Ehemalige Schulleiterin: Kinder können nie „genug spielen“

Spielen und Lernen? Warum diese Trennung veraltet ist, erklärt Dr. Jacqueline Harding in ihrem neuen Buch. Epoch Times verriet sie zudem, welche Form des Spielens am besten ist.
Spielen in der frühen Kindheit stärkt das Gehirn
Spielende Kinder sind glückliche Kinder.Foto: iStock
Von 18. Oktober 2023

Das Gehirn von Kleinkindern ist von Natur aus auf das Spielen ausgelegt. Dieser Auffassung ist Dr. Jacqueline Harding, ehemalige Schulleiterin, Autorin und Dozentin für frühe Kindheit an der Middlesex University, England. Demnach ist das Spielen für eine gesunde Entwicklung des Gehirns und somit auch des Kindes von entscheidender Bedeutung.

In ihrem neuen Buch „The Brain that Loves to Play“ (zu Deutsch: „Das Gehirn, das gerne spielt“) stellt Harding die traditionelle Trennung zwischen Spielen und Lernen infrage. Sie betont die wesentliche Rolle des Spiels in der frühkindlichen Erziehung und der ganzheitlichen Entwicklung von Kindern.

Mit dieser neuen Erkenntnis und ihrem Buch möchte die Autorin einen Denkanstoß zum Thema Spielen und Lernen bei Kindern im Alter von bis zu fünf Jahren geben, damit die Kleinsten der Familie gesund und gut gewappnet in ihr Leben starten.

Das Gehirn zum Leuchten bringen

Auf der Grundlage der neuesten Forschungsergebnisse auf dem Gebiet der Neurowissenschaften erörtert Dr. Harding, wie sich das Gehirn von Kleinkindern nicht nur nach Spiel sehnt, sondern auch, wie es davon lebt. Durch reichhaltige Sinneserfahrungen und spielerische Erkundung bauen Kinder neue Nervenbahnen auf und legen damit eine solide Grundlage für künftiges Lernen und Wachstum.

„In jenem Moment beginnt das [kindliche] Gehirn zu ‚springen‘ und vor Freude zu leuchten, da die Verbindungen zwischen den Neuronen beeindruckende Fortschritte machen. Zählt diese Erfahrung als Lernen? Absolut ja“, erklärt Harding zur Veranschaulichung der spielerischen Auswirkungen.

Demnach fördere Spielen im Kleinkindalter den Aufbau und die Entwicklung neuronaler Bahnen. Seien diese aktiv bis zum sechsten Lebensjahr aufgebaut worden, habe das einen tiefgreifenden und dauerhaften Einfluss auf die zukünftigen Möglichkeiten eines Kindes. Ein Abweichen von diesem angeborenen Spieltrieb könne demnach wichtige Lernerfahrungen und Wachstumschancen vorenthalten.

„Es scheint, dass der Körper und das Gehirn von Kleinkindern buchstäblich für das Spielen geschaffen sind. Das ist für ihre Entwicklung von entscheidender Bedeutung“, bekräftigt Harding. „Kinder sind von Natur aus zum Spielen verdrahtet, und jede dauerhafte Abweichung von diesem meisterhaften, von der Natur ausgedachten System hat ihren Preis.“

Für die Buchautorin stellt Spielen also keine reine Freizeitbeschäftigung für Kinder dar. Stattdessen plädiert Harding für einen ganzheitlichen Ansatz, der das Spielen als grundlegenden Aspekt der Entwicklung eines Kindes anerkennt. „Nach den neuesten Ergebnissen besteht kein Zweifel daran, dass das Gehirn gerne spielt – und es ist an der Zeit, dass auch wir Erwachsenen uns diesem Gedanken anschließen“, erklärt sie.

Druck durch Pandemie

Damit dies gelingt, schrieb Harding ihr Buch, das weniger als wissenschaftliche Sammlung und mehr als praktischer Leitfaden gedacht ist. So werden komplexe Zusammenhänge leicht verständlich erklärt und Fallstudien aus dem wirklichen Leben präsentiert. Laut Harding sollen Eltern so den Wert des Spiels für die Entwicklung ihrer Kleinkinder besser verstehen können.

