150 Tonnen Öl im Dnipro und Überflutungen – Scholz: „Neue Dimension“ des Krieges

Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms in der Ukraine und dessen katastrophale Folgen könnten als weiteres Kriegsverbrechen in die Geschichte eingehen. Aktuell beschuldigen sich beide Kriegsparteien gegenseitig des Angriffs. Der Stausee, der viermal größer als der Bodensee ist, sorgt nun für schwere Überflutungen.
Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms könnte zu schweren Überschwemmungen führen.
Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms führte zu schweren Überschwemmungen.Foto: Uncredited/Maxar Technologies/AP/dpa
Epoch Times6. Juni 2023

Nach der teilweisen Zerstörung des Kachowka-Staudamms im Süden der Ukraine sind nach ukrainischen Angaben 150 Tonnen Motoröl in den Fluss Dnipro geflossen. In den Online-Netzwerken warnte die Presseberaterin des Chefs des ukrainischen Präsidialamtes, Daria Sariwna, am Dienstag, dem 6. Juni, vor einer Gefährdung der Umwelt. „Es besteht auch die Gefahr neuer Öllecks, die sich negativ auf die Umwelt auswirken“, erklärte Sariwna im Onlinedienst Telegram.

Russland und die Ukraine machen sich gegenseitig für die teilweise Zerstörung des Staudamms verantwortlich. Der ukrainische Präsidentenberater Michailo Podoljak warf Russland vor, den Staudamm „gesprengt“ zu haben, um das Gebiet zu überfluten und so die geplante ukrainische Offensive zu behindern. Von Moskau eingesetzte Behörden meldeten hingegen, der Staudamm sei „durch mehrere Angriffe“ der Ukraine teilweise zerstört worden. Der Kreml sprach von einer „vorsätzlichen Sabotage“ Kiews.

Welche Kriegspartei tatsächlich hinter dem Angriff steckt, wird sich wohl erst im Laufe der nächsten Tage oder Wochen zeigen.

Eine Stadt bereits überflutet, 14 bedroht

Durch die unkontrolliert auslaufenden Wassermassen sind Orte in der Region Cherson überflutet und Bewohner evakuiert worden. Insgesamt seien 14 Orte und mehr als 22.000 Menschen von Überflutungen bedroht, erklärte der von Moskau eingesetzte Verwaltungschef der Region Cherson, Andrej Aleksejenko, am Dienstag. Die gesamte Stadt Nowa Kachowka am Staudamm wurde nach russischen Angaben von den Wassermassen überflutet.

Mehrere Dörfer seien „vollständig oder teilweise“ überflutet, teilte der Leiter der ukrainischen Militärverwaltung von Cherson, Oleksandr Prokudin, in einem Onlinedienst mit. „Etwa 16.000 Menschen befinden sich in der kritischen Zone am rechten Ufer“, erklärte er. Der Wasserpegel sei nach Angaben der Rettungsdienste auf bis zu vier Meter angestiegen, erklärte auch der russische Verwaltungschef Aleksejenko im Onlinedienst Telegram. „Die Situation ist vollständig unter Kontrolle“, versicherte er aber.

Der von Moskau eingesetzte Bürgermeister der Stadt Nowa Kachowka, Wladimir Leontjew, betonte: „Der Damm ist nicht zerstört, und das ist ein großes Glück“. Er kündigte die Evakuierung von „etwa 300 Häusern“ an, die direkt am Ufer des Dnipro liegen. Wenige Stunden später meldete er dann: „Die Stadt ist überflutet.“

International wuchs die Sorge, dass auch die Kühlung des Atomkraftwerks Saporischschja durch das Wasser des Flusses Dnipro in Gefahr sein könnte.

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Scholz verurteilt Angriff auf Staudamm

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sieht in der Zerstörung des Staudamms in der ukrainischen Region Cherson eine „neue Dimension“ des Ukraine-Kriegs. Die Beschädigung des Damms sei etwas, „das zu der Art und Weise passt, wie Putin diesen Krieg führt“, sagte Scholz am Dienstag beim „Europaforum“ des WDR in Berlin. Es sei eine Entwicklung, „die wir mit Sorgfalt und mit Sorge betrachten“.

