Fritz Vahrenholt: Die Energiewende scheitert im Zeitraffer

In einem Gastbeitrag spricht Fritz Vahrenholt über die Energiewende und die drei großen deutschen Tabugesetze der Bundesregierung.
Tabugesetz und Energiewende der Bundesregierung
„Solange wir in Deutschland Erdgas benötigen, ist es – freundlich ausgedrückt – ein Schildbürgerstreich, dass wir es nicht bei uns fördern“, sagte Hans-Joachim Kümpel, früher Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe.Foto: iStock
Von 4. Juli 2022

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Bevor wir auf Tabugesetz und Krise der Energiewende zu sprechen kommen, werfen wir einen Blick auf die Temperaturentwicklung, die ja ein Auslöser der Klimastrategie der Bundesregierung ist. Die Abweichung der globalen Temperatur vom 30-jährigen Mittel der satellitengestützten Messungen der University of Alabama (UAH) ist im Juni 2022 gegenüber dem Mai von 0,17 Grad auf 0,06 Grad Celsius erneut gesunken. Die Temperatur steigt seit 40 Jahren um durchschnittlich 0,13 Grad Celsius pro Jahrzehnt. Das ist kein Grund, sich auf deutschen Straßen anzukleben.

Und denjenigen, die unsere Sommerwärme dem anthropogenen Klimawandel zuschreiben, sei gesagt: In den Tropen war der Juni 2022 der kühlste Juni seit 22 Jahren. Und auch die Temperaturen im mittleren Atlantik liegen nunmehr 0,2 Grad Celsius unterhalb des Mittelwerts der vergangenen 30 Jahre. Hier deutet sich möglicherweise das Ende der 30-jährigen Warmphase des Atlantiks an.

Wir müssen politische Tabus überwinden

Die Energiepreiskrise begann Mitte 2021 als Folge energiepolitischer Entscheidungen in Europa und in Deutschland. Der Verzicht auf 20.000 MW Kohlekraftwerke in Europa, der Ausstieg aus der Kernenergie in Deutschland, der durch die EU-Kommission gewollte Anstieg der CO₂-Preise auf 90 €/t CO₂ (was den Gasstrompreis verdoppelte und den Braunkohlenstrompreis verdreifachte) traf auf eine gestiegene Nachfrage nach der Pandemie. Zusätzlich wurden in vielen Staaten (USA, England, Deutschland) die Ausweisung neuer Fördergebiete für Öl und Gas untersagt. Der Krieg Russlands in der Ukraine verschärfte seit Februar 2022 die Situation.

Reichen die politischen Antworten aus? Die Vertröstung auf Importe von Flüssiggas, der Ausbau der Wind- und Solarenergie, der befristete Verzicht auf den Ausstieg der in diesem Jahr zur Abschaltung anstehenden Kohlekraftwerke? Der Hinweis auf ein kürzeres Duschen? Die drei großen deutschen Tabus, die uns in diese Lage gebracht haben, werden von der Bundesregierung nicht aufgegriffen. Wir schauen sie uns an.

Heimische Gasförderung statt 100 Prozent LNG

Um das Pipelinegas aus Russland zu ersetzen, plant die Bundesregierung den Bau von LNG-Terminals an der Nordseeküste. So soll insbesondere das Erdgas aus den USA, das durch Fracking gewonnen wird, importiert werden. Seit einem halben Jahr wird wertvolle Zeit verloren, in der die Bundesregierung keinen Gedanken daran verschwendet, die eigenen großen Gasvorkommen erschließen zu lassen.

„Solange wir in Deutschland Erdgas benötigen, ist es – freundlich ausgedrückt – ein Schildbürgerstreich, dass wir es nicht bei uns fördern“, sagte Hans-Joachim Kümpel, früher Präsident der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe, der Welt am Sonntag. Bis zu 2,3 Billionen Kubikmeter erschließbares Erdgas liegen unter Deutschland im Schiefergestein. Die Menge würde ausreichen, das Land über Jahrzehnte mit Erdgas zu versorgen. Binnen eines Jahres könnte in Deutschland mit der Förderung von Schiefergas begonnen werden, sagte Mohammed Amro, der sich an der Bergakademie Freiberg mit Geoströmungstechnik beschäftigt.