Besonders die Herausforderungen der Corona-Pandemie habe langfristige Auswirkungen auf die psychische Gesundheit von Kindern gehabt. Spätestens jetzt sollten Eltern nach Dr. Hardings Empfehlung ihre Kinder durch Spielen unterstützen.

„Ich bin davon überzeugt, dass ein größeres Bewusstsein dafür, wie wir Kinder unterstützen können, für alle unerlässlich ist“, so die Buchautorin.

Drei Fragen an: Dr. Jacqueline Harding

Epoch Times: Welche Form des Spielens empfehlen Sie und warum?

Die „richtige Art des Spielens“ ist die, die in der Lage ist, ein bestimmtes Bedürfnis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Kindheit zu erfüllen. Rollenspiele und kreatives, fantasievolles Spiel zum Beispiel können tiefe emotionale Bedürfnisse befriedigen.

Der Trick besteht darin, dass Erwachsene aufmerksam sind und die Bedürfnisse ihres Kindes wahrnehmen, indem sie vor allem dessen Mimik und Körperbewegungen beobachten, denn diese Art der Kommunikation verrät uns oft sehr viel.

Eltern sollten die Interessen ihres Kindes verfolgen und sich fragen, was es zum Leben zu erwecken scheint. Auf diese Weise können sie anregende Spielmöglichkeiten anbieten, die den tiefsten Bedürfnissen des Kindes entsprechen. Das heißt:

Spielen mit allen Sinnen:

Wenn dem Kind erlaubt wird, die Welt mit allen Sinnen zu erkunden, scheint das junge, sich entwickelnde Gehirn „aufzuleuchten“. Die Neuronen, die auf den Autobahnen im Gehirn unterwegs sind, machen sich bereit für die Arbeit und bieten eine einzigartige Stimulation. Spielen mit Sand, Wasser und anderem formbarem Material ist ideal.

Fantasievolles und kreatives Spiel:

Insbesondere die Wiederverwendung alter Materialien ist eine Freude für den jungen Forscherdrang, denn sie ermöglicht Kindern, etwas Einzigartiges zu schaffen. Schon ein einfaches Sortiment an alten Pappkartons, kleinen Materialstücken und sicheren wiederverwendbaren Plastikflaschen kann Wunder bewirken.

Das sich entwickelnde Gehirn freut sich über eine Herausforderung, die die kognitiven Fähigkeiten der Kinder übersteigt – nur ein wenig –, sodass sie es gerade noch (be)greifen können. Auf diese Weise beginnen die Neuronen, sich zu verbinden und originelle Ideen zu bilden. Ein Beispiel: Eigene Musikinstrumente aus recycelten Gegenständen bauen.

Digitales Spielen:

Wir leben in einer zunehmend von den Medien beherrschten Welt, in der Kinder die nötige digitale Kompetenz brauchen, um sich in ihr sicher zurechtzufinden. Da die digitale Welt in absehbarer Zeit nicht verschwinden wird, müssen wir darauf achten, welche Medienplattformen für Kinder am besten geeignet sind.

Digitale Kompetenz ist wichtig, und wir müssen die Kinder auf ihre Zukunft vorbereiten. In Zukunft werden wir Kinder brauchen, die in der Lage sind, kritisch zu denken und kreative Problemlösungen zu finden. Die Fähigkeiten verändern sich. Ich glaube, dass diese Fähigkeiten im Laufe der Zeit an Bedeutung gewinnen werden. Wir brauchen Kinder, die in der Lage sein werden, einige Probleme zu lösen, die unsere Generation und die Generationen vor uns geschaffen haben.

Dies bedeutet jedoch nicht, dass die Betonung auf kreativem, fantasievollem, natürlichem und freiem Spiel liegen muss. Im Gegenteil, es ist sogar noch wichtiger, dass Kinder spontan und mit allen Sinnen spielen und dabei selbst bestimmen können, was sie tun. Digitale Plattformen können einfach nicht mit anderen Spielformen konkurrieren, wie zum Beispiel mit dem Herstellen von Matschkuchen, dem Züchten von Kressesamen, dem Malen und allgemein mit dem Spielen im Freien. Das junge, sich entwickelnde Gehirn liebt diese eindringlichen praktischen Erfahrungen und freut sich über die Möglichkeit, die Welt zu erkunden.

