Bürgergeld für Doppelstaatsbürger? Kiews Minderheitenpolitik fällt auf Deutschland zurück

In Baden-Württemberg mehren sich Klagen über Bürgergeldanträge von Bürgern der Ukraine, die gleichzeitig auch ungarische oder rumänische Staatsbürger seien. Ungarn und Rumänien hatten Betroffenen der Minderheitenpolitik der Führung in Kiew den Weg zum Doppelpass erleichtert.
Durch den Krieg in der Ukraine sind viele Menschen von dort nach Deutschland geflohen.
Durch den Krieg in der Ukraine sind viele Menschen von dort nach Deutschland geflohen.Foto: Soeren Stache/dpa
Von 24. Februar 2024

Für Wirbel und Empörung sorgen zurzeit Meldungen über sogenannte “falsche Ukrainer“, die in Deutschland Bürgergeld beziehen. In mehreren Tausend Fällen sollen Geflüchtete aus dem kriegsgeschüttelten Land Bürgergeld als ukrainische Kriegsflüchtlinge beantragt haben. Tatsächlich stünde es ihnen möglicherweise jedoch nicht zu, weil sie neben der ukrainischen auch noch die Staatsangehörigkeit eines EU-Staates besäßen.

Stammen alle Bürgergeld beantragenden Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine?

Wie der „Focus“ berichtet, soll es in dem Kontext bereits 3.111 Anfragen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) an ungarische und 3.374 an ukrainische Behörden gegeben haben. Dies sei der Stand vom 8. Januar gewesen. In den meisten Fällen habe das Land Baden-Württemberg das Bundesamt auf mögliche Doppelstaatsbürgerschaften hingewiesen.

In einigen Fällen hätten Personen als ukrainische Kriegsflüchtlinge Bürgergeld beantragt, aber Ungarisch statt Ukrainisch gesprochen. Auch hätten diese in einigen Fällen brandneue ukrainische Reisepässe vorgelegt, die hauptsächlich in der karpatenukrainischen Grenzregion Berehowe ausgestellt worden waren.

Im vergangenen Herbst sei es bereits zu Anfragen vonseiten des BAMF an die Behörden in der Ukraine und in Ungarn gekommen. Insgesamt habe es 5.609 Verdachtsfälle gegeben, schwerpunktmäßig in Bayern, Baden-Württemberg und Thüringen. Bestätigt wurde in 1.258 Fällen das Bestehen einer ukrainischen Staatsangehörigkeit, in 208 Fällen eine ungarische.

Mehrere Verdachtsfälle betreffen Angehörige der Roma-Community

Hintergrund ist die Privilegierung ukrainischer Kriegsflüchtlinge beim Zugang zu Arbeitsmarkt und Sozialleistungen. Diese besteht nicht nur gegenüber Asylsuchenden aus Drittstaaten. Auch für EU-Bürger gelten strengere Regeln für den Bezug von Bürgergeld – vor allem, wenn sie für drei Monate zum Zweck der Arbeitssuche nach Deutschland gekommen waren.

In den bayerischen Landkreis Fürstenfeldbruck und Rosenheim hatten lokale Behörden beargwöhnt, dass etwa 80 Prozent einer dreistelligen Anzahl an ukrainischen Kriegsflüchtlingen über druckfrische Reisepässe verfügt hätten. Bei den Betreffenden habe es sich um Angehörige der Roma-Community gehandelt. Viele hätten jedoch vorwiegend Ungarisch gesprochen. In einigen Fällen sollen sie auch im Besitz der ungarischen Staatsbürgerschaft gewesen sein.

Anfang des Jahres war ein Fall bekannt geworden, wonach in Thüringen von 2.400 ukrainischen Kriegsflüchtlingen bereits 52 in anderen EU-Ländern registriert gewesen sein sollen. Eine doppelte Staatsbürgerschaft spielte dabei jedoch nur in einem Fall eine Rolle.

