Vom Himmel hoch, da komm ich her!

Der Nürnberger Christkindlesmarkt kann auf eine lange, bewegte Geschichte zurückblicken. Weit über die Landesgrenzen hinaus ist sein Name mit der Vorfreude aufs Weihnachtsfest verbunden.

Titelbild
Das Christkindl, 2022 gespielt von Teresa Windschall, bei ihrer Festansprache vom Balkon der Frauenkirche zur Eröffnung des Weihnachtsmarktes in Nürnberg, Deutschland.Foto: Johannes Simon/Getty Images
Von 6. Dezember 2023

„Ihr Herrn und Frau’n, die Ihr einst Kinder wart, Ihr Kleinen, am Beginn der Lebensfahrt, ein jeder, der sich heute freut und morgen wieder plagt: Hört alle zu, was Euch das Christkind sagt!

In jedem Jahr, vier Wochen vor der Zeit, da man den Christbaum schmückt und sich aufs Feiern freut, ersteht auf diesem Platz, der Ahn hat’s schon gekannt, was Ihr hier seht, Christkindlesmarkt genannt.

Dies Städtlein in der Stadt, aus Holz und Tuch gemacht, so flüchtig, wie es scheint, in seiner kurzen Pracht, ist doch von Ewigkeit. Mein Markt bleibt immer jung, solang’ es Nürnberg gibt und die Erinnerung.“

Wundersam und schön

So beginnt das Nürnberger Christkind seinen feierlichen Prolog – hoch über der hölzernen Budenstadt mit ihren charakteristisch rot-weißen Dächern aus gestreiftem Stoff.

In schwindelnder Höhe, auf einer schmalen Brüstung vor der Fassade der gotischen Frauenkirche steht es, von Engeln und Posaunenbläsern flankiert – in helles Licht getaucht und zeitlos schön, in der winterlichen Dunkelheit zu frühabendlicher Stunde, nur wenige Tage vor dem ersten Advent.

Sein weißes Gewand mit den flügelähnlichen, weiten Ärmeln glänzt mit seinen blonden Locken und der goldenen Christkindles-Krone um die Wette.

Die zauberhafte Szene wirkt wie aus der Zeit gefallen und nur wenige wissen es: Das Erscheinen des Christkinds in luftiger Höhe ist eine vergleichsweise junge Tradition des Nürnberger Christkindlesmarktes.

Der Prolog und seine Wurzeln

Erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beginnt die Erfolgsgeschichte der sichtbar lebendigen, zu den Menschen sprechenden, himmlischen Gestalt, die in Nürnberg den Beginn der Weihnachtszeit verkündet.

Ironischerweise wurde die beliebte Tradition durch eine zutiefst unchristliche Bewegung angestoßen. 1933 hatten die Nationalsozialisten auch in der Stadt Nürnberg die Macht ergriffen. Vom Nimbus der mittelalterlichen Geschichte als freie Reichsstadt machten sie sofort Gebrauch und ernannten Nürnberg zur „Stadt der Reichsparteitage“. Noch im selben Jahr begann die Planung gigantomanischer Bauprojekte, die in den darauffolgenden Jahren auch in großem Umfang, Stück um Stück und zu horrenden Kosten realisiert wurden.

Sofort umsetzbar und kostengünstig war dagegen der Gedanke, den traditionellen Nürnberger Christkindlesmarkt mit einer feierlichen, propagandistisch gefärbten Rede durch eine als Christkind verkleidete Schauspielerin eröffnen zu lassen – im abendlichen Schein erstmals installierter elektrischer Beleuchtung. Doch schon in den Kriegsjahren gehen die Lichter wieder aus.

Der Nürnberger Christkindlesmarkt, Gemälde von Ludwig Mößler, vermutlich zwischen 1933 und 1939. Foto: Ludwig Mößler, Public Domain

Ersehnter Neubeginn

Erst 1948 findet der Christkindlesmarkt wieder statt, mitten in den Trümmern der ehemals prachtvollen Stadt, als ersehntes, hoffnungsvolles Zeichen des Neuanfangs und Wiederaufbaus.

Die Nürnberger Schauspielerin Sofie Keeser schlüpft in ein weiß glänzendes, bodenlanges Gewand, ein goldener Heiligenschein umrahmt das blonde Haar, zwei Nürnberger Mädchen stehen ihr in goldenen Engelsgewändern zur Seite.

 Der Prolog, den sie mit gut ausgebildeter Stimme spricht, ist vom Chefdramaturgen der städtischen Bühnen Friedrich Bröger neu verfasst worden.

