Von der Hamas inspiriert? „Barbarische“ Massaker in Nigeria: Bis zu 160 Christen getötet

Zu minutiös geplanten Angriffen auf mehr als 20 christliche Dörfer kam es am Weihnachtswochenende in der Provinz Plateau in Nigeria. Bewaffnete Gruppen treiben in der Region ihr Unwesen, in der Konflikte zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern eine religiöse und ethnische Aufladung erfuhren.
In Nigeria haben Bewaffnete an Heiligabend bei Überfällen auf christliche Dörfer mehr als hundert Menschen getötet und Hunderte weitere verletzt. Die Hinterbliebenen trauern und beten um Frieden in einem Lager für Vertriebene in Bokkos.
In Nigeria haben Bewaffnete an Heiligabend bei Überfällen auf christliche Dörfer mehr als hundert Menschen getötet und Hunderte weitere verletzt. Die Hinterbliebenen trauern und beten um Frieden in einem Lager für Vertriebene in Bokkos.Foto: Sunday Alamba/AP/dpa
Von 28. Dezember 2023

Die Zahl der Toten nach einem koordinierten Überfall auf mehr als 20 verschiedene Ortschaften in der Provinz Plateau in Nigeria ist mittlerweile auf mehr als 160 angewachsen. Mindestens 300 weitere Menschen wurden bei dem Angriff durch mit Schusswaffen ausgestattete und motorisierte Rollkommandos verletzt.

Die Angriffe ereigneten sich in der Zeit zwischen Samstag, 23.12., und Montagmorgen. Betroffen waren mehrheitlich von Christen bewohnte Dörfer, die das Weihnachtsfest begingen. Allein 113 Todesopfer bestätigte der Vorsitzende der Bezirksverwaltung von Bokkos, Monday Kassah, gegenüber AFP. In vier Dörfern des angrenzenden Bezirks Barkin Ladi wurden mindestens 50 weitere Leichen gefunden. Gouverneur Caleb Mutfwang sprach von einer „barbarischen, brutalen“ Attacke.

Trauer in Maiyanga: Dorfbewohner begraben die Opfer des Terrorangriffs in einem Massengrab in Nigeria. Foto: KIM MASARA/AFPTV/AFP via Getty Images

Norden von Nigeria von Terroristen und Banditen heimgesucht

Wie „Africanews“ berichtet, hat ein Sprecher des Gouverneurs „proaktive Maßnahmen“ durch die Regierung angekündigt, um anhaltende Angriffe auf unschuldige Zivilisten zu verhindern. Am Mittwoch hat Vizepräsident Kashim Shettima geflüchtete Überlebende in Bokkos besucht. NGOs, aber auch vor allem Minderheitenorganisation werfen der Regierung vor, zu zögerlich gegen gewalttätige Marodeure vorzugehen, die Gemeinschaften angreifen.

Organisierte Gewalt und Massaker an der Zivilbevölkerung sind in der Region keine Seltenheit. Neben Banditenmilizen, die aus den Wäldern heraus operieren und Zivilisten entführen, um Lösegeld zu erpressen, sind seit 2009 auch unterschiedliche Terrorgruppen in der Region vertreten.

Im Nordosten kämpfen sogenannte dschihadistische Gruppen wie „Boko Haram“ oder Ableger des „Islamischen Staates“ (IS) um die Vorherrschaft. Die eher zentral gelegene Region Plateau ist zwar geografisch nicht im Epizentrum dieses Konflikts angesiedelt. Dennoch bietet eine zunehmende ethnische und religiöse Aufladung örtlicher Spannungen auch für Terroristen ein willkommenes Betätigungsfeld.

Britischer Kolonialismus mit „Teile und Herrsche“-Strategie

Der Ursprung des Konflikts reicht bis ins 19. Jahrhundert zurück. Im Kern geht es um Konflikte zwischen häufig nomadischen Hirten und sesshaften Bauern. Das Britische Weltreich hat diese durch eine Zusammenlegung zweier Kolonialgebiete unterschiedlicher ethnischer und religiöser Prägung im Jahr 1914 zusätzlich verschärft.