Sorgfältig recherchierte digitale Plattformen, die es den Eltern ermöglichen, Zeitlimits festzulegen, sind perfekt. Auf diese Weise kann die vereinbarte Zeit jede Aufregung über die Beendigung der Bildschirmzeit entschärfen. Kinder müssen in altersgerechter Weise an die digitale Sicherheit herangeführt werden.

Tipps für das digitale Spielen sind einfach. Fragen Sie sich, was ein digitales Gerät Ihrem Kind bieten könnte:

  • Ist es interaktiv?
  • Ist es integrativ?
  • Ist es kreativ und fantasievoll?
  • Ist es sicher?
Gemeinsam Bücher lesen:

Manchmal möchten kleine Kinder dieselbe Geschichte immer wieder hören, weil sie ein tiefes, emotionales oder vielleicht soziales Bedürfnis in ihnen weckt. Geschichten haben die Fähigkeit, uns etwas über die Welt oder uns selbst zu erzählen. Warum nicht ein Puppentheater veranstalten, indem man Puppen aus Pappe oder anderen recycelten Materialien herstellt?

Rollenspiele:

Wenn Kinder in Rollenspiele verwickelt sind, belohnt sich das Gehirn oft selbst dafür, dass sie sich in diesem imaginären Raum befinden. Die Kinder beginnen, die Welt aus der Perspektive einer anderen Person zu sehen und „in deren Schuhe zu schlüpfen“.

Wie beeinflusst die soziale Komponente, also, ob Kinder zusammen oder allein spielen, die kindliche Entwicklung?

Kinder durchlaufen im Laufe ihrer Kindheit verschiedene Stadien des Spiels. Im jüngsten Alter bezeichnen wir dies als „Solospiel“, bei dem sie in ihre eigene Spielwelt eintauchen. Dann gehen sie zum „Beobachten“ über, bei dem sie beginnen, andere wahrzunehmen. Nach einer Weile geht ihr Spiel in das „Parallelspiel“ über, bei dem sie andere wahrnehmen und beginnen, buchstäblich „mitzuspielen“.

Später beginnen Kinder, sich wirklich mit anderen Kindern zu verbinden, was als kooperatives Spiel bezeichnet wird. Im Alter von etwa sechs Jahren beginnen Kinder, auf einer Ebene des „komplexen kooperativen Spiels“ zu spielen – das bedeutet, dass sie sich gegenseitig Rollen in ihrem Spiel zuweisen können, die immer komplexer werden. Gleichzeitig geht das Solospiel ein Leben lang weiter.

Als Faustregel, wie viel sollten Kinder in bestimmten Altersgruppen pro Tag spielen?

Es sollte kein Zeitlimit festgelegt werden. Kinder müssen jeden Tag spielen, und zwar so viel, wie es die Zeit zulässt, je nach den persönlichen Gegebenheiten der Familie. Eine endlose Spielzeit wäre wunderbar, aber die praktischen Gegebenheiten des geschäftigen Lebens machen dies unmöglich. Das vorherrschende Missverständnis, es gäbe eine Trennung zwischen Lernen und Spielen, ist nicht hilfreich.

Kinder haben einen biologischen Drang zum Spielen, also müssen sie spielen. Es ist, als wüssten der Körper und das Gehirn des Kindes, dass das Spielen so wichtig ist wie die Luft zum Atmen. Wenn wir wollen, dass Kinder wirklich etwas über die Welt lernen und mit anderen in Kontakt treten, dann ist das spontane Spiel der richtige Weg. Am wichtigsten ist:

  • Legen Sie großen Wert auf das Spiel, da es buchstäblich das Gehirn aufbaut.
  • Bieten Sie kreative, wiederverwendbare und formbare Materialien an.
  • Bieten Sie Kindern die Möglichkeit, beim Spielen zu träumen und sich etwas vorzustellen.
  • Versuchen Sie, sich als Eltern Zeit für Kreativität zu nehmen. Es kann auch Ihr Leben bereichern und Ihr Nervensystem beruhigen, besonders in den stressigsten Zeiten. Eine eigene Spielzeit kann Ihnen ebenso helfen, zu verstehen und zu schätzen, wie viel Ihrem Kind das Spiel bedeutet.


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