Wirtschaftswunder

In den kommenden Jahrzehnten lässt das bundesdeutsche Wirtschaftswunder den Markt vom regionalen Großereignis zur jährlich wiederkehrenden Attraktion für die Nürnberger und ihre Gäste aus nah und fern werden.

Bis zu zwei Millionen Menschen zieht es in unseren Tagen in die „kleine Stadt aus Holz und Tuch“. 173 Holzbuden mit rot-weißen Stoffdächern stehen auch in diesem Jahr auf dem Nürnberger Hauptmarkt und dem Rathausplatz und wurden von den Marktleuten wieder liebevoll eingerichtet und dekoriert.

Blick auf den abendlichen Christkindlesmarkt unserer Tage. Foto: Roland Berger, CC BY-SA 3.0

Bewusst traditionsverbunden ist das Angebot der Waren gehalten: Nürnberger Lebkuchen, Bratwürste, Spezereien und Glühwein duften um die Wette.

Zwetschgenmännla, Rauschgoldengel, Krippenfiguren, Christbaumschmuck, Kerzen und Spielzeug schauen den Besuchern von ihren Auslagen aus freundlich entgegen.

Die beliebten Nürnberger Zwetschgenmännla wurden 1790 erstmals in einem Wörterbuch erwähnt. Foto: DALIBRI, CC BY-SA 4.0

Mittelalterliche Anfänge

Vor etwa 500 Jahren hat der herzerwärmende Markt in den kalten Tagen vor dem Weihnachtsfest sehr wahrscheinlich als einfacher Wochenmarkt für Lebensmittel und Hausgerätschaften seinen Anfang genommen.
 So berichtet der Nürnberger Ratsherr Willibald Pirckheimer 1530 in Briefen vom Interesse aus der weiteren Region. Nonnen aus dem Kloster Bergen nahe Hersbruck hätten im Advent, so Pirckheimer, „nach Gewürzen von dem Markt“ geschickt.

1545 dann führt der Reformator Martin Luther, im Bestreben, die katholische Heiligenverehrung zu bekämpfen, statt der Bescherung der Kinder durch den Heiligen Nikolaus am Vorabend des 6. Dezember das Christkind als Gabenspender am Heiligen Abend in protestantischen Landstrichen ein.

Schon sechs Jahrzehnte später muss der Pastor der Nürnberger Sebalduskirche Vesper- und Nachmittagspredigt ausfallen lassen, weil „wegen des Einkaufens zum Kinderbescheren keine Leut vorhanden gwest“.

Als ältester sicherer Nachweis für die Existenz des Christkindlesmarktes gilt heute jedoch eine Spanschachtel aus Nadelholz, auf deren Boden die Inschrift „Regina Susanna Harßdörfferin von der Jungfrau Susanna Eleonora Erbsin […] zum Kindles-Markt überschickt 1628“ zu lesen ist.

Nürnberger Elisenlebkuchen auf dem Christkindlesmarkt im Jahr 2018. Foto: DALIBRI , CC BY-SA 4.0

Besuchermagnet und plötzlicher Lockdown

350 Jahre später, im Jahr 1973, überschreitet die Besucherzahl die magische Zahl der Million. Damals wird der feierliche Beginn des Marktes vom 4. Dezember, dem Barbaratag, auf den Freitag vor dem ersten Adventssonntag vorverlegt, damit sich der Besucherzustrom ausgewogener verteilen könne.

Im Advent der Jahre 2020 und 2021 liegt das Herz Nürnbergs jedoch gespenstisch still und menschenleer. Erstmals seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs wird der beliebte und berühmte Markt kurzerhand abgesagt, 2021 sogar erst eine Woche vor seiner geplanten feierlichen Eröffnung.

Rückkehr zur Vorfreude

Nun aber erklingt er wieder, der weltweit berühmte, poetische Prolog am Eröffnungstag, den seit 1969 eine junge Nürnbergerin spricht, die alle zwei Jahre von den Bürgern und einer Jury für diese ehrenvolle Aufgabe ausgewählt wird.

Nach dem Verklingen ihrer Stimme hoch oben über dem Hauptmarkt, nach Posaunenklang und Chorgesang, hebt das fröhliche Markttreiben an und endet erst wenige Stunden vor dem Heiligen Abend.

Denn: 
„Ihr Herrn und Frau’n, die Ihr einst Kinder wart, seid es heut’ wieder, freut Euch in ihrer Art. Das Christkind lädt zu seinem Markte ein, und wer da kommt, der soll willkommen sein.“

 

 



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