Um ein zusammenhängendes Kolonialreich von der Sahelzone bis zur Atlantikküste zu ermöglichen, presste man den Norden und den Süden des heutigen Nigeria in ein gemeinsames Gebiet. Dabei ist der Norden muslimisch geprägt, er war das Zentrum des „Sokoto-Kalifats“. Auch ein erheblicher Teil der Viehzüchter aus der Bevölkerungsgruppe der Fulani lebte dort. In jenem Teil des Landes hatte man sich mental eher am Nahen Osten und anderen Teilen der islamischen Welt ausgerichtet.

Der Süden des Landes ist demgegenüber stärker christlich oder von traditionellen afrikanischen Naturkulten geprägt, tendenziell hatte man sich dort eher am Westen orientiert. Die hauptsächlich sesshaften und Ackerbau betreibenden Haussa hatten dort ihr Siedlungsgebiet.

Burti-System sicherte Koexistenz – und brach in den 1970er-Jahren zusammen

Die zentrale Region, in der sich auch Plateau befindet, vereint ehemals nord- mit ehemals südnigerianischen Gebieten. Immerhin hatten Hirten und Bauern es noch vor der Entkolonialisierung geschafft, zum beidseitigen Vorteil das sogenannte Burti-System zu errichten. Im Konsens und unter Mitwirkung lokaler Behörden wurden bestimmte Wanderrouten für die Hirten festgelegt. Zudem tauschten die Gemeinschaften Milch gegen Getreidekörner aus.

In den 1970er-Jahren brach dieses System zusammen. Dies lag zum einen daran, dass Bauern zunehmend mehr Land entlang der Viehzüchterrouten für sich beanspruchten. Zum anderen brach der Tausch zusammen, weil abgepackte Milch aus den Städten auch in Provinzen die Regale eroberte.

Gleichzeitig drängten die Viehzüchter weiter in den Süden vor, weil die moderne Medizin und verbesserte Zuchtverfahren die Herden besser gegen dort verbreitete Tropenkrankheiten schützten. Die Viehzüchter konnten ihre Produkte auch teurer verkaufen. Allerdings trafen sie auf eine sesshafte Bevölkerung, die keine Erfahrung in Verhandlungen und Koexistenz mit nomadischen Hirten hatte.

Seit Ende des 20. Jahrhunderts fast 20.000 Tote bei Landkonflikten in Nigeria

Regierungsversagen, Misswirtschaft, ein leichter Zugang zu Waffen und aus politischen Gründen angestachelter Hass führten immer häufiger zu Eskalationen zwischen den Gruppen. Das schon anfänglich hohe wechselseitige Misstrauen zwischen den jeweiligen Mehrheiten und Minderheiten wurde von Politikern, Predigern und Medien häufig gezielt verstärkt.

Zunehmende Wüstenbildung und Bodendegradation, Streitigkeiten um Land und Wasser, aber auch die Verstädterung haben das Eskalationspotenzial weiter vergrößert. In der Anonymität wachsender Städte wurde es einfacher, sich zu Banden zusammenzuschließen und Waffen zu besorgen, mit denen sich Selbstverteidigungskräfte und Stammesmilizen ausrüsteten.

Seit 1999, dem Gründungsjahr der vierten Republik in Nigeria, beträgt die Zahl der Toten etwa 19.000. Zudem gibt es hunderttausende Vertriebene – meist innerhalb des Landes selbst. Gruppierungen wie Boko Haram berufen sich zudem auf Lehren, die Scheich Uthman dan Fodio im Sokoto-Kalifat verbreitet hatte. Ihnen gilt der reformerische Gelehrte als vermeintlicher Begründer eines militanten Dschihadismus in Nigeria.

Das Vorgehen der Banden, die an den Massakern vom Wochenende beteiligt waren, scheinen allerdings eher von der terroristischen Hamas inspiriert zu sein. Mit deren Überfall auf jüdische Gemeinden im Grenzgebiet am Feiertag von Simchat Tora könnten sie die Gewalt in Nigeria zum Weihnachtsfest inspiriert haben.

Luftaufnahme der Zerstörung in Maiyanga, Nigeria. Foto: KIM MASARA/AFPTV/AFP via Getty Images



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