Drosten: Wenn Politiker Wissenschaftler unter Druck setzen, können Falschinformationen entstehen

Der Virologe Christian Drosten spricht in einem NDR-Interview erstmals über politischen Druck auf die Wissenschaft. Die Tendenz sei gefährlich, so der Wissenschaftler. Auch die Verwendung seines Namens durch Politiker in den Medien verärgert ihn.
Titelbild
Christian Drosten.Foto: MICHAEL KAPPELER/POOL/AFP via Getty Images
Epoch Times7. Mai 2020

Der Virologe Christian Drosten von der Charité in Berlin ist einer der zentralen wissenschaftlichen Figuren in Deutschland, der die Bundesregierung während der Corona-Krise berät. Sein Name wird in der Diskussion über die Pandemie immer wieder von Politikern als Referenz genannt, unter anderem auch, wenn es um politische Entscheidungen geht.

In seinem aktuellen Interview (Nr. 38) im NDR-Podcast spricht Drosten nicht nur über seine Einschätzungen zum Infektionsrisiko an Schulen, sondern macht auch seinem Ärger über die Politik und Medien Luft. Er sieht gefährliche Tendenzen der Politik, die die Wissenschaft unter Druck setzen.

Halbfertige Studie als Rechtfertigung für Lockerung

Sein Unmut bricht heraus, als die NDR-Moderatorin ihn über eine Studie aus Australien befragt, laut der sich an mehreren Schulen in einem ersten Zwischenbericht nur neun Schüler und neun Lehrer mit COVID-19 infiziert hatten und die Infektion kaum weitergetragen wurde.

Was wir hier sehen, ist tatsächlich ein Beispiel davon, wie die Wissenschaft politisch unter Druck steht“, so der Wissenschaftler.

Es zeigt, wie „von Wissenschaftlern verlangt wird, endlich Zahlen für die Situation bei Kindern zu produzieren“, was zum Teil zu unvorsichtigem Verhalten von Wissenschaftlern führt. Dabei seien die Tests an der Schule nur zur Hälfte durchgeführt worden.

Bei der Studie handele es sich auch gar nicht um ein „wissenschaftliches Manuskript, bei dem man wirklich die Umstände und die Genauigkeit der Studie verstehen könne“, so Drosten weiter, sondern vielmehr um eine „Art Text für die Öffentlichkeit“.

Das Papier wurde von der kanadischen Regierung übernommen, um die Lockerungsmaßnahmen an Schulen durchzusetzen. So ein Vorgehen von Regierungen sei „kein Einzelfall“, so der Virologe.

Drosten: Entscheidungen müssen getroffen werden

Gerade im Zusammenhang mit Lockerungsmaßnahmen an Schulen müssten Entscheidungen getroffen werden, sagt Drosten. „Die Kita wieder zu öffnen, weil es sozial und wirtschaftlich geboten ist, … finde ich als Privatperson richtig, aber als Wissenschaftler muss ich eben sagen: Vorsicht, da kann man sich auch vertun.“

Die schwierige Aufgabe der Politik sei es eben, die „lebenswissenschafliche Information“, die „wirtschaftswissenschaftliche Information sowie andere Entscheidungskriterien“ zu bündeln, und eine „rationale Entscheidung“ für die Gesellschaft zu treffen. „Als Privatperson habe ich auch Verständnis dafür, dass es nicht leicht ist, die Verantwortung für Lockerungsmaßnahmen in der jetzigen Zeit zu übernehmen“, so Drosten weiter.

Wenn Minister Zahlen brauchen

Kritik übt er jedoch an dem Vorgehen insbesondere von Einzelpolitikern, die in direktem Kontakt mit Wissenschaftlern stehen: „Die können da dann auch schon mal ganz schön Druck ausüben und sagen, ich will diese Verantwortung eigentlich nicht auf meinen Schultern haben. Ich möchte diese Verantwortung lieber in einem wissenschaftlichen Manuskript sehen und da eine Zahl draus entnehmen können…“

Es komme dann vor, dass ein Politiker zu einem Institutsleiter sage: „Du bist doch der Chef von dem Ganzen. Wir brauchen jetzt Zahlen von deinen Mitarbeitern. Dann geht der Direktor zu seinen Mitarbeitern und sagt, eure Tabellen sind erst halb voll. Aber der Minister will jetzt, dass wir was veröffentlichen. Dann nehmen wir mal die halben Tabellen und schreiben sie schon zusammen.“

Noch schlimmer sei, wenn die Studien dann nicht von Wissenschaftlern, sondern von der Pressestelle zusammengeschrieben werden: Das seien „keine Wissenschaftler, sondern ausgebildete Journalisten“. Die schreiben „manchmal mit einer etwas plastischen für die Öffentlichkeit gedachten journalistischen Erzählweise und schon ist eine Fehlinformation in der Welt“, so Drosten weiter.

Irreführung der Öffentlichkeit

Kritik übt Drosten am Ende des Podcasts auch an der Berichterstattung in den Medien. Mittlerweile äußert sich der Virologe sehr vorsichtig in der Öffentlichkeit mit seinen Einschätzungen, ansonsten heiße es gleich, „die Wissenschaft hat festgestellt“.

Auch empfindet er es als „Unverschämtheit“, dass sein Name immer wieder von Politikern in Talkshows genannt werde. Das sei „eine vollkommene Irreführung der Öffentlichkeit und auch der politischen Meinungsbildung. Damit wird vom Inhalt abgelenkt und der Fokus auf eine Person gerichtet, der man alle möglichen Eigenschaften anhängen kann“.

Drosten findet dies „schon langsam gefährlich“. „Wir müssen aufpassen, dass wir hier nicht in ein ganz schlechtes Fahrwasser kommen“, sagt er. Stattdessen sollten sich Politiker immer wieder neu fragen, wie die Wissenschaft ihnen in der jeweils aktuellen Phase helfen könne. (nh)



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