vier Jahre später, im Herbst des Jahres 1822, kann er endlich beginnen, Skizzen auszuarbeiten und seine Ideen zielstrebig zu Papier zu bringen.

Dramatische Ereignisse

Arbeitsreiche und bewegte Jahre voll dramatischer historischer Ereignisse liegen hinter ihm. Die gesellschaftlichen Erschütterungen durch die Französische Revolution und ihre Nachwehen, die grausamen Napoleonischen Kriege und die machtpolitischen Umwälzungen, die der Wiener Kongress einleitet, prägen die Epoche und ihre Menschen.

Beethoven selbst kämpft darüber hinaus mit einer stetig zunehmenden Taubheit und der durch sie wachsenden persönlichen Vereinsamung und sozialen Isolation.

Quellen des Lebensmutes

Dass er in dieser geschichtlichen und persönlichen Lage das Gedicht Friedrich Schillers wieder aufgreift, bezeugt seinen innigen Wunsch, sich ganz bewusst der Freude und der Schönheit zuzuwenden. Diese göttlichen Quellen von Lebensmut, Kraft und Hoffnung will Beethoven hörbar machen, obwohl er selbst an der eigenen Gehörlosigkeit fast verzweifelt. Doch der Tragik des Schicksals zum Trotz singt und klingt es in seinem Inneren.

Lose Notenblätter

Bis zum Herbst 1823 stellt er die Niederschrift der ersten drei Sätze der Sinfonie fertig. Im Frühjahr 1824 ist auch der vierte und letzte Satz vollendet.

Mehr als 200 lose Notenblätter – in Bündel zusammengefasst – werden nun von erfahrenen Notenschreibern akribisch kopiert, um sie Orchester, Chor und Solisten für die Proben bereitstellen zu können.

Das Theater am Kärntnertor, Aquarell von Carl Wenzel Zajicek (1860–1923), Blick vom Spitalplatz (heute Albertinaplatz) nach Osten. Ende des 19. Jahrhunderts wurde das barocke Gebäude abgerissen. Foto: Public Domain

Am Abend des 7. Mai 1824 kommt es zur umjubelten Erstaufführung im Wiener Kärntnertortheater, bei der Ludwig van Beethoven, wie Augenzeugen berichten, dem dirigierenden Kapellmeister assistiert und „in seiner Originalpartitur nachlesend“ die Einsätze der wechselnden Tempi gibt.

Von den Lippen abgelesen

Auch während des letzten Satzes steht er mit dem Rücken zum Publikum, um den Sängern die Worte von den Lippen ablesen zu können. Als der letzte Ton verklungen ist, setzt frenetischer Applaus ein. Doch auch dieses Tosen hört Beethoven nicht. Kein Ton oder Geräusch der Außenwelt kann die Stille durchbrechen, die ihn inzwischen umgibt.

Die Sängerin Caroline Unger soll Beethoven mit sanfter Geste zum Publikum gedreht haben. Nur dadurch nimmt er die Begeisterung des Publikums wahr und dankt, wie ein Anwesender berichtet, „in linkischster Weise“.

Ludwig van Beethoven im Jahr der Uraufführung, 1824. Radierung von Johann Stephan Decker, heute in der Staatsbibliothek zu Berlin. Foto: Public Domain

Welch ganz erstaunliches Bild muss sich dem tauben Komponisten geboten haben, als er in die freudestrahlenden Gesichter der Zuhörer blickt, nachdem er in seinem Inneren die Klänge seiner Sinfonie vernommen hat.

Siegeszug in die Welt

Schon am 23. Mai 1824 wird ihre Aufführung in Wien aufgrund des überwältigenden Erfolges wiederholt. Ihr Siegeszug beginnt. 1825 erklingt sie in London, Frankfurt und Aachen, 1826 in Leipzig, Bremen und Berlin.

Freiheit schöner Götterfunken

163 Jahre später, im Jahr 1989, wird sie dort von Leonard Bernstein dirigiert. Einmal im Osten und einmal im Westteil der Stadt, die sich in diesem Jahr zu einem Ort grenzenloser Freude gewandelt hat. Gerade ist die Berliner Mauer nach 40 Jahren grausamer Trennung ohne Blutvergießen gefallen.

Leonard Bernstein tut in diesem historischen Moment Unerhörtes: Er greift an zentraler Stelle in den Text von Schillers Ode ein und ersetzt das Wort „Freude“ durch „Freiheit“. Denn in diesen denkwürdigen Tagen sind die beiden Worte zu Synonymen geworden.

Meisterwerk gegen die Mutlosigkeit

Das Meisterwerk aus Musik und Dichtung, das seit seiner Uraufführung Millionen Menschen inspiriert und einen Weg aus Materialismus, Spaltung und Mutlosigkeit weist, entfaltete im Jahr 1989 ganz besonders kraftvoll und leuchtend seinen unvergleichlichen Zauber.

Und: Immer wieder erinnert es uns an die Macht göttlich inspirierter Kunst, 
die die unzähmbare Fähigkeit besitzt, sich durch wahre Freude und Schönheit der Banalität des Bösen entgegenzustellen.



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