Europaparteitag: Linkspartei will Kurs neu setzen – zwischen Ost-Partei und Carola Rackete

Auf ihrem Europaparteitag in Augsburg hat die Linkspartei ihre Kandidatenliste gewählt. Die parteilose Kapitänin Carola Rackete fungiert auf Platz 2. Mit Sahra Wagenknecht will man abgeschlossen haben.
Carola Rackete (l) und Martin Schirdewan bilden das Spitzenduo der Partei für die Wahl zum Europaparlament.
Die Spitzenkandidaten der Linkspartei für Europa: Carola Rackete und Martin Schirdewan am 18.11.2023Foto: über dts Nachrichtenagentur
Von 20. November 2023

Erstmals ohne Sahra Wagenknecht und ihre nunmehr zum BSW gewechselten Mitstreiter hat die Linkspartei am Wochenende einen bundesweiten Parteitag abgehalten. Mit knapp 86,9 Prozent der Stimmen wählte sie in Augsburg ihren Parteichef Martin Schirdewan zum Spitzenkandidaten für die EU-Wahl im Juni 2024. Auf Platz 2 folgt die parteilose „Kapitänin und Aktivistin“ Carola Rackete, die von mehr als 79 Prozent der Delegierten das Vertrauen ausgesprochen bekam.

Rackete-Einzug ins EU-Parlament gilt als sicher

Beide können fix mit einem Einzug ins EU-Parlament rechnen. Zwar könnte die Linkspartei laut Umfragen bundesweit mittlerweile nicht mehr mit einem Erreichen der Fünf-Prozent-Hürde rechnen. Diese gilt jedoch nicht bei der EU-Wahl, und nach derzeitigem Stand könnten vier Kandidaten der Partei mit einem Mandat rechnen.

Parteichef Schirdewan freute sich über das „Signal der Geschlossenheit“, das von dem Parteitag ausgehe. Seine Botschaft lautete, dass mit dem Ende des Konflikts um Wagenknecht die Ursache der Schwäche der Linken beseitigt sei. Nun sei es wieder möglich, „Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen“ und „den Markenkern zu schärfen“. Dieser bestehe in „sozialer Gerechtigkeit, Solidarität und Frieden“.

Antisemitisches Geraune stört Bild von der Einigkeit

Auf der Parteitagsbühne war von der viel beschworenen Harmonie nicht immer etwas zu bemerken. Zwar waren einige Delegiertensitze leer geblieben, die offenbar dem abgespaltenen Wagenknecht-Flügel zuzuordnen waren. Auch der Provokateur Bijan Tavassoli, der sich um die Spitzenkandidatur bemühte und in seiner Rede die ausgetretene Ex-Fraktionschefin lobte, scheiterte deutlich.

Allerdings zeigten sich auch abseits des Wagenknecht-Konflikts deutliche innerparteiliche Bruchlinien. So warf der hessische Landesschatzmeister Nick Papak Amoozegar in einem Redebeitrag Israel einen „Genozid“ in Gaza vor. Der frühere Berliner Kultursenator Klaus Lederer erklärte darauf gemünzt:

„Ich habe mich geschämt, dass hier auf offener Bühne Antisemitismus unwidersprochen bleibt.“

Bartsch will Linkspartei wieder zum „Ost-Kümmerer“ machen

Mehrfach widersprachen Redner auch der Einschätzung, dass durch den Austritt Wagenknechts und die Gründung des BSW die Linkspartei geschwächt werde. Es sei sogar zu mehr Ein- als Austritten gekommen, nachdem die frühere Fraktionschefin die Partei verlassen habe. Zu Masseneintritten in die Linkspartei hatten jüngst auch selbst ernannte „Linksradikale“ aufgerufen.

Auf dem sächsischen Landesparteitag in Chemnitz bezeichnete der Chef der in Auflösung begriffenen Bundestagsfraktion, Dietmar Bartsch, den Osten als „die Herzkammer der Linken“. Man habe den „Fehler“ erkannt, diesen „vernachlässigt“ zu haben. Zuversichtlich stimmt die Partei, dass es in den ostdeutschen Bundesländern bislang kaum Übertritte hochrangiger Funktionsträger zum BSW gegeben habe.

