Anne Brorhilker: Abgang einer Schlüsselfigur

Anne Brorhilker, die bekannteste Kämpferin gegen Finanzkriminalität in der Republik, verlässt den Staatsdienst. In einem WDR-Interview rechnet sie noch einmal mit der deutschen Justiz ab. Während eine Seite den überraschenden Abgang der Oberstaatsanwältin bedauert, sehen andere darin aber auch eine Chance.
Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker im Januar 2020 im Landgericht Bonn.
Anne Brorhilker verlässt überraschend den Staatsdienst.Foto: Oliver Berg/dpa
Von 27. April 2024

Für viele Menschen war es Anfang dieser Woche ein Paukenschlag: Die Chef-Ermittlerin für Cum-Ex-Fälle, Anne Brorhilker verlässt den Staatsdienst. Die Oberstaatsanwältin bei der Staatsanwaltschaft Köln schmeißt hin und macht in einem Interview mit dem WDR ihrem Ärger Luft.

„Ich war immer mit Leib und Seele Staatsanwältin, gerade im Bereich von Wirtschaftskriminalität, aber ich bin überhaupt nicht zufrieden damit, wie in Deutschland Finanzkriminalität verfolgt wird“, so Brorhilker. „Die Kleinen hängt man, die Großen lässt man laufen.“ Oft ginge es um Täter mit viel Geld und guten Kontakten, die auf eine schwach aufgestellte Justiz träfen. 

Bundeskanzler Scholz in Erklärungsnot

Anne Brorhilker machte sich in den vergangenen Jahren einen Namen als Chef-Ermittlerin in der Cum-Ex-Affäre. Ihre Ermittlungen führten zu den ersten Anklagen in einem der größten Steuerskandale in der bundesdeutschen Geschichte. Zwölf Milliarden Euro sollen die Geschäfte den Steuerzahler gekostet haben.

Banker, Berater und Aktienhändler ließen sich Steuern erstatten, die sie nie gezahlt hatten. Gegen mehr als 1.700 Beschuldigte ermittelt die Hauptabteilung bei der Staatsanwaltschaft in Köln unter Leitung von Oberstaatsanwältin Brorhilker. Erst 15 Tatverdächtige konnten bisher angeklagt werden. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz brachte die Juristin aus Köln in Erklärungsnot. 

Die Hamburger M.M. Warburg Bank war in den Steuerskandal verwickelt. 2016 forderte das Hamburger Finanzamt von der Bank 47 Millionen Euro zurück, die aus illegalen Finanzgeschäften stammten. Dann änderte die Hamburger Finanzverwaltung überraschenderweise ihre Meinung und die Bank durfte die 47 Millionen Euro zunächst behalten.

Zuvor hatte sich der Chef der Bank, Christian Olearius mehrmals mit Hamburgs damaligem Bürgermeister Olaf Scholz getroffen. Bis heute konnte Scholz nicht glaubwürdig ausräumen, dass die Politik damals in die Entscheidung der Finanzbehörde eingegriffen und so zum Meinungsumschwung der Behörde beigetragen hatte. 

„Für den Rechtsstaat eine Katastrophe“

Die Arbeit von Anne Brorhilker wurde durch die Politik immer wieder behindert. In einem gerade erst erschienenen Interview im „Freitag“ mit dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Linken, Fabio De Masi, der heute für das Bündnis Sahra Wagenknecht ins Europaparlament möchte, äußerte dieser sein Bedauern darüber, dass Brorhilker nun hingeschmissen hat. „Für den Rechtsstaat ist das eine Katastrophe“, so De Masi.

Weiter erinnerte der Ex-Abgeordnete, der als der Finanzexperte seiner Fraktion galt, daran, dass die Arbeit der Oberstaatsanwältin „zuweilen sabotiert“ worden war. Der grüne Justizminister von Nordrhein-Westfalen, Benjamin Limbach, habe sie zu „faulen Deals mit der organisierten Finanzkriminalität“ drängen wollen.