Vereinfachtes Verfahren setzt nur Flucht aus der Ukraine voraus

Das vereinfachte Verfahren zur Zuerkennung des Schutzstatus als ukrainischer Kriegsflüchtling setzt voraus, dass der Antragsteller nachweislich aus der Ukraine geflohen ist. Solange dies gewährleistet ist, gilt dieser Status nach Paragraf 24 Aufenthaltsgesetz auch für Staatenlose und Staatsangehörige anderer Drittländer.

Voraussetzung ist, dass sich die Betreffenden zuvor rechtmäßig in der Ukraine aufgehalten hatten und nicht sicher und dauerhaft in ihr Herkunftsland oder ihre Herkunftsregion zurückkehren können. Eine Vielzahl an ukrainischen Staatsangehörigen besitzen jedoch auch ungarische oder rumänische Pässe, ohne zuvor in diesen Ländern gelebt zu haben.

Einer der Gründe dafür ist das Bestreben der Regierungen in Ungarn und Rumänien, Angehörigen der jeweiligen Minderheit diplomatischen Schutz zukommen zu lassen. Der Einfluss radikaler Nationalisten im ukrainischen Staatsapparat, der nach dem Staatsstreich von 2014 besonders stark geworden ist, hatte ethnische und kulturelle Minderheiten in dem Vielvölkerstaat unter Druck gesetzt.

Rumänien begann deshalb bereits in den 2010er-Jahren damit, Bürgern ein Recht auf rumänische Staatsbürgerschaft einzuräumen, wenn diese sie zuvor unfreiwillig verloren hatten. Dies bezog sich vor allem auf die Nordbukowina und das heutige Moldawien, die 1940 Teil der UdSSR geworden waren. Auch Nachkommen der Betroffenen konnten die rumänische Staatsangehörigkeit erlangen.

Assimilationspolitik steigert Nachfrage nach zweitem Pass

Die Politik der Zwangsukrainisierung, wie sie etwa durch das Sprachengesetz von 2017 Ausdruck fand, hat vor allem in der Region Odessa eine erhöhte Nachfrage nach dem rumänischen Pass ausgelöst. In ähnlicher Weise war Ungarn verfahren.

Auch im südwestlichen Nachbarland war man besorgt über die zunehmende Einschränkung kultureller Rechte der Minderheit, deren Existenz in Kiew geleugnet wird. Dort zieht man sich auf die Darstellung zurück, man richte seine Politik nach dem Vorbild Frankreichs aus – das ebenfalls keine „Ausnahmen vom Staatsvolk“ zulässt.

Die von Rechtsextremen geführte – und von Sicherheitsbehörden tolerierte – öffentliche Todesliste „Mirotworez“ („Friedensstifter“) führt nicht nur führende ungarische Politiker auf. Es sind auch teils persönliche Daten von etwa 300 Vertretern der ungarischen Volksgruppe veröffentlicht, die deren Interessen artikulieren. Es gibt Petitionen mit dem Ziel der Deportation identifizierter Doppelstaatler.

Darüber hinaus sind auch Angehörige der Roma-Volksgruppe regelmäßig Benachteiligungen im Alltag und Übergriffen durch Neonazis ausgesetzt. Beobachter sprechen von einer „Kultur des Wegsehens“ gegenüber den Übergriffen. Eine solche gegenüber dem Einfluss ukrainischer Nationalisten werfen Kritiker seit Jahr und Tag auch dem Westen vor.

Die Führung in Kiew hatte wiederholt deutlich gemacht, Doppelstaatsbürgerschaften nicht anzuerkennen. Aus deren Sicht handelt es sich bei den Betreffenden um Ukrainer – wenn auch um solche, denen sie Rechte nach der Europäischen Charta der Regional- oder Minderheitensprachen nicht zugestehen will. Eine Charta, die ursprünglich auch die Ukraine unterzeichnet und ratifiziert hatte.

Für Betroffene wäre es deshalb möglicherweise eine aussichtsreiche Strategie, sich auf das Willkürverbot nach Artikel 3 Grundgesetz zu berufen, sollte ihnen die Gleichbehandlung mit anderen ukrainischen Kriegsflüchtlingen verwehrt werden.



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