Man wolle wieder zur Ost-„Kümmererpartei“ werden, erklärte Bartsch. Und Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow traut dem BSW nicht einmal eine Landtagskandidatur in Thüringen zu.

Funktionäre im Osten bleiben bei der Stange – Wähler nicht

Jüngste Landtagsumfragen bescheinigen der Linken jedoch auch im Osten ein zunehmendes existenzielles Problem. Mit Ausnahme von Thüringen, wo man dank Ministerpräsidentenbonus noch auf mehr als 20 Prozent hoffen kann, würde man derzeit in keinem der übrigen neuen Bundesländer mehr ein zweistelliges Ergebnis erreichen. Und das, obwohl es auf kommunaler Ebene noch Städte, Gemeinden und Landkreise mit einer linken Spitze gibt.

Was das Wählerpotenzial im Osten anbelangt, sehen Meinungsforscher jenes des BSW mindestens dort, wo die PDS in ihren erfolgreichsten Zeiten angelangt war. Dass es kaum Übertritte von Funktionsträgern oder Bürgermeistern gibt, zeigt, dass der Parteiapparat die Aktiven zusammenzuhalten vermag.

Rackete: In Deutschland „nicht mehr nur weiße deutsche Industriearbeiter“

Am Ende entscheiden jedoch nicht aktive Mitglieder über Wahlerfolge, sondern die Wähler an der Urne. Und hier bleibt fraglich, ob sich Linkswähler in ihrer Breite mit Exponenten wie Carola Rackete anfreunden können. Diese erklärte, sie kandidiere für die Linkspartei, weil diese „als einzige soziale und grüne Politik miteinander verbindet“. In ihrer Vorstellungsrede erklärte sie über die bevorstehende EU-Wahl:

„In Europa haben wir die Wahl: Menschenrechte oder weiße Vorherrschaft, Klimagerechtigkeit oder Klima-Apartheid, ein gutes Leben für alle oder die Rückkehr des Faschismus.“

Dass sich ihre Wahrnehmungen von jener der breiten Arbeiterschaft stark unterscheiden würden, glaubt die Tochter eines wohlhabenden Verteidigungslobbyisten nicht. In Deutschland gebe es ja „nicht nur deutsche, weiße Industriearbeiter, wie man sich das so klassisch in der Industrie vorstellt“.

Viele prekär arbeitende Menschen hätten einen migrantischen Hintergrund, arbeiteten im Servicebereich und seien in keiner Gewerkschaft vertreten. Eine „moderne linke Partei“ müsse auch diese vertreten.

„Sozio-ökonomische Zielgruppe der Linkspartei will keine offenen Grenzen“

Experten glauben nicht unbedingt an die Erfolgsaussichten einer solchen Strategie. Politikwissenschaftler Uwe Jun warf auf „Phoenix“ die Frage auf, wo das Potenzial der Linken sein solle. Umfragen zufolge würden „bis zu 90 Prozent“ der Bevölkerung die Zuwanderung als zu hoch wahrnehmen und für eine restriktivere Politik eintreten. Prekär lebende Bevölkerungsteile wären einer Politik der offenen Grenzen gegenüber dabei noch deutlich weniger aufgeschlossen.

Politikwissenschaftlerin Sarah Wagner von der Universität Belfast zeigt hingegen am Beispiel Griechenlands, dass es für unterschiedliche linke Parteien Platz gebe. Die „Progressiven“, die Wagenknecht als „Lifestyle-Linke“ bezeichnet, würde dort Syriza abholen. Die KKE ziehe hingegen die „Linkskonservativen“ an.

Dass es für die „Progressiven“ mit den Grünen bereits ein Angebot gebe, sieht auch Boris Herrmann in der „Süddeutschen“ nicht so. Immerhin würden diese nun eine restriktive Asylpolitik unterstützen. Die Linkspartei könne indessen ihre Nische entdecken als „Anti-Abschottungspartei“. Ihr Potenzial wäre dort, wo man „eine zum Schlafquartier umfunktionierte Turnhalle nicht für ein größeres Problem hält als ein gekentertes Flüchtlingsboot“.



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