In Deutschland kam Fracking seit Anfang der 1960er-Jahre zum Einsatz – hauptsächlich für die Förderung von Erdgas aus sehr dichten Sandsteinen (Tight Gas). Seitdem sind über 320 Fracking-Maßnahmen durchgeführt worden, dadurch bedingte Umweltschäden sind nicht bekannt. Etwa ein Drittel der in Deutschland geförderten Erdgasmengen stammt aus Bohrungen, die mit Fracking stimuliert wurden. Nun geht es um die Förderung des Gases aus dem 1.000 Meter tiefen Schiefergestein. Dieses ist weit unterhalb des Grundwasservorkommens, das in Deutschland bei 50 bis 200 Meter Tiefe liegt.

Deutschlands Tabugesetz „Fracking“

Die FDP wäre wohl bereit, dieses Tabugesetz aufzuheben. Doch die grünen Minister Steffi Lemke und Robert Habeck wehren sich seit einem halben Jahr gegen diesen Weg. Habeck: „Ich glaube, dass das nicht der Weg ist, den wir gehen sollten und der uns weiterhilft“. Verantwortungslos bezeichnete der Rohstoffexperte Kümpel diese Position. Verantwortungslos ist noch milde ausgedrückt in Anbetracht des drohenden Wohlstandsverlusts Deutschlands. Es ist ein Bruch des Amtseides und damit ein Bruch der Verfassung „Schaden vom deutschen Volke abzuwenden“ (Art. 64 in Verbindung mit Art.56).

Stattdessen setzt der Wirtschaftsminister u.a. auf Fracking-Gas aus den USA. Der amerikanische Präsident Biden hatte zugesagt, bis 2030 50 Milliarden Kubikmeter Gas zu liefern. Dies entspricht etwa einem Drittel des russischen Exportes nach Europa. Diese Zusage kommt von dem gleichen Präsidenten, der in seinen ersten Amtstagen sämtliche Fracking-Projekte auf öffentlichem Grund gestoppt hatte. Ernstzunehmende Gasanalysten sagen daher für die nächsten Jahre eine Gaskrise in den USA voraus. Grund sind die bestehenden Frackingfelder, die in den nächsten fünf Jahren zur Neige gehen. Neue Felder werden zurzeit nicht genehmigt. Die Lage des Schiefergases in der Norddeutschen Tiefebene von Niedersachsen bis Brandenburg verdeutlicht folgende Grafik:

Schematische Darstellung geologischer Becken mit möglichem Schieferöl- und Schiefergas-Potenzial in Europa. Foto: „Unerwünschte Wahrheiten“, Vahrenholt, Lüning, S. 307, nach BGR 2013

CO2-freier Kohlestrom statt Kohle aus Kolumbien

Bundeskanzler Scholz hat im April 2022 mit dem kolumbianischen Präsidenten Iván Duque telefoniert. Dabei drängt er auf eine Expansion des Steinkohlebergbaus El Cerrejon, eine der größten, aber auch umstrittensten Kohleminen der Welt. Das Präsidialamt in Kolumbien ließ mitteilen: „Wir haben über die aktuelle Krisensituation bezüglich der Energieversorgung in Europa gesprochen. Es ist daher möglich, dass wir zu diesem Zeitpunkt, in dem Länder wie Deutschland ihre Energiesicherheit stärken müssen, die kolumbianischen Kohle-Exporte erhöhen, damit sie sich gegen Energieknappheit wappnen können.“ Leider ist Duque ab dem 7. August nicht mehr im Amt, da er vom linksgerichteten Gustavo Petro, der die Wahl am 19. Juni knapp gewonnen hat, abgelöst wird.

Die neue Regierung sieht die Kohlemine kritisch. Olaf Scholz hätte besser einen Anruf in Sachsen oder der Lausitz getan. Da gibt es auch einen offenen Tagebau mit vorbildlichen Umweltstandards – ohne hungernde Kinder. Aber diese eigene, wettbewerbsfähige und umweltfreundliche Förderung hatte man ja im Kohleausstiegsgesetz nicht mehr haben wollen. Zudem hatte man in der Koalitionsvereinbarung „idealerweise“ schon 2030 die Schließung angekündigt. Wenn man aber die damit verbundenen Kohlekraftwerke mit einer CO₂-Abscheidung versehen würde, wären auch alle möglichen CO₂– und Klimabelastungen ausgeschlossen worden.

Damit wären wir beim zweiten Tabugesetz

Das zweite Tabugesetz ist das Verbot von CCS. CCS (Carbon Capture and Storage) bedeutet die Abscheidung von CO₂ aus Kohlekraftwerken und die Verpressung in tiefe Schichten weit unterhalb des Grundwassers. Es gibt das Verbot seit 2012. Pilotvorhaben waren erlaubt, aber alle norddeutschen Länder haben von der Klausel Gebrauch gemacht, selbst solche Forschungsvorhaben auszuschließen.

