Ärztepräsident will Ex-Post-Triage erneut diskutieren

Klaus Reinhardt sieht „nicht unerhebliche Missverständnisse“. Kritiker erwägen erneute Verfassungsklage.
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Ärztepräsident Dr. Klaus Reinhardt.Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times
Von 3. Januar 2023

Ärztepräsident Klaus Reinhardt fordert, dass das vom Bundestag im Herbst 2022 beschlossene Triage-Gesetz zur Verteilung von Intensivbetten bei knappen Behandlungskapazitäten nochmals auf den Prüfstand kommt. Nicht nur Behindertenverbände, sondern auch die Ärzteschaft sei an einer Neufassung interessiert. Dies allerdings mit einer anderen Zielrichtung, sagte Reinhardt dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND). „Das Gesetz wurde zu hastig verabschiedet und nicht ausreichend öffentlich diskutiert“, argumentierte er.

Entscheidung treffen, wenn Behandlungsziel nicht erreichbar ist

Dadurch seien „nicht unerhebliche Missverständnisse“ entstanden. Reinhardt bekräftigte die Forderung, die sogenannte Ex-Post-Triage zu erlauben. Dabei gehe es nicht darum, einen Menschen aus einem Intensivbett hinaus zu verlegen, der noch Überlebenschancen habe. Aber es könne passieren, dass die Behandlung irgendwann nicht mehr erfolgversprechend sei und das ursprüngliche Therapieziel unerreichbar werde. „Dann muss es in einer Triage-Situation möglich sein, das Bett für einen Menschen mit einer größeren Überlebenswahrscheinlichkeit zu nutzen.“

Zufallsprinzip darf es nicht geben

Es gelte, so viele Menschen wie möglich zu retten, so Reinhardt. Das von einigen Behindertenverbänden geforderte Zufallsprinzip bei neu eingelieferten Patienten lehnt er ab. Mediziner könnten nur durch ein abgewogenes Handeln die maximale Zahl an Menschenleben retten. „Den Zufall entscheiden zu lassen, wäre dagegen eine Art Gottesurteil und damit finsteres Mittelalter“, sagte Reinhardt.

Kritiker der Ex-Post-Triage befürchten, dass die Überlebenschancen von Menschen mit Behinderung durch medizinisches Personal unterschätzt werden könne und ihnen deshalb die nötige Versorgung vorenthalten würde. Vor einem Jahr hatte das Bundesverfassungsgericht die Regierung verpflichtet, den Schutz von behinderten Menschen in einer Triage-Situation sicherzustellen. Die damaligen Kläger erwägen eine erneute Verfassungsklage, weil sie durch das beschlossene Gesetz nach wie vor keinen ausreichenden Schutz sehen.

SPD-Politiker sieht Nachteile für Behinderte

Vor Gericht ziehen will beispielsweise der Landtagsabgeordnete Constantin Grosch. Der SPD-Politiker, der selbst in einem Rollstuhl sitzt, ist Vorsitzender der Aktionsplattform „Ability Watch“. Der gemeinnützige Verein setzt sich für die Rechte behinderter Menschen ein. Das Gesetz mache ihm „große Sorgen“, sagte Grosch nach der Verabschiedung des Gesetzes im November gegenüber der ARD. Unter anderem sieht das Gesetz vor, dass Kriterien wie das Alter oder eine Behinderung keine Rolle spielen dürfen. Grosch sieht das allerdings nicht gewährleistet. Menschen mit Behinderung hätten oftmals Erkrankungen und Begleiterscheinungen, die diese „Überlebenswahrscheinlichkeit“ geringer ausfallen ließen, gibt er zu bedenken. Die ausgewählten Kriterien sind seiner Ansicht nach nicht geeignet, Menschen mit Behinderung in solchen Situationen vor Benachteiligung zu schützen.

Verfassungsbeschwerde im Januar vorbereiten

Der Sozialdemokrat spricht sich für eher zufällige Kriterien aus. Auch sollten sie unabhängig von Alter oder Behinderungen sein. Wer zuerst eingeliefert wird, wird zuerst behandelt, schlägt er beispielsweise vor. Es sei auch falsch, die Regelung im Infektionsschutzgesetz festzuschreiben. Engpässe bei der medizinischen Versorgung könne es auch bei Naturkatastrophen geben und nicht nur während einer Pandemie. Grosch hatte seinerzeit angekündigt, „dass wir uns im Januar mit unseren Rechtsberatern zusammenzusetzen und dann eine Verfassungsbeschwerde vorbereiten“.

Die Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) bemängelte beim Verbot der Ex-Post-Triage eine „First-come-first-serve-Vergabe“, die sie strikt ablehne.  Therapieziel-Änderungen seien „gelebte Praxis in der Intensivmedizin“ und „medizinethisch geboten“, heißt es im  „Ärzteblatt“. Dies würde künftig „indirekt außer Kraft“ gesetzt, so die DIVI.



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