Eine eindeutige Schuldzuweisung an die Adresse Russlands vermied der Kanzler – allerdings wies er auf Anzeichen für eine russische Verantwortung hin. Russland habe „jetzt viele Rückschläge erleben müssen“, sagte Scholz. Russland habe „daraus immer den Schluss gezogen, mit noch gesteigerter Aggression gegen die Ukraine vorzugehen“.

Die Ereignisse um den Staudamm seien etwas, „das sich einreiht in viele, viele der Verbrechen, die wir in der Ukraine gesehen haben, die von russischen Soldaten ausgegangen sind“, sagte Scholz weiter. Russland betreibe eine „Kriegsführung, die immer auch zivile Ziele – Städte, Dörfer, Krankenhäuser, Schulen, Infrastrukturen – angegriffen hat, was mit einer militärischen Kriegsführung ja erstmal gar nicht verbunden wäre“.

Der Kanzler fügte hinzu: „Deshalb war das so wichtig, dass wir die Ukraine unterstützen, finanziell, aber auch mit Waffenlieferungen“. Deshalb bleibe auch „die Botschaft wichtig, dass wir sagen: Wir werden das so lange tun, wie das notwendig ist, damit es eben nicht immer noch zu einem weiteren Eskalationsschritt kommt“.

Auch NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat die Zerstörung des Staudamms verurteilt. „Dies ist eine empörende Tat, die erneut die Brutalität des russischen Kriegs in der Ukraine verdeutlicht“, schrieb Stoltenberg am Dienstag im Kurzbotschaftendienst Twitter. „Die Zerstörung des Kachowka-Staudamms gefährdet tausende Zivilisten und verursacht schwere Umweltschäden“, betonte er.

Strategisch wichtiger Staudamm aus der Sowjetzeit

Dem Kachowka-Staudamm kam von Anfang an strategische Bedeutung zu. Bereits in den ersten Stunden des russischen Angriffs am 24. Februar 2022 besetzten russische Truppen die Anlage und das dazugehörige Wasserkraftwerk in der Region Cherson im Süden der Ukraine.

Der Damm war 1956, als die Ukraine noch Teil der Sowjetunion war, am Fluss Dnipro gebaut worden. Er besteht zum Teil aus Beton, zum Teil aus Erde und ist mit einer Länge von 3.273 Metern eine der größten Anlagen dieser Art in der Ukraine. Von dort fließt das Wasser in den Nordkrimkanal, der im Süden der Ukraine beginnt und die gesamte Halbinsel durchquert. Nach der Annexion der Krim durch Moskau 2014 drehte Kiew den Hahn jedoch ab, was zu großen Problemen bei der Wasserversorgung auf der Halbinsel führte.

Wenige Wochen nach der russischen Invasion öffneten die russischen Besatzer eigenen Angaben zufolge den Zufluss wieder, sodass täglich 1,7 Millionen Kubikmeter Wasser die Krim erreichten. Erklärtes Ziel der Ukraine ist es nach wie vor, die Krim wieder zurückzuerobern.

Auch das Kraftwerk am Staudamm produzierte weiterhin Strom, der in das ukrainische Netz eingespeist wurde und auch die russisch besetzten Gebiete versorgte. Laut der Website des ukrainischen Betreibers Ukrgydroenergo beträgt die Kapazität des Wasserkraftwerks 334,8 Megawatt.

Der Stausee versorgt außerdem das ebenfalls russisch besetzte Kernkraftwerk Saporischschja mit Kühlwasser, das rund 150 Kilometer von dem Staudamm entfernt liegt. Der Stausee, 240 Kilometer lang und bis zu 23 Kilometer breit, kann 18 Milliarden Kubikmeter Wasser fassen – eine enorme Wassermenge, die nun mehrere Dörfer überflutete. Flächenmäßig ist der Stausee viermal größer als der Bodensee.

Seit Beginn des Krieges hatten sich Moskau und Kiew immer wieder gegenseitig beschuldigt, den Staudamm zerstören zu wollen. Im November war er bereits bei einem Angriff beschädigt worden. (AFP/mf)



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