Weitere zehn Jahre Glyphosat? Wissenschaftler kritisieren EU-Kommission

Wo Glyphosat ausgebracht wird, wächst kein Gras mehr, auch kein Kraut, Strauch oder Moos. Die EU-Kommission schlägt trotzdem vor, die Zulassung zu verlängern.
Eine mögliche Verlängerung der Zulassung von Glyphosat in der EU stößt auf geteilte Ansichten.
Eine mögliche Verlängerung der Zulassung von Glyphosat in der EU stößt auf geteilte Ansichten.Foto: Patrick Pleul/dpa-Zentralbild/dpa
Epoch Times22. September 2023

Die mögliche Erneuerung der Zulassung des Totalherbizids Glyphosat in der EU stößt bei einer Reihe von Wissenschaftlern auf Kritik. Eine Zulassung für weitere zehn Jahre wäre „wissenschaftlich unbegründet und vollkommen unangemessen“, erklärt Rita Triebskorn, Arbeitsgruppenleiterin am Institut für Evolution und Ökologie der Universität Tübingen. Der EU-Vorschlag sei inakzeptabel. Es gibt aber auch andere Forscheraussagen.

Nach Vorschlag der EU-Kommission soll die Zulassung von Glyphosat um zehn Jahre verlängert werden. Aktuell läuft sie noch bis zum 15. Dezember. Der Entwurf sollte heute mit den EU-Staaten erörtert werden. Die Abstimmung darüber ist für den 13. Oktober vorgesehen. Der weltweite Verkauf glyphosathaltiger Produkte ist ein Milliardenmarkt, die ausgebrachten Mengen sind enorm.

Kritik an dem Papier

Johann Zaller von der Universität für Bodenkultur Wien (BOKU) sieht das Papier ebenfalls sehr kritisch: „Im Grunde genommen ist der Vorschlag eine Verhöhnung der ökologischen Wissenschaften.“ Der Vorschlag der EU-Kommission offenbare ein systematisches Leugnen des dramatischen Rückgangs der Biodiversität und der wissenschaftlichen Erkenntnisse, dass Glyphosat dazu beiträgt. „Auswirkungen auf Bodenorganismen und Bodengesundheit werden im Vorschlag nicht einmal erwähnt, obwohl evident ist, dass die Böden in ganz Europa mit Glyphosat kontaminiert sind.“

Zwar sieht die Kommission Einschränkungen und Bedingungen vor – zum Beispiel Höchstwerte für toxikologisch relevante Verunreinigungen im Glyphosat, nicht besprühte Pufferstreifen am Feldrand und einen besseren Schutz von Land- und Wasserpflanzen vor sogenannter Sprühdrift bei der Ausbringung. Diese seien aber nicht ausreichend, um den Wirkstoff gefahrlos in die Umwelt zu entlassen beziehungsweise die zunehmende Akkumulation in Mensch und Umwelt zu begrenzen, erklärte die Tübinger Ökotoxikologin Triebskorn gemeinsam mit ihrem Institutskollegen Heinz-Rüdiger Köhler.

Wissenslücken bei toxikologischen und ökotoxikologischen Befunden würden als Argument für eine Zulassung gewertet, bemängelten Köhler und Triebskorn, die Mitglied des Expertengremiums Spurenstoffe des Bundesumweltministeriums ist. Langfristige Wirkungen seien bislang kaum erforscht – das Fehlen solcher Daten dürfe aber kein Grund für eine weitere Zulassung sein, sondern müsse nach dem Vorsorgeprinzip im Gegenteil dazu führen, dass die Substanz nicht länger eingesetzt werden darf.

Mit ihrem Vorschlag stellt sich die EU-Kommission gegen Forderungen aus Deutschland. „Solange nicht ausgeschlossen werden kann, dass Glyphosat der Biodiversität schadet, sollte die Genehmigung in der EU auslaufen“, hatte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) gesagt. Eine vielfältige und intakte Pflanzen- und Tierwelt sei die Voraussetzung für sichere Ernten. Der Agrarchemiekonzern Bayer hingegen hatte den Verordnungsentwurf begrüßt.

Wirkung von Glyphosat

Glyphosat ist ein sogenanntes Totalherbizid, es wirkt auf alle grünen Pflanzen. Der Wirkstoff blockiert ein Enzym, das Pflanzen zur Herstellung lebenswichtiger Aminosäuren brauchen, das aber auch in Pilzen und Mikroorganismen vorkommt. Wo Glyphosat ausgebracht wird, wächst kein Gras mehr, auch kein Kraut, Strauch oder Moos. Ackerflächen können so vor oder kurz nach der Aussaat und nochmals nach der Ernte unkrautfrei gemacht werden. Mit gentechnisch hergestellten Nutzpflanzen, deren Wachstum nicht durch Glyphosat beeinträchtig wird, lässt sich das Mittel zudem auch auf bereits bepflanzten Feldern verwenden.

Der vom US-Konzern Monsanto entwickelte Wirkstoff wurde 1974 erstmals zugelassen. Im Jahr 2000 lief das Patent aus, seither werden glyphosathaltige Produkte preisgünstig auch von zahlreichen anderen Herstellern angeboten. Wissenschaftler betonen, dass Glyphosat zwar teils durch andere Wirkstoffe ersetzt werden könne, ein schlichtes Ersetzen aber keine Lösung sei: Die Menge eingesetzter Herbizide und anderer Pflanzenschutzmittel müsse generell deutlich vermindert werden. Generell glyphosatfrei ist der ökologische Landbau, egal in welchem Bereich.

Einer im Juni vorgestellten Analyse zufolge hatten Konzerne bei der Zulassung von Pestiziden europäischen Behörden Untersuchungsergebnisse vorenthalten. Dabei geht es um Studien dazu, ob Wirkstoffe das sich entwickelnde Nervensystem schädigen können (DNT; Developmental Neurotoxicity), wie die Forschenden der Universität Stockholm im Fachblatt „Environmental Health“ schrieben. So sei eine Studie von 2001 zu neurotoxischen Effekten des Wirkstoffs Glyphosat-Trimesium nie bei den EU-Zulassungsbehörden eingereicht worden. Bei einem Teil der betroffenen Analysen hätten die enthaltenen Ergebnisse demnach Einfluss auf den Zulassungsprozess haben können. Warum die Untersuchungen nicht eingereicht wurden, sei unklar. (dpa)



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