Auch ihr Anliegen, Ermittlungen zum Einfluss des Bundeskanzlers auf das Steuerverfahren der Warburg Bank zu führen, sei behindert worden. Das wurde mit der gehobenen Stellung des Bundeskanzlers begründet, die einer langwierigen Auswertung – etwa von beschlagnahmter Kommunikation von Scholz und seinen engen Vertrauten – entgegengestanden hätten. „Das verstößt gegen ein eisernes Prinzip: Ein Straßenfeger, ein Bankster oder ein Bundeskanzler müssen gleich vor dem Gesetz sein!“, so De Masi. 

Im vergangenen Herbst hatte Justizminister Limbach versucht, tiefgreifende Veränderungen bei der Staatsanwaltschaft Köln durchzusetzen. Diese stießen damals auf große öffentliche Kritik und wurden als Entmachtung von Oberstaatsanwältin Brorhilker verstanden. Limbach wollte die zuständige Hauptabteilung unter der leitenden Oberstaatsanwältin aufspalten.

Limbach hatte argumentiert, es gehe nicht um eine Entmachtung von Brorhilker, sondern um eine Entlastung und Beschleunigung, damit die zahlreichen noch anhängigen Verfahren nicht verjähren. Der Minister gab sein Vorhaben schließlich auf.

Kampf mit ungleichen Waffen

Anne Brorhilker kämpfte in den vergangenen zehn Jahren immer wieder mit ungleichen Waffen. Zwar ist ihre Abteilung mit 30 Staatsanwälten nicht so unterbesetzt, wie man nach ihrem WDR-Interview vermuten könnte. Der Staat steht aber erfahrenen Spezialanwälten gegenüber. So leistet sich etwa der ehemalige Vorstand der Warburg-Bank Olarius im laufenden Strafprozess gegen sich gleich vier Verteidiger. Einer von ihnen ist der frühere CSU-Bundestagsabgeordnete Peter Gauweiler. Assistiert werden diese Anwälte von Zuarbeitern und Kommunikationsberatern. 

Die Gerichtsverhandlungen verlaufen sehr detailreich. Beide Seiten präsentieren eine Vielzahl von Beweisstücken. Wer den Olarius-Prozess verfolgt, merkt schnell, wie hochkomplex die Materie ist. Zuletzt sorgten bisher unbekannte Ungereimtheiten im Terminkalender des als Kronzeuge fungierenden früheren Kompagnons des bereits verurteilten Rechtsanwalts Hanno Berger für Irritationen. Seitdem ist das Verfahren vorerst ausgesetzt.

Es ist offensichtlich, dass die immense Komplexität die Aufarbeitung der Fälle immer weiter verzögert. Aus einer umfangreichen Korrespondenz und einer Vielzahl von Tabellen muss mühsam ermittelt werden, was genau passiert ist und welche Personen welche Rolle dabei gespielt haben. Oftmals herrscht Ungewissheit darüber, ob ein Beschuldigter das Geschehen vollständig überblickt hat oder ob er lediglich unachtsam ein Dokument unterschrieben hat.

Wechsel zum Verein „Finanzwende“

Brorhilkers Arbeitsweise soll, so schreibt es etwa die „Welt“, sehr detailversessen sein. Schon vor Monaten hieße es aus Justizkreisen, so schreibt die „Welt“ weiter, Brorhilker werde nicht nur ausgebremst, sondern bremse mit ihrer Detailversessenheit auch selbst.

So habe es in der Behörde Überlegungen gegeben, weniger relevante Fälle zügig abzuarbeiten und in großem Stil gegen Geldbußen einzustellen. Diesem Vorschlag habe sich Brorhilker wenig aufgeschlossen gegenüber gezeigt. Insofern gäbe es, laut der „Welt“ nun in der Justiz auch Stimmen, die hoffen, mit dem Abgang von Brorhilker könnten die Verfahren nun wieder besser Fahrt aufnehmen. 

Anne Brorhilker hat auch schon eine neue Aufgabe: Sie wird Geschäftsführerin des vom ehemaligen Finanzpolitiker der Grünen, Gerhard Schick, gegründeten Vereins „Finanzwende“. Dieser setzt sich seit 2018, laut seiner Website, für „faire, stabile und nachhaltige Finanzmärkte“ ein. 

Wie „Finanzwende“ weiter schreibt, hätte der Verein im April 2023 eine Stelle „Bereichsleitung Finanzkriminalität“ ausgeschrieben, auf die sich Brorhilker dann im Herbst beworben habe.



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