Einer der Hauptinitiatoren für das Tabugesetz war seinerzeit der Landesvorsitzende der Grünen in Schleswig-Holstein, Robert Habeck, der die Initiative gegen ein CO₂-Endlager mit den Worten unterstützte: „Schleswig-Holstein ist das Land der Erneuerbaren Energien und keine Müllhalde für CO₂“. Er erreichte, dass die damalige CDU-Landesregierung einen entsprechenden Antrag im Bundesrat stellte. Dieser wurde später Gesetz. Die in Schwarze Pumpe errichtete Pilotanlage wurde abgebaut und nach Kanada verkauft.

Es ist nicht zu erwarten, dass Robert Habeck den Weg freigibt für eine umweltfreundliche Kohlenutzung. Würde man diesen Weg beschreiten, hätte man gute Argumente, um von China den Einsatz dieser Technik zu verlangen, da das Land seine riesigen Kohlevorräte weiter nutzen wird. Aber wir wollen ja nur den deutschen Himmel retten.

Ohne Laufzeitverlängerung ins Winter-Chaos

Es gibt ein drittes Tabugesetz, das die Bundesregierung nicht anfassen will: das Kernenergieausstieggesetz. Die Erklärungsversuche des grünen Präsidenten der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, wonach Kernkraftwerke keine Wärme erzeugen, und daher bei der Gasknappheit nicht helfen, haben die meisten in Deutschland durchschaut. 14 Prozent des Stroms kommt aus Gaskraftwerken. Wir werden nur zwei Drittel der Gaskraftwerke durch das Hochfahren von Reservekohlekraftwerken ersetzen können. Ein Wegfall von drei Kernkraftwerken bedeutet am Ende, dass ein großer Teil dieser Einsparung aufgegeben wird. Denn der wegfallende Strom kann nicht anders als durch Gaskraftwerke ersetzt werden.

Da hilft auch der forcierte Windkraft- und Solarausbau (der übrigens auch nur Strom produziert) nicht. Um die Strommenge der drei laufenden Kernkraftwerke rechnerisch zu ersetzen, benötigt man zwei Drittel der 2,2 Millionen bestehenden Solaranlagen. Anders ausgedrückt: Um diese Menge zu ersetzen, brauchen wir fünf bis zehn Jahre, um die entstehende Lücke von etwa 35 Terawattstunden Strom durch neue PV-Anlagen zu ersetzen. Und dann hätten wir nachts immer noch keinen Strom.

Der Vorstandsvorsitzende von Evonik, Christian Kullmann, hat das Ausmaß der Gaskrise anschaulich beschrieben. Man stelle sich einen Gaszug vor, der im spanischen Sevilla beginnt und in Frankfurt endet, die ganze Strecke ein Waggon nach dem anderen. Und er stellt die Frage, wie lange die deutsche Chemieindustrie mit diesem Gas auskommen würde. Wohlgemerkt nur die Chemieindustrie. Antwort: sechs Stunden. Es geht um 5,6 Millionen Arbeitsplätze, die vom Erdgasmangel betroffen sind. Es geht nicht ums kürzere Duschen.

Über den Autor

Prof. Dr. Fritz Vahrenholt ist promovierter Chemiker, SPD-Politiker, Manager, Wissenschaftler und Buchautor. Seit 1976 arbeitete er unter anderem im Umweltbundesamt, als Staatsrat bei der Umweltbehörde und als Umweltsenator in Hamburg. Er war Vorstand für Erneuerbare Energien der Deutschen Shell AG sowie Gründer und Vorstand des Windenergie-Anlagenbauers REpower Systems.

Seit 1999 ist er Honorarprofessor im Fachbereich Chemie der Universität Hamburg. Sein Bestseller „Seveso ist überall“ (1978) war eines der wirkmächtigsten Bücher in den Anfangsjahren der Umweltbewegung. 2020 erschien sein Bestseller „Unerwünschte Wahrheiten“, 2021 folgte „Unanfechtbar – Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zum Klimaschutz im Faktencheck“. www.vahrenholt.net

Dieser Artikel erschien zuerst auf dem Blog „Kalte Sonne“ unter dem Titel „Fritz Vahrenholt: Die Energiewende scheitert im Zeitraffer“ (redaktionelle Bearbeitung ts)

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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