Jahresrückblick in Kiew: Was Selenskyj von seinen Partnern erwartet

Die nachlassende Aufmerksamkeit des Westens wirke sich negativ auf die Unterstützung für die Ukraine aus, so Selenskyj. In seinem Jahresrückblick schickte er eine klare Botschaft an Kiews Partner: Langfristige Unterstützung ist geboten.
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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hält am 19. Dezember 2023 in Kiew seine Jahrespressekonferenz ab.Foto: MTI/EPA/Szerhij Dolzsenko
Von 21. Dezember 2023

Laut Wolodymyr Selenskyj sei die Lage zum Jahresende nicht leicht. Trotzdem zeigte sich der ukrainische Präsident vorsichtig zuversichtlich, als er am Dienstag, 19. Dezember, auf der Jahrespressekonferenz in Kiew mehr als zwei Stunden lang Fragen von mehreren Hundert Journalisten beantwortete.

Neben dem Plan für eine weitere Mobilisierung sprach er unter anderem auch über einen möglichen Wandel in der Politik der USA, seine Unstimmigkeiten mit Viktor Orbán und Verhandlungsmöglichkeiten mit Russland.

Während die Ukraine mit der Aufnahme von Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union einen „historischen Sieg“ errungen habe, stehe sie immer noch vor einer Reihe von Herausforderungen, erklärte er.

Was heißt siegen?

Die Taktik könnte sich im nächsten Jahr ändern, meinte der Präsident, aber „die Ziele sind unverändert“.

Das Ziel der Ukraine, ihr gesamtes Territorium zurückzugewinnen, habe sich nicht geändert, sagte Selenskyj. Allerdings betonte er auch, dass „die Meinungen darüber auseinandergehen, was ein Sieg im Krieg gegen Russland bedeutet“.

Die Tatsache, dass Russland nicht in der Lage war, uns zu vernichten, wird als Sieg angesehen. Da bin ich allerdings vorsichtig“, fügte er hinzu.

Die Ukrainer müssen weiterkämpfen, so der Präsident. Denn auch wenn sie die Situation von vor der Invasion im Februar 2022 erreichen, „wer kann garantieren, dass das Land vor Russland sicher sein wird“?

Kiews Plan für die Mobilmachung von bis zu einer halben Million Ukrainern bezeichnete er als teure und politisch heikle Frage. Selenskyj betonte, wie wichtig der Respekt vor den Soldaten sei. Zudem werde er sich dafür einsetzen, dass „für die mutigsten und stärksten Menschen ihre Moral nicht verloren geht“.

Kiew erwartet langfristige Unterstützung

Selenskyj drückte Zuversicht aus, dass die USA als auch die EU das Land künftig weiterhin unterstützen.

„Ich bin überzeugt davon, dass die USA uns nicht verraten werden“, sagte der Präsident. Damit meinte er in erster Linie die zugesagten 61 Milliarden US-Dollar an Hilfsgeldern, die noch vom Kongress blockiert werden.

Allerdings betonte Selenskyj auch, dass der Ausgang der bevorstehenden US-Präsidentschaftswahlen 2024 den Verlauf des Krieges deutlich beeinflussen könnte. Sollte Washington seine Unterstützung für die Ukraine einstellen, könnte sich dies auch negativ auf die europäische Hilfe auswirken.

Orbáns Blockade

Ein von Selenskyj namentlich genannter Politiker war der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán. Auf die Frage eines Journalisten erklärte Selenskyj, er habe „nie mit Orbán über einen möglichen Waffenstillstand mit Russland gesprochen“. Er sagte, Orbán habe vielleicht mit Washington oder der EU darüber gesprochen, aber nicht mit ihm.

Nun wolle er versuchen, mit Orbán eine Einigung erzielen. Das oberste Ziel besteht vermutlich darin, die 50 Milliarden Euro an EU-Hilfen – welche Orbán blockiert hat – freizusetzen. An dem notwendigen Treffen mit Ungarns Regierungschef werde bereits in Kiew gearbeitet.

Für den Fall, dass Brüssel keine Einstimmigkeit erreiche, gebe es „andere Mechanismen, um sicherzustellen, dass die Ukraine diese 50 Milliarden erhält“, bemerkte Selenskyj.

Neben der zu erwartenden finanziellen Unterstützung aus dem Westen bezeichnete er seine jüngsten Auslandsbesuche als erfolgreich. Die Gespräche führten zu Zusagen zu zusätzlichen „Patriot“-Luftabwehrsystemen, Artillerie und Munition.

Russland und die Friedensgespräche

Die ukrainische Führung habe sehr konkrete Vorstellungen von möglichen Friedensgesprächen, so der Präsident. Er betonte, als Grundlage für Verhandlungen gelte immer noch die sogenannte ukrainische Friedensformel, ein Zehn-Punkte-Plan, den Selenskyj das erste Mal vor 13 Monaten vorstellte.

Doch dafür gebe es nach Ansicht des ukrainischen Präsidenten derzeit keine Anzeichen. Auf dem Davos Forum, einem Treffen von nationalen Sicherheitsberatern in der Schweiz im kommenden Januar, werde die Friedensformel jedoch diskutiert.

Nach Ansicht des Politikers sei dieses Treffen auch ein Zeichen dafür, dass die Welt dem Ukraine-Krieg weiterhin Aufmerksamkeit schenkt.

Die Auswirkungen der Situation im Nahen Osten

Die Pressekonferenz befasste sich auch kurz mit der Situation im Gazastreifen. „Einige Staaten haben angefangen zu zögern, einige Staaten haben angefangen zu schwanken, wem sie zuerst helfen sollen, Israel oder der Ukraine“, bemerkte Selenskyj.

Diese Aussage steht im Gegensatz zu dem, was der israelische Botschafter in der Ukraine, Michael Brodsky, Ende Oktober gesagt hatte. Brodsky zufolge habe die Situation in Israel „keine Auswirkungen“ auf die internationale Unterstützung für die Ukraine, da „sich die Anfragen der Ukraine und Israels nach militärischer Hilfe nicht überschneiden“.



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